Gerechter Handel bleibt eine Vision

Angeregt durch einen Dokumentarfilm über das Leben von Bananenbauern sensibilisierten Ostschweizerinnen mit Aktionen die Konsumenten und gründeten in den 1980er-Jahren ihre eigene Handelskette.

Die Anfänge des fairen Handels in den 70er-Jahren. (Quelle: «Bananenfrauen» von Ursula Brunner; erschienen 1999 im Huber Verlag Frauenfeld)

 

Ursula Brunner (1925–2017) war die leitende Figur der «Bananenfrauen». Die Frauengruppe begann in den 1970er-Jahren den internationalen Bananenhandel aufzumischen und den Schweizer Detailhandel herauszufordern. Geleitet durch die Vision eines gerechten Bananenhandels erfanden die Frauen den fairen Handel und ebneten den Weg für seinen Erfolg mit viel Hart- näckigkeit. Doch wie lebt das Erbe der Bananen- frauen im heutigen Fairtrade-System weiter?

Gerechtigkeit hat einen Preis

Der Auslöser für die Auseinandersetzung mit dem Bananenthema lieferte der Film «Banana Libertad». Die Dokumentation über die prekären Arbeits- und Lebensbedingungen von Bananenbauern sensibilisierte die Ostschweizer Frauen. Kurzum entschlossen sie sich, die Bananen zu ihrem Thema zu machen und gegen die strukturellen Ungerechtigkeiten im Bananenhandel anzukämpfen. Wie sie das machen wollten, war unklar, bis die Migros verkündete, dass sie den Preis für Bananen senken werde.

Die Preisreduktion von 15 Rappen pro Kilo Bananen pries die Migros als Geschenk für ihre Kunden an. Die Frauenfelder Frauen waren empört. Sie wollten die 15 Rappen der Migros nicht. Sie waren überzeugt, dass dieses Geld nicht ihnen, sondern den Bananenproduzenten zusteht. Zu diesem Zeitpunkt realisierten die Bananenfrauen, dass Handelsgerechtigkeit einen Preis hat, und entschieden sich, für einen gerechten Bananenpreis einzustehen.

Für jedes gekaufte Kilo Bananen überwiesen die Frauenfelder Frauen mittels Einzahlungsschein 15 Rappen an die Migros. Der gewählte Vermerk war aufschlussreich: «Bananengeld, es gehört nicht uns, wir wollen es nicht.» Viele Leute im Umfeld der Bananenfrauen schlossen sich der Aktion an, sodass die Migros ratlos darüber war, was sie mit den vielen überwiesenen Kleinstbeträgen anfangen sollte. Die Migros lud die Bananenfrauen zum Gespräch ein, doch blieb das Treffen fruchtlos. Brunner und ihre Mitstreiterinnen hatten jedoch definitiv ihr Lebensthema gefunden: den gerechten Bananenhandel. Im Fokus stand dabei insbesondere auch der Preis der Bananen, wie Brunner in einem Interview festhielt: «Bei uns spielte ganz klar der Preis eine Rolle. Wir Konsumenten können mehr oder weniger bezahlen und dadurch tragen wir Verantwortung.» Und die Bananenfrauen wollten, dass die Konsumenten mehr bezahlten für die gelbe Frucht.

Mindestpreis und Prämie

«Warum sind die Bananen so billig?» Geleitet durch diese fundamentale Frage organisierten die Frauen Stände und Aktionen, die über die Missstände im Bananenhandel informierten. Dabei plädierten sie für die Notwendigkeit eines Solidaritätsaufpreises von 15 Rappen pro Kilo verkaufte Bananen. Ihre Kampagnen vermochten zu mobilisieren. 1974 verkaufte ein St. Galler Detailhändler tatsächlich zum ersten Mal eine konventionelle Banane mit dem verlangten Solidaritätsaufpreis, der in Projekte für Kleinbauern investiert wurde.

Auch das heute dominierende Fairtrade-System versucht einen gerechten Handel durch die Definition eines Mindestpreises sowie die Vergabe einer Prämie zu erzielen. Komplementär zum Mindestpreis, der von den Käufern eingehalten werden muss, bildet die Prämie einen zusätzlichen Geldbetrag, der von Kleinbauern und Plantagenarbeitern mittels eines demokratischen Entscheidungsfindungsprozesses in lokale Projekte investiert wird. Während der Mindestpreis nur zum Tragen kommt, wenn die internationalen Handelspreise drastisch zusammenfallen, bringt die Prämie einen konstanten Nutzen für die Produzenten. Jüngste Wirkungsstudien betonen die Wichtigkeit der Prämie für das Fairtrade-System, da dieses die lokale Entwicklung fördert und spürbare Vorteile im Alltag bringt. Dazu gehören Direktzahlungen sowie die Realisierung von In- frastrukturprojekten, der Bau von Schulhäusern, Lagerhallen oder Krankenhäusern oder aber auch die Übernahme von Kosten für Schulstipendien oder Schulungen.

Mitte der 1980er-Jahre schritten die Bananenfrauen erneut zur Tat. Es war zu Ende mit den symbolischen Kampagnen, die für einen Aufpreis von 15 Rappen auf konventionelle Bananen plädierten. Die Bananenfrauen erschufen ihre eigene Handelskette für faire Bananen. Ihre ersten Bananen hiessen Nica-Bananen. Wie der Name vorwegnimmt, stammten sie aus Nicaragua, weil die dortigen Kleinbauern aufgrund des durch die USA verhängten Handelsembargos besonders litten. Im März 1986 wurden sie erstmals verkauft, und nur einen Monat später boten kommerzielle Händler die Nica-Banane ihren Kunden an. 400 Kisten Bananen wurden wöchentlich importiert, wobei 5 Rappen in einen Projektfonds und weitere 5 Rappen in den Infrastrukturaufbau investiert wurden. Später stammten die Bananen aus Costa Rica und wurden Pablitos genannt.

Der Aufbau eines gerechten Bananenhandels war tückenhaft. Er erforderte intensive Arbeit und gute Kenntnisse der Markt- und Produktionsstrukturen. Um diese Arbeit zu gewährleisten, gründeten die Bananenfrauen im März 1988 ihre Handelsorganisation: Gebana. Damit mutierten die Bananenfrauen von einer lose organisierten Bewegung zu einer stabilen Organisation, die es ermöglichte, fairen Handel konstant zu praktizieren. Bis heute ist die Handelsorganisation Gebana Bestandteil der fairen Handelsszene. Sie engagiert sich zwar nicht mehr für den Handel von Bananen, doch fokussiert sie weiter den Aufbau eines Handelssystems, das für korrekte Preise und direkte sowie langfristige Handelspartnerschaften einsteht.

Im Unterschied zur dominanten Max-Havelaar-Stiftung, die sich auf die Definition und Kontrolle von fairen Handelsbeziehungen beschränkt, baut Gebana eigene Handelsketten auf. Auf eine vergleichbare Weise operieren auch die Handelsorganisation claro oder kleinere Initiativen wie beispielsweise terrespoir (Früchte) oder Ukuva iAfrica (Gewürze und Saucen), die gerechte Handelsimporte in die Schweiz aufbauen. All diese vielfältigen Initiativen vereinen sich im Schweizer Dachverband für den fairen Handel –, Swiss Fair Trade – der sich der wichtigen Aufgabe annimmt, Kräfte zu bündeln.

Gerechter Handel – ein Nischenphänomen

Mit der Gründung der Max-Havelaar-Stiftung im Jahr 1992 wurde Handelsgerechtigkeit berechenbar und die Fairtrade-Idee wurde vielen Produkten zugeschrieben. Anfangs konzentrierte man sich auf Kaffee, doch kamen bald Honig, Kakao und Zucker sowie Tee hinzu, bis 1997 die Lancierung von Fairtrade-Bananen vor der Türe stand. Eine für Brunner und ihre Verbündeten folgenreiche Produktlancierung.

Entgegen den Erwartungen erfüllten ihre Pablito Bananen die Kriterien der Max-Havelaar-Stiftung nicht. Brunner äusserte Zweifel an der Wirkung und Richtigkeit des neuen Fairtrade-Systems, das sich durch global anwendbare Kriterien auszeichnete und kaum auf lokale Gegebenheiten eingehen konnte. Doch gerade diese abstrakte Standardisierung ist die Stärke des Fairtrade-Systems. Sie ermöglicht es, dass kontinuierlich neue Produkte und Produzentenorganisationen in den fairen Handel eingebunden werden. Brunner und ihre Mitstreiterinnen wollten keine konkurrierende Alternative zur Max-Havelaar-Stiftung aufbauen und zogen sich aus dem Bananenhandel zurück. Gegenüber der Max-Havelaar-Stiftung blieb Ursula Brunner, die Pionierin des fairen Handels, allerdings kritisch. Sie betonte, dass der faire Handel eine Vision bleibt, als sie rückblickend erklärte: «Wir haben zwanzig Jahre nie vom gerechten Handel gesprochen, weil ich war immer sehr ängstlich darin, weil es mir klar war, dass das eine Vision ist – gerechter Handel und gerechte Produkte – und dass das vielleicht nie wirklich werden wird.»

Ob es in naher Zukunft zur Realisierung eines fairen Handels kommen wird, muss wohl weiterhin kritisch beurteilt werden. Mit einem jährlichen Pro-Kopfkonsum von 91 Franken wird die Schweiz als Fairtrade-Weltmeister-Land gefeiert und die Fairtrade-Umsätze zeigen beeindruckende Wachstumsraten. Doch der faire Handel bleibt ein Nischenphänomen innerhalb des globalen Handelssystems. Inwiefern sich dies zukünftig ändern wird und wie sich unsere Definition von fairen Handelsbedingungen entwickelt, hängt wohl weniger von Konsumenten ab wie gerne behauptet, sondern von Entscheidungsträgern in Politik und Wirtschaft.

Nadine Arnold


Nadine Arnold

Dr. Nadine Arnold (Jg. 1984) ist Soziologin an der Universität Luzern. Sie promovierte mit einer Arbeit über Standardisierungsdynamiken im fairen Handel und führte dazu im Jahr 2013 ein Interview mit Ursula Brunner. Ihre aktuellen Arbeiten untersuchen die Rolle von Standards für die globale und lokale Organisation von Food.