Offene und geschlossene Konzepte

Begegnungen mit Andersreligiösen sind ein Wagnis. Die Chance gemeinsamer Suche nach der Wahrheit bietet sich – auch innerkirchlich – als Alternative.

Das Interesse am anderen ist eine menschliche Grundkonstante. Das Eigene muss dabei nicht zurückstehen. Kulturelle und religiöse Motivationen beeinflussen einander. Im Gespräch will man mehr über die religiöse Motivation seines Gegenübers wissen. Auch innerkirchlich stellen die einen den anderen die Gretchenfrage: Wie hat es z. B. eine verbandliche Organisation mit der Religion und – bedeutender noch – mit der Kirche?

Einen Schritt weiter zeigt sich jemand interreligiös interessiert und wird in Frage gestellt. Man müsse doch die Quellen eigener Motivation stärker berücksichtigen, die christliche Herkunft hervorheben. Interreligiöse Begegnungen können aufgrund eigener blinder Flecken unversöhnlich enden. Die Gefahr, verletzt zu werden durch zu starke In-Frage-Stellung, lässt wenig Raum für die Veränderung der eigenen Konzepte. «Was kann ich vom Christentum erwarten, wenn sich darin viel Unglaubwürdiges zeigt? Missbräuche und allgemeine Doppelmoral lassen mich kritisch zurück.» «Halte mir diesen Islam vom Hals, er hat kein friedliches Konzept. Was immer ich darüber höre und sehe, es überzeugt mich niemand.» Aussagen ähnlichen Inhaltes sind Legion, und gelebte religiöse Toleranz gerät ins Abseits.

Nicht selten kommt eine neurotische Dynamik auf. Man beharrt darauf, das eigene Milieu schützen zu wollen, und verschreibt sich perfektionistischen Idealen. Die innerkirchliche Gesprächskultur leidet dann an spezifisch ekklesiogenem Perfektionismus, wo dem Regelwerk der Institution mehr vertraut wird als der Begegnung mit offenem Ausgang. Führt ein Weg aus dieser Wetterecke?

Auf der gemeinsamen Suche nach der je höheren Wahrheit ist Offenheit bleibende Chance: «Die aus der Wahrheitsgewissheit des christlichen Glaubens hervorgehende Offenheit für ausserchristliche Religionsformen wird (…) immer eine kritische und selbstkritische Offenheit sein. Es bedarf der Unterscheidung der Geister, denn vieles tummelt sich im Gewand der Religion – einschliesslich der christlichen –, das dem Geist Gottes zuwiderläuft. Aber auch nicht alles, was nicht den Namen Jesu Christi trägt, ist von diesem Geist unberührt. Die Begegnung mit ausserchristlichen Religionen kann daher die christliche Wahrheitsgewissheit vertiefen und erweitern.»1

 

1 Vgl. Wahrheit in Offenheit. Der christliche Glaube und die Religionen, SEK Position 8 (Autor: Reinhold Bernhardt), Hrsg. vom Rat des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes, 14. Februar 2007, 55, Pkt. 2.5 über Dialogische Begegnung und Mission.


Stephan Schmid-Keiser

Dr. theol. Stephan Schmid-Keiser promovierte in Liturgiewissenschaft und Sakramententheologie. Nach seiner Pensionierung war er bis Ende 2017 teilzeitlich Redaktor der Schweizerischen Kirchenzeitung. (Bild: zvg)