Pastoralassistentin – Zeichen für eine andere Kirche

Vor ihrem Theologiestudium war Brigitte Fischer viele Jahre in der Niederurner Jugendarbeit engagiert, zunächst als Blauringleiterin, später als Scharleiterin. Kurz vor Ostern 1985 erreichte sie in Rom die Anfrage des Kirchenrates aus Niederurnen für ihre seit einem Jahr vakante Pfarrei. Bischof Johannes Vonderach hatte sein Einverständnis gegeben und den Dekan als Pfarradministrator ernannt.

Vor der Matura entschied ich mich fürs Theologiestudium. Für mich standen die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Gottesfrage und der katholischen Glaubenslehre im Vordergrund. Im Gymnasium an der Kantonsschule Glarus hatte ich viele unbeantwortete Fragen. Mein erstes Studienjahr mit Wohnsitz im Vatikan und Vorlesungen an der päpstlichen Universität Gregoriana führte mich mit Katholiken aus der ganzen Welt zusammen. An der Jesuitenuniversität wurde mein Hunger nach Wissen aber auch nach reflektiertem Glauben gestillt. Ich hatte das Glück, eindrücklichen Kirchenmännern, z.B. dem späteren Kardinal Carlo Martini zu begegnen.

Pastoralassistentin1 als Notlösung?

Als Theologin empfinde ich es als etwas vom Schönsten, theologisches Wissen zu vermitteln und andere Menschen zur Reflexion über Gott und die Welt anzuregen in der Hoffnung, sie dadurch zu ermutigen, sich mit dem Wort Gottes in der Hl. Schrift auseinanderzusetzen, im persönlichen Glauben zu wachsen und den konkreten Auftrag in der Welt zu erkennen. Hierbei stosse ich auf keine der mir als Frau von der Amtskirche gesetzten Grenzen. Das Vorwort der Pastoralkonstitution "Gaudium et Spes"2 begleitet mich seit vielen Jahren, ebenso der Text bei Lk 4,18–193, den ich zum Abschluss meines Pfarreipraktikums in den USA von einer Ordensfrau bekam. Durch die Einladung des Churer Regens Josef Pfammatter an die THC und ins integrierte Priesterseminar begab ich mich auf den Ausbildungsweg zur Pastoralassistentin im Bistum Chur. Im Pastoraljahr bei Dekan Anton Camenzind in Höngg erlebte ich, dass ich sowohl im Team als auch in der Pfarrei voll und ganz akzeptiert war, obwohl mein Beruf noch jung und aufgrund des Priestermangels entstanden war. Auch in der Pfarrei Niederurnen-Bilten erfuhr ich während meiner 10-jährigen Tätigkeit als Pastoralassistentin eine grosse Akzeptanz. Allerdings werde ich bis heute das Gefühl nicht los, dass dieser Beruf trotz allem für die Kirchenleitung eine Notlösung ist, denn in der Klärung des Berufsprofils sehe ich nach wie vor Handlungsbedarf. Ich erinnere mich an verschiedene Situationen, in denen ich in Erklärungsnot geriet, z. B. betreffend Predigterlaubnis oder der Tauf- und Ehepastoral. Da bleibt die Rolle der Pastoralassistentinnen schwammig und häufig undankbar.

Pastoralassistentin mehr als ein Glücksfall

Am 15. Juni 2011 wurde in Zürich das Jubiläum "40 Jahre Pastoralassistenz im Bistum Chur" gefeiert. Generalvikar Josef Annen schildert in seiner Festrede, wie damit etwas Unmögliches möglich wurde und drückte mit folgenden Worten seinen Dank aus: "Ich danke Gott, dass er durch die Anwesenheit der Pastoralassistenten/innen Unruhe in unsere Kirche bringt. Der Heilige Geist ist nicht nur der Tröster und Beistand, er ist auch der, der Neues schafft; der beugt, was verhärtet ist, und tränkt, was da dürre steht. Ich danke allen Pastoralassistenten/innen, die als Pioniere der ersten Stunde den Mut gehabt haben, in noch völlig ungeklärten Rollen dem Volk Gottes in den Pfarreien und in überpfarreilichen Einrichtungen, in Spitälern und Schulen zu dienen. Ich danke für den Mut, trotz auch heute noch offener Fragen rund um das Berufsprofil des Pastoralassistenten, der Pastoralassistentin, nicht aufzugeben, sondern weiterzumachen und Christus und der Kirche treu zu bleiben. Ich danke Euch allen, auch im Namen der Generalvikare Martin Kopp und Andreas Rellstab, und im Namen des ganzen Bischofsrates, für euren Glauben, euer Zeugnis und eure Bereitschaft. Ihr wart vor 40 Jahren ein Glücksfall. Und Ihr seid es heute noch um vieles mehr."4

Die 32 in der Urschweiz tätigen Pastoralassistenten/innen (15 Frauen / 17 Männer), von denen ein Viertel als Pfarreibeauftragte wirkt, sind weit mehr als ein Glücksfall. Sie sind notwendig und Not-wendend. Sie sind tragende Säulen der Seelsorge in unserem Generalvikariat und sichtbare Zeichen für den Auftrag aller Getauften und Gefirmten. Durch die Vielfalt ihrer Lebensentwürfe als Singles, Eheleute, Familienväter und -mütter bringen sie eine besondere Sensibilität für die Vielfalt der Herausforderungen der heutigen Zeit mit. Sie haben gelernt, über Gott nachzudenken und die Zeichen der Zeit in seinem Licht zu deuten. Sie sind sichtbare Zeichen für eine Kirche, in der die Verantwortung geteilt wird. Pastoralassistentinnen sind in unserer Kirche ganz besonders notwendig, weil eine zeitgemässe Seelsorge nur von Männern und Frauen gemeinsam geleistet werden kann.

 

 

 

1 Ich verwende im Artikel wegen der Lesefreundlichkeit nur die weibliche Form; selbstverständlich sind die Männer mitgemeint.

2 GS1: "Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger(*innen) Christi." (*von mir ergänzt.)

3 Lk 4,18: "Der Geist des Herrn ruht auf mir; denn er hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine frohe Botschaft bringe; damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht; damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herr ausrufe."

4 Vgl. Rede von Generalvikar Josef Annen zum Jubiläum 40 Jahre Pastoralassistenz im Bistum Chur, 15. 6. 2011 Pfarreizentrum Liebfrauen, Zürich: www.kath.zh

Brigitte Fischer Züger

Dr. theol. Brigitte Fischer Züger ist zuständig für die Stabstelle Personal und Pastoralplanung im Regionalen Generalvikariat für die Urschweiz im Bistum Chur