Orte der Stille im Appenzellerland

Zwei Kapellen im lieblichen Hügelland des Appenzells sucht Roland Graf auf, wenn er der Ruhe und der Einkehr bedarf. Die beiden Kleinodien sind eine genauere Inaugenscheinnahme in der Tat wert.

Die Ahornkapelle, im Hintergrund der Öhrlikopf am Säntismassiv. (Bild: Roland Graf)

 

Zwei Kapellen im Appenzellerland, die ich schon in meiner Kindheit oft besucht habe, möchte ich gern vorstellen. Bevor ich mich für den Wechsel zum Theologiestudium entschied, habe ich oft den Weg zurückgelegt, der die beiden Kapellen verbindet. Gerade wer die Stille sucht und seelisch auftanken möchte, wird fernab vom Tourismusbetrieb allein schon die ungefähr eine Stunde dauernde Wanderung zu schätzen wissen. Sie führt über Alpstrassen und Weiden, durch Waldpassagen, über Brücken, die rauschende Bäche überwinden, und beim Schlussabschnitt über Stock und Stein.

Sonnenhalbkapelle: Sieben Schmerzen Mariens

Die erste Kapelle Sieben Schmerzen Mariens ist praktisch der Ausgangspunkt der Wanderung. Sie befindet sich etwa vier Kilometer von Appenzell entfernt. Kurz bevor das Strässchen zur Kapelle hinunterführt, gibt es Parkplätze, wobei man selbstverständlich auch den Weg von Appenzell mit dem Velo oder zu Fuss zurücklegen kann. Vom Bahnhof muss man die Strasse Richtung Unterrain/Sonnenhalb einschlagen.

Die heutige Kapelle wurde im Jahr 1861 erbaut. Sie löste eine Kapelle aus dem Jahr 1796 ab, die zu klein geworden war. Ein Bauer hatte einen Bildstock versprochen, wenn beim Neubau von Haus und Scheune alles gut ginge. Und baute schliesslich eine Kapelle. Für ihre Innenausstattung erhielt er vom Kirchenpfleger die gotische Pietà, die im Jahr 1560 den Dorfbrand von Appenzell in der Kreuzkapelle unbeschadet überstanden hatte. Nach dem Historiker P. Rainald Fischer OFMCap wollte der Kirchenpfleger die Statue wegen ihres «unstattlichen Anblicks» beseitigen. Im Jahr 1829 kam die Kapelle zu einem Turm und einer Glocke. Ein Bauer hatte in einer Notlage versprochen, eine Glocke zu stiften. Auf dem Sterbebett wies er die Kinder an, das Versprechen zu halten und am Morgen und am Abend den «Engel des Herrn» zu läuten.

Der Altar der Kapelle enthält barocke Elemente aus der Zeit von 1790 bis 1800. Er wurde somit in die grössere Kapelle übernommen. Die vielen brennenden Kerzen im Vorzeichen der Kapelle zeugen davon, dass viele Besucher hier jahrein und jahraus mit ihren Anliegen vorbeikommen. Etliche davon haben auf wunderbare Weise Erhörung gefunden. Dasselbe trifft auch auf die Ahornkapelle zu.

Ahornkapelle: Maria Hilf

Das Ziel meiner Wanderung ist jeweils die Ahornkapelle. Eine erste kleine Kapelle wurde im Jahr 1895 errichtet. 1937 wurde die jetzige Kapelle nach den Plänen des Kunstmalers Johannes Hugentobler aus Appenzell erbaut. Auf einer hohen Säule des Altares steht ein Gnadenbild Unserer Lieben Frau mit dem Jesuskind. Den Hintergrund bildet ein goldschimmernder Metallteppich, auf dem die 15 Geheimnisse des Rosenkranzes in runden Bildern dargestellt sind. Diese entwarf ebenfalls der Kunstmaler Hugentobler. Die Szenen der 15 Geheimnisse wurden mit kräftigen Farben als etwa 30 cm grosse, runde Emailbilder gebrannt. Die Ahornmadonna ist daher umrahmt von den wichtigsten Heilsereignissen, die beim Rosenkranzgebet betrachtet werden.

Die Madonna hat ihre eigene Geschichte, die hier nur in aller Kürze zusammengefasst werden kann. Eine alte Legende erzählt, dass im Mittelalter ein frommer Einsiedler namens Ulrich im Weissbachtal eine Marienstatue geschnitzt und diese in die Nische eines Ahornbaums gestellt habe. Nach Historiker P. Rainald dürfte das Marienbild aus dem 17. Jahrhundert stammen, aber auf ein gotisches Vorbild zurückgehen. Im 19. Jahrhundert habe es sich auf der Alp Ahorn in einem einfachen Bildstock befunden. Am Fuss der Statue sind Brandspuren ersichtlich. Diese soll ihr ein zorniger Senn zugefügt haben. Es gelang diesem aber auch mit Axthieben nicht, die Statue zu zerstören. Die misshandelte Statue blieb eine Zeit lang verschollen. Schliesslich wurde sie P. Eberhard Walser OFMCap übergeben, der sie 26 Jahre lang im Pfarrhaus in Mastrils GR behütete. Unter der Bedingung, dass eine würdige Kapelle erbaut wird, in der die heilige Messe gefeiert werden kann, gab P. Eberhard die Madonna zurück.

Roland Graf

 

Info für Wanderer: Die Wanderung im Detail findet sich auf der Webseite von Appenzellerland Tourismus AI unter www.appenzell.ch

In loser Folge berichteten die Redaktorinnen und die Redaktionskommissionsmitglieder der SKZ über ihre Lieblingsorte geistiger Einkehr. Roland Graf schliesst diese Reihe ab.


Roland Graf

Dr. Roland Graf (Jg. 1961) studierte nach mehrjähriger Berufstätigkeit als Chemiker HTL in Chur Theologie und promovierte 2003 an der Katholisch-Theologischen Fakultät Augsburg in Moraltheologie. Er ist Pfarrer von Unteriberg und Studen SZ, Mitglied der Bioethikkommission der SBK und der Redaktionskommission der SKZ.