«Nichts, was ohne Frauen ist, ist für sie»

Die Nepalesin Narma Sunar und die Ordensschwester Nathalie Kangaji aus der Demokratischen Republik Kongo treten wie viele andere Frauen auch für die Schwächsten der Gesellschaft ein.

Die Nähe zu den Menschen ist Sr. Nathalie sehr wichtig: In den Dörfern rund um die Rohstoffminen informiert sie sich über die Sorgen der Bevölkerung. (Bild: Meinrad Schade)

 

Seit 50 Jahren engagieren sich Fastenopfer und Brot für alle in der Ökumenischen Kampagne gegen Armut und für die Rechte und Würde aller Menschen. Das Anliegen, einen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandel anzustossen, soll auch in der Jubiläumskampagne 2019 weitergeführt werden – dieses Mal mit besonderem Fokus auf Frauen, die diesen Wandel vorantreiben.

Vision gegen Ungerechtigkeit

Seit dem Abschluss der Fachhochschule arbeitet Narma Sunar aus Nepal als Agrarberaterin. Die 25-Jährige lebt im entlegensten Teil des Bezirks Kalikot. Dort arbeitet sie in einer Partnerorganisation von Fastenopfer und unterstützt Familien beim Anlegen von Küchengärten und Obstbäumen. Dies ermöglicht ihnen, auch in den trockensten Monaten in dieser ariden Region genügend und gesundes Gemüse zu ernten. Aus- serdem ist Sunar überzeugt: Wenn das Land in der Gemeinde richtig – und schonend – genutzt werden könnte, müssten Männer nicht nach Indien migrieren, um dort zu arbeiten. Dies wiederum würde die Arbeitsbelastung der Frauen verringern, da sie von den Männern bei der Arbeit auf dem Feld und im Haushalt unterstützt werden könnten. Die Frauen würden weder im Dorf zurückbleiben noch müssten sie die Verantwortung für Haus, Hof und Familie alleine tragen. Denn die Arbeit im gebirgigen Kalikot ist mühsam.

Narma Sunar muss sich in ihrer Arbeit stets auf mehreren Ebenen beweisen: als Angehörige der niederkastigen Dalit, die in Nepal als unberührbar gelten, aber auch als Frau. «Ich bin, was ich bin, weil mein Vater an mich geglaubt hat. Er investierte in meine Ausbildung, obwohl sich seine Umgebung über die Geldverschwendung für ein Mädchen lustig machte. Jetzt muss ich beweisen, dass ich als Frau genauso fähig bin wie ein Mann und dass Dalits genauso fleissig sind wie andere Kasten.»
Der noch tief in Nepal verankerten Ungerechtigkeit, die sie als Frau und Dalit-Angehörige im Alltag erlebt, setzt Narma Sunar ihre Vision entgegen: «Ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der Frauen und Mädchen ohne Angst ihre Meinung sagen können, dass sie reisen können, ohne in Frage gestellt zu werden, dass sie während ihrer Menstruation nicht als Unberührbare stigmatisiert werden. Ich wünsche mir, dass jede Form von Gewalt gegen Frauen aufhört.»

Zentrale Rolle in der Wirtschaft

Sunars Schilderungen der Umstände, in denen sich Frauen in Nepal wiederfinden, sind exemplarisch für das, was Fastenopfer in seiner Projekt- arbeit mannigfach sieht: wie Frauen in der Regel von Männern und ihren Entscheidungen abhängig sind, wie mutig sie in ihren Gemeinden für ihre Stimme kämpfen müssen, in denen meist nur Männer das Sagen haben, und wie Frauen psychisch und physisch besonders betroffen sind von Armut. Ganz abgesehen von sexueller Gewalt, die vorwiegend Frauen betrifft und gerade rund um wirtschaftliche Projekte wie Minen und Plantagen zunimmt.

Dabei tragen Frauen in vielen Teilen der Welt die grösste Arbeitslast in der kleinbäuerlichen Landwirtschaft und im informellen Sektor. Zudem leisten sie den Grossteil der Care-Arbeit weltweit, und dies meist unbezahlt. So auch in der Demokratischen Republik Kongo. Dort setzt sich die Rechtsanwältin und Ordensschwester Na- thalie Kangaji für Menschen ein, die vom Rohstoffabbau besonders stark betroffen sind. Die Region Kolwezi ist ungemein reich an Kupfer und Kobalt, und der Hunger der grossen Konzerne ist gross, die Rohstoffe zu Geld zu machen. Die lokale Bevölkerung geht jedoch meist leer aus. Die Minen hinterlassen ihnen vielmehr verunreinigtes Wasser, unfruchtbare oder vergiftete Böden, oder sie werden von den Minenbesitzern von ihrem Ackerland und ihren Heimatdörfern vertrieben. Schwester Nathalie Kangajis Arbeit besteht darin, diese Menschen juristisch und moralisch zu begleiten. Die Frauen in der Region Kolwezi liegen ihr dabei ganz speziell am Herzen. Für diese ist die Situation besonders dramatisch: Sie werden von den Unternehmen, dem Staat oder der eigenen Gemeinschaft kaum informiert und in Entscheidungsprozesse einbezogen, obwohl auch sie von den Folgen betroffen sind. Ohne sauberes Wasser und ohne Zugang zu Land ist ein würdiges Leben aber unmöglich. «Viele Frauen leben am Rande der Gesellschaft und werden als Produktionsinstrument betrachtet», sagt Kangaji. Die diversen Formen von Gewalt ihnen gegenüber machen ihr Leben zusätzlich unerträglich. «Es gibt viel zu tun, damit diese Frauen in Würde leben können und Selbstvertrauen fassen», sagt die Ordensschwester. Sie unterstützt Frauen auch dabei, lesen und schreiben zu lernen, Dinge kritisch zu hinterfragen und öffentlich für ihre Rechte und Bedürfnisse einzustehen.

Gemeinsam für starke Frauen

Auf Frauen wie Narma Sunar aus Nepal und Schwester Nathalie Kangaji aus dem Kongo will die Ökumenische Kampagne von Fastenopfer und Brot für alle aufmerksam machen. Als mutige Akteurinnen treten sie für sich und für Schwächere ein. Sie engagieren sich für eine Wirtschaft, welche die planetaren Grenzen respek- tiert und dafür, dass den Menschen Recht und Gerechtigkeit widerfährt. Sie verstehen Wirtschaft nicht als ungebremstes Wachstum und Gewinnmaximierung. Vielmehr soll Wirtschaft dem Wohl aller, dem Gemeinwohl dienen. Der Mensch soll nicht über die Natur herrschen, sondern Teil von ihr sein. Wirtschaften muss im Dienst der Menschen und des Lebens stehen – nicht umgekehrt. Daran erinnern die Enzyklika «Laudato si’» genauso wie die Erklärung «Ökonomie des Lebens» des Ökumenischen Rats der Kirchen.

Um den Erfolg dieser Frauen zu sichern, müssen die Rechte der Frauen gestärkt werden. Unter dem Motto «Gemeinsam für starke Frauen – gemeinsam für eine gerechte Welt» porträtieren Fastenopfer und Brot für alle 50 Frauen, die sich für einen positiven Wandel einsetzen: in der Schweiz, in Afrika, Lateinamerika und in Asien. Die 50 Jahre der Ökumenischen Kampagne sind Anlass, um das Engagement von 50 Frauen zu zeigen, die stellvertretend für alle Menschen stehen, die sich für eine bessere Welt einsetzen. Am nationalen Suppentag der beiden Hilfswerke  werden diese Porträts ausgestellt. Die Ausstellung kann auch von Pfarreien gebucht werden.* Die porträtierten Frauen verkörpern einen Teil dessen, was auch die «Ökonomie des Lebens» bestätigt: «Der Wandel muss jene einschliessen, die am meisten unter systemischer Ausgrenzung leiden, nämlich Menschen in Armut, Frauen, indigene Völker und Menschen mit Behinderungen. Nichts, was ohne sie ist, ist für sie.»

Vorbild sein für andere

Die Beispiele von Narma Sunar aus Nepal, von Schwester Nathalie Kangaji aus dem Kongo und von den anderen Frauen zeigen trotz der ungerechten Lebensbedingungen aber auch: Es tut sich etwas. Immer mehr Anwältinnen, Lehrerinnen, Aktivistinnen, Ärztinnen, Kleinbäuerinnen, Agrarberaterinnen oder Nonnen fordern selbstbewusst ihre Rechte ein oder wehren sich – manchmal unter Lebensgefahr – gegen Menschenrechtsverletzungen. Immer mehr Frauen leben vor und geben anderen Menschen Mut, ebenfalls für sich einzustehen. So will Narma Sunar trotz der vielen Erwartungen, die die Gesellschaft an sie habe, Inspiration für andere sein: «Wenn die anderen Mädchen und Frauen sehen, wie ich ganz allein von einem Dorf zum anderen reise, mit Menschen über Veränderungen spreche und Männer ausbilde, hilft das ihnen, ihr Selbstvertrauen zu stärken.»

Auch Schwester Nathalie Kangaji setzt sich vehement für die Lebensgrundlage ihrer Gemeinschaft ein. Die Machtlosigkeit der Menschen – und eben besonders der Frauen – sei für sie kaum auszuhalten. Gleichzeitig ist die Misere um sie herum auch das, was sie antreibt. Viele können nicht für sich einstehen – oftmals, weil sie nur schon nicht lesen können. «Aber ich», sagt sie, «ich kann. Und somit kann ich auch etwas gegen diese Ungerechtigkeit tun. Ich kann mich dafür einsetzen, dass diesen Menschen Recht widerfährt. Weshalb sollte ich meine Fähigkeiten nicht denjenigen zur Verfügung stellen, die weniger Glück hatten?»

Madlaina Lippuner

 

* Mehr Informationen siehe: https://sehen-und-handeln.ch und https://fastenopfer.ch

Madlaina Lippuner | © Fastenopfer

Madlaina Lippuner

Madlaina Lippuner ist für die Kommunikation der Ökumenischen Kampagne beim Fastenopfer verantwortlich.