«Aber das reicht nicht»

Als Politikerin, Gastronomin und Beraterin hat Esther Friedli mit vielen Menschen und Meinungen zu tun. Die SKZ hat bei ihr nachgefragt, wie sie die Rolle der Kirche in der Schweiz sieht.

Esther Friedli (Jg. 1977) studierte Politikwissenschaft in Bern und Aarhus (DK). Sie besitzt ein Büro für politische Kommunikation und Beratung und arbeitet im Familienbetrieb Landgasthaus Sonne, Haus der Freiheit mit. Seit 2019 ist sie für die SVP des Kantons St. Gallen im Nationalrat. (Bild: zvg)

 

SKZ: Sie haben sich bereits als Jugendliche in der Politik engagiert. Wie sind Sie dazu gekommen?
Esther Friedli: Bei uns zu Hause wurde am Mittagstisch über Politik geredet. Ich habe mich sehr früh für das Geschehen auf dieser Welt interessiert, Zeitung gelesen und überall Informationen gesammelt. Mit 15 Jahren nahm ich an der Eidgenössischen Jugendsession teil und gründete kurz darauf zusammen mit anderen engagierten Jugendlichen den Jugendrat in Worb.

Sie setzen sich für eine freie und selbst- bestimmte Schweiz ein. Wie kann dies auf politischer Ebene erreicht werden?
Die Freiheit ist eines meiner grundlegenden politischen Themen. Wie wichtig sie ist, zeigt sich uns gerade aktuell in der Corona-Pandemie. Verschiedene Freiheitsrechte wie die Versammlungs- oder Wirtschaftsfreiheit wurden massiv eingeschränkt. Die Pandemie zeigt uns aber auch, wie wichtig eine freie und selbstbestimmte Schweiz ist. Krisen müssen vor Ort gelöst werden anstatt von grossen Organisationen. Ich setze mich dafür ein, dass wir uns nicht immer mehr an die Europäische Union anbinden – wir müssen in unserem Handeln frei bleiben.

Was können wir Schweizerinnen und Schweizer dazu beitragen?
Indem sie sich bei Abstimmungen und Wahlen für eine freie und selbstbestimmte Schweiz einsetzen. Und indem sie sich aktiv im politischen und gesellschaftlichen Leben in unserem Land einbringen.

Ihnen ist ein gut funktionierendes Sozialwesen wichtig. Die Kirchen sind in diesem Bereich sehr engagiert. Profitiert der Staat davon?
Ich stehe zu unseren Sozialwerken, bekämpfe aber auch den Missbrauch. Zudem erachte ich das ehrenamtliche Engagement – sei es in einem Verein oder in der Pfarrei – als sehr wichtig, es entlastet den Staat und hilft oft direkt vor Ort. Dieses Engagement kommt der ganzen Gesellschaft zugute. Dass dies in der Schweiz an vielen Orten sehr gut funktioniert, zeigt die hohe Bereitschaft, in der Krise einander in der Nachbarschaft zu helfen. Das soziale Engagement der Kirchen unterstütze ich, solange es nicht politisch motiviert ist.

Wie meinen Sie das?
Die Kirche bringt sich immer wieder im Bereich der Asylpolitik ein. Ich erwarte von der Kirche, dass sie die staatlichen Akteure ergänzt. Dann wirkt sie integrierend. Wenn sie aber z. B. abgewiesenen Asylsuchenden Kirchenasyl gibt, greift sie meiner Meinung nach zu stark in die Politik ein.

In der katholischen Kirche Schweiz haben wir viele Gläubige mit Migrationshintergrund. Glauben Sie, dass die katholische Kirche bei der Integration von Einwanderern, Expats und Flüchtlingen aufgrund ihrer Erfahrungen einen Beitrag leisten kann?
In der Kirche treffen sich alle Menschen mit der gleichen Konfession – unabhängig ihrer Staatszugehörigkeit. Das Verbindende ist der Glaube. Die Kirchgemeinden und Pfarreien leisten hier sicher einen wertvollen Integrationsbeitrag, so wie dies auch die Volksschule macht.

Auf Ihrer Website ist zu lesen: «Zu einem christlich geprägten Land mit klaren Wertvorstellungen gehört insbesondere auch die Gleichberechtigung von Frau und Mann.» Wo ist diese Gleichberechtigung noch nicht (vollumfänglich) umgesetzt?
Die Gleichberechtigung ist bei uns umgesetzt. Mein Zitat bezieht sich darauf, dass gewisse Männer mit einem Migrationshintergrund die Gleichberechtigung von Frau und Mann nicht anerkennen. Es gibt immer wieder Vorfälle, dass Frauen die Hand nicht gereicht wird oder Frauen als Vorgesetzte nicht anerkannt werden. Da erwarte ich von allen, die in der Schweiz wohnen, dass sie sich an unsere Werte und Gesetze halten.

Ihnen liegen die Bäuerinnen und Bauern am Herzen. Diese leiden oft unter den billigeren Importprodukten, aber auch unter den hohen Ansprüchen der Konsumentinnen und Konsumenten. Was können Landwirtschaft Betreibende und Konsumierende zur Stärkung der Landwirtschaft beitragen?
Auch hier zeigt uns die Corona-Pandemie deutlich auf, wie wichtig es ist, dass Bauernfamilien in der Schweiz gesunde und regionale Lebensmittel produzieren. Ich setze mich schon lange für eine produzierende Landwirtschaft ein. Wir müssen die Bauernfamilien darin unterstützen, Lebensmittel in der Schweiz zu produzieren, und nicht immer mehr Extensivierung fordern. Wird in der Schweiz mehr produziert, wird weniger importiert. Bei Lebensmitteln, die in der Schweiz produziert werden, kennen wir die Bedingungen und die Gesetze, im Ausland oft nicht. Und bei biologischen Produkten gibt es oft riesige Unterschiede zwischen der Schweiz und anderen Ländern.

Diese Frage muss natürlich kommen: Wie haben Sie es mit der Religion?
Ich gehöre der römisch-katholischen Kirche an. Ich würde mich als gläubig bezeichnen, bin aber keine regelmässige Kirchgängerin. Ich suche jedoch oft für mich das Gespräch mit Gott. Mühe habe ich teilweise mit der Institution Kirche, wenn sie sich politisch einmischt. Für mich wirkt die Kirche da oft ausgrenzend anstatt inte- grierend. Unabhängig der politischen Ansichten sollte die Institution Kirche für alle da sein und den Menschen Halt in ihrem Glauben geben.

Können Sie das näher erklären?
Wenn die Vertreter der katholischen Kirche sich in Abstimmungskämpfe in der Schweiz einmischen, ist für mich jeweils eine rote Linie überschritten.

Wir bringen Sie Ihre verschiedenen beruflichen Tätigkeiten (Politikerin, Gastronomin, Beraterin) unter einen Hut?
Ich arbeite gerne an verschiedenen Sachen und Themen. Zusammen mit meinem Partner Toni führe ich im Toggenburg einen Landgasthof. Der «Chef des Hauses» ist Tonis Bruder Andi, der das Down Syndrom hat. Andi zeigt mir immer wieder auf, was im Leben eigentlich wirklich wichtig ist: ein stabiles Umfeld, Familie und Freunde, Gesundheit und gutes Essen. Und er gibt mir die Gelassenheit, die mir hilft, die verschiedenen Tätigkeiten gut unter einen Hut zu bringen.

Sie arbeiten u. a. als Beraterin für politische Kommunikation. Was würden Sie der katholischen Kirche betreffend Kommunikation aktuell für Ratschläge geben?1
Wir befinden uns in der Schweiz in der grössten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Viele Menschen sind verunsichert, haben Ängste, sind alleine. Verschiedene Bistümer und Kirchgemeinden bieten nun Gottesdienste übers Internet an. Das begrüsse ich. Aber das reicht nicht. Was mir fehlt, ist eine breite, allgemeine positive Botschaft der Kirche in dieser Zeit. Die Kirche sollte den Menschen Halt und Hoffnung geben. Hier hätte ich mir eine innovative Idee gewünscht, die auf unseren christlichen Werten aufbaut und die Menschen verbindet.

Was wünschen Sie sich für unser Land?
Ich wünsche mir, dass wir rasch aus dieser Corona-Pandemie herausfinden und unter Wahrung von Abstand und Hygieneregeln wieder in ein einigermassen normales Leben zurückfinden. Die wirtschaftlichen Folgen des Lockdowns werden wir noch Jahre spüren. Ich wünsche mir, dass die Schweiz die richtigen Lehren aus dieser Krise zieht und sich wieder verstärkt auf ihre Wurzeln besinnt: Freiheit, Unabhängigkeit, Selbstbestimmung und Eigenverantwortung.

Interview: Rosmarie Schärer

 

1 Das Interview wurde am 12. Mai geführt.