Niklaus von Flüe: Langer Weg zur amtlichen Anerkennung (I)

«Wer sich mit ihm befasst, hat zu tun, auch heute noch»: Dieser Satz aus der brillanten Festrede von Peter von Matt1 anlässlich des Staatsakts auf dem Landenberg in Sarnen vom 30. April 2017 gilt nicht nur für das Leben und Wirken von Niklaus von Flüe, sondern auch für seinen langen Weg bis zur Selig- und Heiligsprechung. Hier wird in einem ersten Teil der Weg zur Seligsprechung nachgezeichnet, die nicht eine formelle Seligsprechung im engen Sinne war, sondern eine Kultanerkennung.

Am Anfang der Heiligenverehrung stand nicht eine Theorie oder ein theologisches Konzept, sondern die gelebte Praxis der Gläubigen. Christinnen und Christen, die um des Glaubens Willen den Märtyrertod erlitten, wurden verehrt und aus der Gewissheit heraus, dass sie mit ihrem Lebensopfer in voller Gemeinschaft mit Gott sind auch als Fürbitter bei Gott angerufen. Aber es stellten sich im Einzelfall auch Missbräuche ein, so dass im Falle des Rufs der Heiligkeit einer Person («fama sanctitatis») die Bischöfe immer mehr eine Überprüfung forderten und durchführten, bevor eine Reliquienerhebung und -translation stattfand. Die Märtyrer- bzw. Heiligenverehrung war eine liturgische Angelegenheit, die nach der Zeit der Christenverfolgung auf vorbildliche bzw. heiligmässig lebende Christinnen und Christen ohne Märtyrertod ausgedehnt wurde. Bekenner und Asketen wurden so den Märtyrern angeglichen. Wunder wirkten dabei als Katalysator für die Verehrung der Gläubigen.

Entwicklung des Selig- und Heiligsprechungsprozesses

Die ursprünglich lokalen Grenzen der Heiligenfeste wurden mit der Übernahme des stadtrömischen Kalenders durch Karl den Grossen überschritten. 993 erfolgte mit Ulrich von Augsburg die erste päpstliche Heiligsprechung. Der Einfluss von Päpsten und römischer Kurie stieg in der Folgezeit immer mehr, weil die Bischöfe sich dadurch mehr Prestige erhofften. Papst Eugen III. sprach 1146 erstmals mit Kaiser Heinrich II. eine Person ohne Zutun eines Konzils oder einer Synode heilig, hier nun auch mit einer eigenen vorgängigen Untersuchung. Alexander III. (1159–1181) legte schliesslich fest, dass allein der Heilige Stuhl für Heiligsprechungen zuständig ist. In den kommenden Jahrhunderten verfeinerte sich das Recht und die Vorschriften der Untersuchung der Tugenden, des Lebens und der Schriften von Gläubigen, die im Rufe der Heiligkeit standen, und der Wunder, die man auf deren Fürsprache zurückführte. Diese Verrechtlichung war zur Lebenszeit von Niklaus von Flüe (1417–1487) keineswegs abgeschlossen.2 Dies hatte auf den Seligsprechungsprozess von Bruder Klaus direkte, nämlich hemmende Auswirkungen.

Frühe «fama sanctitatis» von Niklaus von Flüe

Niklaus von Flüe beeindruckte seine Zeitgenossen schon kurz nach dem Beginn seines Einsiedlerlebens. Besonders hervorstechend war sein Wunderfasten, das ihm schnell den Ruf der Heiligkeit eintrug. Mit gutem Recht überprüfte die Obwaldner Behörde diesen Ruf durch eine einmonatige lückenlose Bewachung, die bestätigte, dass Bruder Klaus keine Nahrung zu sich nahm. Die von Obwalden gewünschte kirchliche Prüfung führte zum gleichen Resultat. Der Konstanzer Weihbischof Thomas Weldner weihte 1469 die extra für Bruder Klaus erbaute obere Ranftkapelle ein und legte fest, dass dieser einst in der Pfarrkirche Sachseln bestattet werden soll. Das war bereits eine frühe Anerkennung des vorbildlichen Lebens von Bruder Klaus. Im Bericht von Hans Waldheim aus dem Jahre 1474 wird er bereits als ein «lebender Heiliger» bezeichnet; dieser Ruf verbreitete sich bis zu seinem Tod am 21. März 1487 weit über die Schweiz hinaus. Der Hinschied von Bruder Klaus löste enorme Beileidskundgebungen aus, und man feierte fortan an mehreren Orten dessen Todestag, auch wenn diese Verehrung kirchlich noch nicht zugelassen war.

Bereits 1488 wurden im Kirchenbuch von Sachseln Bruder Klausens wunderbares Leben und 23 Wunder beschrieben, die man auf seine Fürsprache zurückführte. Im gleichen Jahr gab es schon Streit um die zahlreichen Gaben und Opfer an seinem Grabe. Ebenfalls 1488 wurde am Sachsler Kirchenturm eine Turmuhr mit der Darstellung des seligen Bruder Klaus auf dem Zifferblatt angebracht und 1492 ein Seitenflügel des neuen Hochaltars mit seinem Bild versehen, 1513 sogar eine Statue am Sakramentshäuschen der Sachsler Pfarrkirche und 1516 Bruder Klaus als Turmfigürchen in die wundervolle Kirchenmonstranz angebracht. Der päpstliche Gesandte Francesco Bonomi empfand 1580 dieses Anbringen einer Figur eines noch nicht zur Ehre der Altäre Erhobenen als Ärgernis, wagte es aber nicht, dieses zu entfernen.F

Weitere solche Zeichen der kirchlicherseits unerlaubten Verehrung wie etwa die Landeswallfahrten der Nidwaldner (ab 1540 bis heute) und der Obwaldner (ab 1558) sind sehr zahlreich und vielfältig. Der 1570 erfolgte Grabbesuch des Mailänder Kardinals und Erzbischofs Karl Borromäus wurde als Anerkennung der gewohnheitsrechtlichen, aber kirchlich noch nicht approbierten Verehrung von Bruder Klaus gedeutet.

Reihe von erfolglosen Prozessen

1587 bis 1591 wurde offiziell der erste Prozess für die Seligsprechung von Bruder Klaus geführt, ein Versuch, den vorreformatorischen Eremiten für die alte Kirche zu sichern. Der Prozess erbrachte jedoch keine Resultate, da es wegen ausstehender Soldzahlungen mit dem Nuntius in Luzern ein schweres Zerwürfnis gab und innert 14 Monaten gleich vier Päpste verstarben. Ausserdem scheuten die Schweizer die hohen Kosten einer Seligsprechung, und die für eine erfolgreiche Prozessführung nötigen Kenntnisse und Beziehungen fehlten weitgehend.

Ein Einschnitt war 1603 das Verbot des zuständigen Konstanzer Bischofs Johann Georg von Hallwil, das private Offizium von Heinrich von Gundelfingen aus dem Jahre 1488 weiter zu gebrauchen. Das bedeutet nicht, dass der damalige Fürstbischof gegen die angestrebte Seligsprechung war, sondern dass er Hindernisse dazu aus dem Wege räumen wollte.

Erst 1618 wurden die Bemühungen durch einen neuen Informativprozess fortgesetzt, dem 1621 ein Spezialprozess folgte, jedoch wiederum ohne Ergebnis. 1625 wurde ein neues Verfahren durchgeführt, das zur ersten Tugendanerkennung und der Akzeptierung von Wundern führte. Da jedoch Papst Urban VIII. zwischen 1625 und 1631 neue und wichtige Bestimmungen in Sachen Beatifikation und Kanonisation erliess, unter anderem die zwingende Vorschrift, dass vor einer Seligsprechung keine liturgische Verehrung stattfinden dürfe («De non cultu»), hatte dieser eigentlich erfolgreiche Prozess keine Auswirkungen, sondern wurde stillgelegt.

Die Kultanerkennung

Nach den bisherigen erfolglosen Versuchen wählte man unter Berücksichtigung der neuen Auflagen nicht mehr den ordentlichen Weg zur Seligsprechung «per viam non cultus», sondern den ausserordentlichen, in dem bewiesen werden soll, dass die Verehrung seit mindestens 100 Jahren ununterbrochen nachgewiesen und diese Verehrung natürlich auch begründet ist. So konnte man die «De non cultu»-Vorschrift, die nun ein Hindernis für die Seligsprechung war, umgehen.4 1647 wurde das Grab von Bruder Klaus wiederum rekognosziert und 1648 erneut Prozessakten erstellt, nun nicht mehr mit dem Ziel der formalen Seligsprechung, sondern einer Kultanerkennung, was seit Kardinal Prospero Lambertini/Papst Benedikt XIV. als «beatificatio aequipollens» benannt wird.

1648 bestätigte die Ritenkongregation, dass es seit über 100 Jahren eine Verehrung von Bruder Klaus gebe und somit ein begründeter Ausnahmefall vorliege. Dadurch, dass Papst Innozenz X. 1649 diesen Entscheid stützte, durfte Bruder Klaus in Sachseln nun auch im Rahmen der Liturgie verehrt werden. Zwar war Bruder Klaus mit dieser Kultanerkennung nicht formell seliggesprochen, aber die Kultanerkennung hatte die gleichen Folgen wie eine eigentliche Seligsprechung. Ich sehe hier zusammen mit Johann Ming und Rupert Amschwand zumindest vorläufig den entscheidenden Schritt, der die bisherige lokale Verehrung auch kirchenamtlich absegnete und den Weg zur Heiligsprechung freimachte.

Erste Schritte zur Heiligsprechung

1654 schliesslich anerkannte Rom das Wunderfasten von Bruder Klaus und 1657 gemäss Angelo Garovi, der die Akten dazu im Vatikanischen Archiv konsultiert hat und darüber publizieren wird, auch erneut den heroischen Tugendgrad. Seiner Meinung nach habe somit 1657 die eigentliche Seligsprechung von Bruder Klaus stattgefunden.5 Daniel Sidler formuliert unter Erwähnung der Kultanerkennung von 1649 allgemeiner: «Aus den vorhandenen Quellen wird nicht klar, welchen Akt die Zeitgenossen als Beatifikation interpretierten. Statt sich auf ein Datum festzulegen, scheint es mir angebrachter, die Zeit zwischen 1648 und 1671 als ‹Zeit der Seligsprechung› zu bezeichnen.»6

Als 1669 die Erlaubnis für das Messelesen und das Stundengebet zu Ehren von Niklaus von Flüe erteilt wurde, war in der entsprechenden Bulle die Rede vom Heiligsprechungsprozess des Dieners Gottes (nicht des Seligen!) Niklaus von Flüe. Angelo Garovi schliesst daraus, dass der Heiligsprechungsprozess bereits lief, während andererseits mit dem Begriff «Diener Gottes» auch angedeutet werden könnte, dass Niklaus von Flüe nicht einmal seliggesprochen sei. Sicher ist jedenfalls, dass 1649 mit der Kultanerkennung eine «beatificatio aequipollens» vorgenommen wurde, ein Akt, welcher einer Seligsprechung gleichkam und wenigstens die liturgischen Vorrechte einer Seligsprechung ermöglichte.

1671 schliesslich wurde die in Sachseln zugelassene Verehrung auf die ganze katholische Schweiz und das Bistum Konstanz ausgeweitet. Als sicherer Schluss dieser vorläufigen und unvollständigen Auswertung kann ich jedenfalls bestätigen, was Angelo Garovi in einem Beitrag zum 15. Mai 2017 – voraussichtlich in der «Luzerner Zeitung» – so darlegt: «Es ist schwierig, die Geschichte der Heiligsprechung von Bruder Klaus zu schreiben – sie wurde wohl deswegen auch noch nicht geschrieben.»

 

Der zweite Teil dieses Artikels mit einem Kurzabriss über die Heiligsprechung erscheint in der nächsten SKZ-Ausgabe.

1 Die Festrede ist auf der Homepage der Inländischen Mission aufgeschaltet: www.im-mi.ch

2 Marcus Sieger: Die Heiligsprechung. Geschichte und heutige Rechtslage. Würzburg 1995, 14–113.

3 Dazu und zu den meisten hier erwähnten Begebenheiten: Robert Durrer: Bruder- Klaus. Die ältesten Quellen über den seligen Niklaus von Flüe, sein Leben und seinen Einfluss. Sarnen 1917–1921 [unveränderter Nachdruck 1981]; Rupert Amschwand: Bruder Klaus. Ergänzungsband zum Quellenwerk von Robert Durrer. Sarnen 1987.

4 Vgl. dazu ausführlich zur Seligsprechung bzw. zur Kultanerkennung: J. Ming: Der selige Bruder Nikolaus von Flüe, sein Leben und Wirken. Zweiter Band. Luzern 1863, 288–406.

5 Ich danke Angelo Garovi für die Auskünfte und für die Diskussion.

6 Daniel Sidler: Der «vielseitige» Wundertäter in der katholischen Frömmigkeitskultur des 17. und 18. Jahrhunderts, in: Roland Gröbli / Heidi Kronenberg / Markus Ries / Thomas Wallimann (Hrsg.): Mystiker – Mittler – Mensch. 600 Jahre Niklaus von Flüe 1417–1487. Zürich 2016, 332–342, hier 335, Fussnote 15.

Bruder-Klaus-Blog

P. Peter Spichtig OP und Urban Fink-Wagner veröffentlichen unter www.bruderklausblog.ch regelmässig Beiträge, die neue Einblicke in das Leben und Wirken sowie in die Rezeption von Niklaus von Flüe ermöglichen.

Urban Fink-Wagner

Urban Fink-Wagner

Der Historiker und promovierte Theologe Urban Fink-Wagner, 2004 bis 2016 Redaktionsleiter der SKZ, ist Geschäftsführer der Inländischen Mission.