Palmsonntag: Dominica in Palmis de passione Domini

An vielen Orten ist der Palmsonntag Anlass, besonders Familien mit Kindern in das gottesdienstliche Geschehen einzubinden. Wie selbstverständlich tragen an diesem Festtag die Mitfeiernden ein Sträusschen aus Buchsbaum oder grüne Zweige mit sich.

Es ist ein überaus freudiges Ereignis, das mit dem Einzug Jesu in Jerusalem gefeiert wird. In der Wortliturgie, die auf die Prozession in die Kirche folgt, liegt hingegen der Akzent auf der Verkündigung der Passion. Wie passt das zusammen, fragen sich nicht wenige. Ist es richtig, einen Sonntag, der so jubelnd und fröhlich beginnt, mit der Verkündigung der Passion zu belasten?

Liturgie vom Einzug Jesu in Jerusalem

Matthäus berichtet, dass zahlreiche Menschen ihre Kleider auf der Strasse ausbreiteten und Zweige von den Bäumen abschnitten, um sie auf dem Weg auszustreuen, auf dem Jesus sitzend auf einer Eselin in Jerusalem einzog. Die Menschen riefen Jesus von Nazareth entgegen: «Hosanna, dem Sohn Davids! Gesegnet sei er, der da kommt im Namen des Herrn …» (Mt 21,9). Die Liturgie knüpft an dieses Ereignis in Jerusalem und feiert den Einzug Jesu als Geschehen, das heute seine Wirkkraft genauso entfaltet wie damals, als die geschichtlichen Ereignisse stattfanden. «Sub Pontio Pilato» stellt das Glaubensbekenntnis fest, und doch sind die Heilstaten Gottes im Hier und Jetzt gegenwärtig.

Palmsegnung – evangelium – Prozession: Das Messbuch sieht vor, dass die Liturgie im Hauptgottesdienst einer Pfarrei mit einer grossen Prozession oder zumindest mit einem feierlichen Einzug beginnt. Dazu versammelt sich die Gemeinde in einer Nebenkirche oder an einem anderen passenden Ort ausserhalb der Kirche. Der Priester segnet zunächst die Zweige oder Palmen, die die Mitfeiernden mit sich tragen. Im Gebetswort heisst es: «Segne diese Zweige … Mit Lobgesängen begleiten wir (Jesus) in seine heilige Stadt» (MB [2]). Damit denken die Mitfeiernden nicht nur an den Einzug Jesu, sondern sind jetzt, heute, mit Jesus auf dem Weg. Nach der Segnung der Zweige verkündet der Diakon (oder der Priester) das Evangelium vom Einzug des Herrn. Es folgt die Aufforderung, es dem Volk Israel gleichzutun, Jesus zuzujubeln und ihn unter Gesang in die Kirche zu geleiten.

Feier des Einzugs Jesu in Jerusalem als eigenständige Liturgie? Dann allerdings führt das Messbuch eine überraschende Rubrik an. Es heisst dort: «Nach der Prozession oder dem feierlichen Einzug beginnt der Priester die Messe mit dem Tagesgebet» (MB [8]). Man könnte den Eindruck gewinnen, die Palmweihe, die Verkündigung des Evangeliums vom Einzug in Jerusalem und die Prozession der ganzen Gemeinde gehöre nicht zu der Eucharistiefeier dieses Tages, sondern sei ein «Vorspiel».

Anknüpfung an die Praxis der Christen in Jerusalem: In der Spätantike pilgerten viele Christen nach Jerusalem, um an den Stätten des geschichtlichen Wirkens Jesu seinen Heilstaten nahe zu sein. Die Erfahrung der Nähe wurde dadurch verstärkt, dass man sich bemühte, die Orte und Zeiten der in den Evangelien verkündeten Heilsereignisse genau einzuhalten. Man hat die heilige Woche liturgisch entfaltet, indem man an dem entsprechenden Samstag nach Bethanien ging und am folgenden Sonntag den Einzug Jesu in Jerusalem inszenierte.1 In der Folge wurde in weiten Teilen der Christenheit am Sonntag vor Ostern das Gedächtnis des Einzugs in Jerusalem gefeiert.

Sonntag vor Ostern als Eintritt in die heilige Woche

Anders in Rom. Hier gedachte man fast das ganze erste Jahrtausend am Sonntag vor Ostern nicht des Einzugs Jesu in Jerusalem. Viele Quellen berichten, dass in Rom Mt 21,1–9 am 4. Sonntag vor Weihnachten gelesen wurde. Die römische Kirche brachte den Einzug Jesu in Verbindung mit dem Advent. Der Sonntag vor Ostern war hingegen ganz der Passion und dessen Deutung gewidmet. Erst als die römische Liturgie sich von den nicht-römisch westlichen Liturgien bereichern liess, wurde auch das Einzugsgedächtnis auf diesen Sonntag gelegt. Bis heute heisst der Festtag im lateinischen Missale «Dominica in Palmis de Passione Domini».

Passion Christi als Inhalt der Wortliturgie: Schaut man in die Wortliturgie des 6. Sonntags der österlichen Busszeit, so fällt auf, dass überhaupt nicht mehr vom Einzug Jesu in Jerusalem die Rede ist. Die ganze Wortliturgie ist darauf ausgerichtet, der feiernden Gemeinde das Leiden des Herrn zu vergegenwärtigen.

Da ist die erste Lesung aus Jes 50,4–7. Es ist das dritte Lied vom Gottesknecht. Der Prophet Jesaja will mit seinem Lied das ganze Volk Israel überzeugen: JHWH wird Rettung bringen. So auch die Botschaft zu Beginn der heiligen Woche: «Doch Gott wird mir helfen; darum werde ich nicht in Schande enden» (V. 7). Schon diese erste Lesung interpretiert damit die Passionslesung.

Der Antwortpsalm ist Psalm 22 entnommen. Es ist der Psalm, den das Markusevangelium und auch das Matthäusevangelium dem sterbenden Jesus in den Mund legen. Der Bezug zur Passion liegt auch hier auf der Hand. Unterstrichen wird dies noch dadurch, dass die Gemeinde die Worte Jesu zitierend in den Psalm einstimmt: «Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen» (Ps 22,2).

Alles schreitet auf die Passion hin. Auch die zweite Lesung aus dem Philipperbrief 2,6–11, der Hymnus, der von der Erniedrigung und der Erhöhung des Gottessohnes spricht. Der Ruf vor der Passion greift die Philipperlesung noch einmal auf und verbindet damit den Palmsonntag mit der Liturgie des Karfreitags. Das ganze Wortgeschehen ist also auf die Passion Christi, unter die sich das versammelte Gottesvolk nun stellen wird, ausgerichtet. Der Akzent der Wortliturgie auf diesem passionalen Element ist stark. So war es in Rom seit früher Zeit Brauch. Schon Leo I. (440–461) bezeugt die Lesung der Matthäuspassion an diesem Tag. Ab dem Spätmittelalter findet sich zudem die Praxis, die Passion in verteilten Rollen zu lesen und der Verkündigung damit einen dramatischen Akzent zu verleihen.

Die Rubriken des Palmsonntags sehen vor, dass nur in der Hauptkirche und nur einmal am Tag eine feierliche Prozession gefeiert werden solle. Das Gedächtnis des Einzugs geschehe zwar in allen Messfeiern, dann aber durch einen einfachen Einzug. Die zweite und jede weitere Messe des Palmsonntags erhält damit noch ein stärkeres passionales Gewicht.

Zwei Feiern und eine Liturgie?

An diesem Tag verbinden sich folglich verschiedene Traditionen: Das Einzugsgedächtnis, das verwurzelt ist in der Liturgie des spätantiken Jerusalems und die altrömische Tradition, die dem Sonntag vor der Dreitagefeier von Ostern das besondere Gepräge der Passion gibt. Bemerkenswert ist, dass in allen Quellen, die die Kombination von Einzugsgedächtnis und Passion enthalten, die beiden Teile als unabhängige Blöcke nebeneinander stehen. Die einzige Klammer geschieht durch das Tragen der (Palm)Zweige während der ganzen Feier. Eine thematische Verflechtung gibt es nicht. Das ist höchst ungewöhnlich für die liturgischen Feiern des Kirchenjahres.

Liturgie des Palmsonntags ist ungewöhnlich: Dieses Nebeneinander gibt es selten im Kirchenjahr. In der Regel werden, wenn einmal zwei verschiedene Aspekte des Heilshandelns Gottes gefeiert werden, diese in der Liturgie miteinander verflochten. Man würde erwarten, dass eine besondere Zeichenhandlung wie die Segnung der Palmen und eine sich daran anschliessende Prozession nach der Wortliturgie, als Ausfluss der Verkündigung des Wortes Gottes stattfinden würde. Dann aber müsste nicht die Verkündigung der Passion im Zentrum der Wortliturgie stehen, sondern das Evangelium vom Einzug Jesu in Jerusalem. Genau dies geschieht in der Liturgie des Palmsonntags nicht. Da werden zunächst die Palmen gesegnet. Dann erst erfolgt die Verkündigung des Evangeliums vom Einzug in Jerusalem. Wo man doch hier eher annehmen würde, dass das Evangelium zuerst stehen müsste und als Antwort darauf die Palmen der Mitfeiernden gesegnet werden. Aber die Liturgie inszeniert das Festgeheimnis des Tages anders. Ist dieser Sonntag ein Tag des freudigen Jubels oder ein ernster Tag, den Gläubigen zur Aufforderung?

Palmsonntag Präludium der Karwoche: Die Ordnung des Kirchenjahres weist dem Palmsonntag die Funktion zu, die Karwoche zu beginnen, die als Ganze dem Gedächtnis des Leidens Christi gewidmet ist. Dazu bietet das Messbuch dem Vorsteher einen Modelltext an, wie er dies zu Beginn der Feier zum Ausdruck bringen kann. Die Gläubigen kommen am Palmsonntag zusammen, «um mit der ganzen Kirche in die Feier der österlichen Geheimnisse unseres Herrn einzutreten» (MB [2]).2 Der Palmsonntag ist damit das Präludium oder die Ouvertüre. Er trägt das Ganze des Paschamysteriums in sich. Beim Gedächtnis des Einzugs Jesu in Jerusalem paart sich Freude und Jubel mit dem Wissen, dass Verrat und Leiden bevorstehen, sowie das Gedächtnis des Leidens Jesu in der Verkündigung der Passion bereits um Auferstehung und Erhöhung weiss. Die Feier von Palmsonntag macht deutlich, dass es immer um das Ganze des Heilshandelns Gottes geht.

Spannungen in der Praxis

Diesem Ganzen in der Feier Gestalt zu geben, ist in der Praxis nicht einfach. Will man bewusst Familien mit Kindern einbeziehen, wozu gerade die ganzheitlich-sinnlichen Dimensionen dieses Festtages einladen, dann ist wenig angezeigt, der ganzen vorgesehenen Wortliturgie Raum zu geben. So wird oft angesichts der langen Passionslesung auf die erste und zweite Lesung sowie auf den Antwortpsalm verzichtet werden. Die Rubriken des Lektionars ermöglichen dies ohnehin. Für andere Mitfeiernde wird es aber auch einen Verlust darstellen, wenn sie nicht Schritt für Schritt auf die Passion zugehen können.

Nicht ganz abwegig sind auch Überlegungen, die Liturgie dieses Tages wie damals in Jerusalem wieder ausschliesslich am Gedächtnis des Einzugs in Jerusalem auszurichten. Dazu würde das Evangelium vom Einzug Höhepunkt der Wortliturgie sein. Die Passionslesung nach den Synoptikern müsste aber auf einen anderen Tag der Heiligen Woche verschoben werden. Es wäre sogar eine Überlegung wert, in der heiligen Woche die Passion aller vier Evangelien zu lesen: Montag Matthäus, Dienstag Markus, Mittwoch Lukas und Freitag Johannes.


 

1 Die johanneische Datierung der Perikopen von der Salbung in Bethanien «sechs Tage vor dem Paschafest» ( Joh 12,1) und dem Einzug Jesu «am folgenden Tag» ( Joh 12,12) wurde mit der Chronologie der Synoptiker verbunden, die das letzte Abendmahl als Paschamahl darstellen.

Literaturhinweise:

Hansjörg Auf der Maur: Feiern im Rhythmus der Zeit, I. Herrenfeste in Woche und Jahr. Regensburg 1983 (Gottesdienst der Kirche 5) 98–101.

Harald Buchinger: «Hosanna dem Sohne Davids!» Zur Liturgie des Palmsonntags, in: IKZ Communio 38 (2009), 35–43.

Dominik Daschner: Darstellung des Herrn und Palmsonntag. Überlegungen zu ihrer derzeitigen Feierstruktur und Alternativmodelle, in: Heiliger Dienst 51 (1997) 108–129.

Elmar Nübold: Die Leidensgeschichte am Palmsonntag?, in: Heiliger Dienst 64 (2010) 276–288.  

Birgit Jeggle-Merz (Bild: unilu.ch)

Birgit Jeggle-Merz

Dr. theol. Birgit Jeggle-Merz ist Ordentliche Professorin für Liturgiewissenschaft an der Theologischen Hochschule Chur und a. o. Professorin in derselben Disziplin an der Universität Luzern.