Neutral unter der Kontrolle der Grossmächte

Wie entwickelte sich die Schweiz politisch zwischen 1803 und 1830? Die Grossmächte förderten restaurative Bestrebungen. In der Schweiz wuchsen und erstarkten die liberalen Bewegungen.

Die republikanische Schweiz brach 1802 ruhmlos zusammen. Im Prozess des Bürgerkriegs hatte sie kaum eine andere Wahl, als sich an den Ersten Konsul Bonaparte zu wenden. Dieser wartete nur auf die erste Gelegenheit, sich in die Schweizer Angelegenheiten einzumischen und die Ruhe wiederherzustellen, die er in einer strategischen Region am Fusse der Alpenpässe brauchte. Nicht, dass die 1798 geborene «eine und unteilbare» Helvetische Republik nur eine traurige Bilanz vorzuweisen hätte. Ihre Verfassung führte eine kollektive Regierung ein und erzwang zum ersten Mal die grossen Freiheiten, die von der Französischen Revolution geerbt wurden. Sie beseitigte auch jede Vorstellung von Untertanengebiet. Aber die Skepsis gegenüber einem zentralisierten System, das dem Funktionieren der ehemaligen Eidgenossenschaft fremd war, und die Haltung der französischen Truppen, die vor allem in der Zentralschweiz viele Missbräuche begingen, trübten das Image der republikanischen Ära in der Schweiz dauerhaft.

Auf dem Weg zum Bundesvertrag

Bonaparte berief die Delegierten der Konföderation 1803 nach Paris. Er diktierte ihnen den Mediationsakt, der das föderale System von einst wiederherstellte und gleichzeitig die ehemaligen Untertanengebiete wie Waadt, Aargau oder Tessin als den anderen gleichgestellte, konföderative Kantone beibehielt. Jeder Kanton erhielt seine Institutionen zurück: Hier die alten Landsgemeinden, dort die Patriziate, anderswo bekamen die Körperschaften ihre Vorrechte zurück, während die neuen Kantone (vorbehaltlich des Sonderfalls Graubünden) Verfassungen nach französischem Vorbild übernahmen. Stabilisiert unter der Ägide eines nun kaiserlichen Frankreichs, durchlief die Schweiz die Zeit der Vermittlung in relativer Gelassenheit. Komplizierter wurde die Situation nach Napoleons Niederlage bei Leipzig im Oktober 1813. Bern, unterstützt vom österreichischen Bundeskanzler Metternich, strebte danach, seine ehemaligen Vogteien in der Waadt und im Aargau zurückzugewinnen, aber im Dezember 1813 bestätigte die Tagsatzung erstmals die vom abgesetzten Kaiser gegründete konföderative Ordnung. Die Atmosphäre verschlechterte sich Anfang 1814. Bern, unterstützt von Solothurn und Freiburg, aber auch von den Kantonen der Zentralschweiz, pochte auf seine Forderungen. Der Bürgerkrieg schien unausweichlich. Die Delegierten der Grossmächte auf der Tagsatzung, der österreichische Ludwig von Lebzeltern (1774–1854) und vor allem der Grieche Ioannis Kapodistrias (1776–1831), der im Dienste Russlands stand, mussten auf ihr diplomatisches Talent zurückgreifen, um die Eidgenossenschaft zur Vernunft zu bringen. Zar Alexander I., Chef der antinapoleonischen Koalition, versprach seinem ehemaligen Tutor, dem Waldenser Friedrich Cäsar von La Harpe: Sowohl die Waadt als auch der Aargau werden nicht unter die Herrschaft der Berner zurückkehren. Dank des Geschicks und der zwischenmenschlichen Fähigkeiten des sehr republikanischen Kapodistrias, dem Alexander die Schweizer Angelegenheiten anvertraut hatte, einigten sich die turbulenten Helvetier schliesslich auf einen Bundesvertrag, der im Juni 1814 verabschiedet und nur ein Jahr später vereidigt wurde. Allerdings musste die Bundestruppe Nidwalden zwingen, diesen Pakt zu übernehmen. Der Wiener Kongress bestätigte die Organisation der Schweiz: Die ehemaligen Kantone wurden «gerettet» und der grösste Teil des ehemaligen Fürstbistums Basel wurde als Entschädigung an Bern abgetreten.

Pufferstaat und Durchgangsland

Die Restauration begann in einem schwierigen wirtschaftlichen Kontext. Der Ausbruch des Vulkans Tambora1 verwüstete die Ostschweiz und führte zu einer Hungersnot. Die Grossmächte hegten die Illusion, die alte Ordnung wieder aufbauen zu können, als ob die revolutionäre Klammer geschlossen worden wäre. Die Schweiz ist seitdem in ihrer Unabhängigkeit und Neutralität anerkannt: Die Mächte verstanden, dass sie ein befriedetes Land als Pufferstaat zwischen Frankreich und Österreich, aber auch als Garant der Alpenpassagen brauchten. Als Mitglied der Heiligen Allianz war die Schweiz dennoch dem Zorn der Mächte ausgeliefert, die die eher liberalen Orientierungen der Helvetier und deren Widerstand gegen eine vollständige Restauration ablehnten. Frankreich und die deutschen Fürstentümer konnten diese selbst in ihren Ländern nicht vollumfänglich durchsetzen, wovon jedoch der Restaurationstheoretiker Ludwig von Haller träumte. Und wenn es ein Land gibt, in dem der zum Katholizismus konvertierte Berner wenig Erfolg haben wird, dann ist es sein eigenes! Die Kantone wollten ihre Souveränität geniessen und akzeptierten nicht, dass die Mächte die Tagsatzung zwangen, im Jahr 1823 über ein Conclusum2 abzustimmen, das die Presse verpflichtete, ihre Äusserungen gegenüber ausländischen Herrschern zu mässigen. Ebenso erlaubten sie sich, vielen Opfern der monarchistischen Reaktion auf der Suche nach einer neuen Zuflucht und insbesondere aus deutschen Gebieten das Asylrecht zu gewähren.

Wachsende liberale Bewegungen

Die Schweiz veränderte sich. Die Genfer Historikerin Irène Herrmann zeigt auf, wie die protestantischen Kantone die eher liberalen Prinzipien integriert haben, die ihre Wirtschaft seit der Mediation begleiteten. Und dies trotz des reaktionären Geistes, der sie einschliesslich der neuen Kantone dazu brachte, ihre Institutionen entsprechend anzupassen. Der politische Stab der Schweizerischen Restauration ist nicht völlig mit dem der Revolution gebrochen. Wie der Zürcher Historiker Stephan Schwarz erklärt, ist eine gewisse Kontinuität sichtbar: Sie setzte sich oft aus Individuen zusammen, die zwischen einem bewährten Konservatismus, einem reformhungrigen Konservatismus und mehr oder weniger gemässigten Liberalen wie dem Zürcher Paul Usteri (1768–1831) oder Frédéric-César de La Harpe (1754–1838) oszillieren. Aber auch konfessionell veränderte sich die Schweiz: Drei neue Kantone traten 1815 dem Bund bei, das Wallis, Genf und Neuenburg. Der erste ist katholisch, während der zweite – eine Hochburg des Protestantismus – eine Hinwendung zum Katholizismus mit der Aggregation der «Vereinigten Kommunen» in der Stadt Calvins erfuhr. Der Katholizismus bildet ab 1860 die Mehrheit an den Ufern der Arve.

Die ausgeübte Kontrolle der Grossmächte über die Kantone stimulierte die liberale Strömung. Die Erben der Aufklärung und der grossen Prinzipien, die durch die Revolution von 1789 proklamiert wurden, widersetzten sich ab den 1820er-Jahren immer energischer den Regierungen, die in einem Autoritarismus schmachteten, der sie irritierte. Die Erben waren die ersten Liberalen, die in den protestantischen Kantonen und auch in einem katholischen Kanton wie Luzern aktiv waren. Sie beanspruchten Pressefreiheit, in Genf kämpften sie für die Publizität von Parlamentsdebatten. Diese Forderungen verschärften sich mit dem Rückzug des Drucks der Mächte, die in ihren eigenen Territorien zunehmend umkämpft waren. Die Städte in vielen der herrschenden Kantone erlebten die Entstehung liberaler Bewegungen in ihren Peripherien und auf dem Land. 1828 wurde die Appenzeller Zeitung zum Sprecher liberaler Ideen und trat in die Fussstapfen der Nouvelliste vaudois und des Journal de Genève. 1829 wurde das sechs Jahre zuvor angenommene Conclusum mit allgemeiner Gleichgültigkeit abgeschafft.

Ab 1832 zunehmend eine religiöse Frage

Liberale Ideen beeinflussten bis zu diesem Zeitpunkt die konfessionellen Strukturen der Schweiz nur teilweise. Die protestantischen Kantone, vor allem in der Westschweiz, zwangen die sogenannten Erweckungsbewegungen zugunsten der Nationalkirchen zu einer Quasi-Stille. Als Zeichen wachsender Nervosität wurde der Interventionismus des Heiligen Stuhls in Schweizer Angelegenheiten immer spürbarer, insbesondere im Hinblick auf Mischehen, die sich unter den besorgten Augen vieler Katholiken vervielfachten.Dennoch herrschte in den katholischen Kantonen und in Kantonen mit einer grossen katholischen Minderheit, wie dem Aargau, immer noch ein katholisch geprägter, eher liberaler Katholizismus. Dieses religiöse Gleichgewicht wurde durch die ersten konkreten Manifestationen des Aufstiegs der Liberalen, insbesondere in den protestantischen Kantonen, nicht erschüttert, auch wenn es der Kanton Tessin war, der sich im Mai 1830 zuerst eine liberale Verfassung gab, bevor Frankreich im Juli in Aufruhr geriet. Erst in einer zweiten Phase, bereits 1832 mit der Debatte über die Revision des Bundesvertrages, kristallisierte sich der Konflikt zwischen Liberalismus und bald Radikalismus und Konservatismus mehr und mehr um die religiöse Frage heraus.

Olivier Meuwly

 

1 Der Tambora ist ein Schichtvulkan auf der Insel Sumbawa in Indonesien. Er war zwischen dem 10. und 15. April 1815 äusserst aktiv. Das durch die Eruption ausgeworfene Material bewirkte globale Klimaveränderungen. Die Auswirkungen beeinflussten das Wetter in Nordamerika und Europa. Es kam durch Missernten und eine erhöhte Sterblichkeit bei den Nutztieren zur schlimmsten Hungersnot des 19. Jahrhunderts.

2 Zu Beginn der Restauration kamen politische Flüchtlinge in grosser Zahl in die Schweiz. Die Grossmächte, die für sich in Anspruch nahmen, die Hüter der Schweizer Neutralität und des Bundesvertrags zu sein, befürchteten, dass die Flüchtlinge wie ein liberales Ferment wirken würden. Der Reichstag fällte am 14. Juli 1823 repressive Entscheidungen (conclusum) gegen die Pressefreiheit und für die Ausweisung von Flüchtlingen. Mehr Informationen unter: https://hls-dhs-dss.ch/fr/articles/017228/2005-08-10

Weiterführende Literatur:
• Herrmann, Irène, 12 septembre 1814. La Restauration. La Confédération réinventée, Lausanne 2016 (Livres de la collection Le savoir suisse).
• Schwarz, Stephan, Im Spannungsfeld zwischen Wiederherstellung und Wandel. Die politische Elite der Schweiz während der Restauration von 1814 bis 1830, Basel 2021.
• Meuwly, Oliver, La Régénération (1830–1847). Le libéralisme suisse à l‘épreuve du pouvoir, Lausanne 2022 (Livres de la collection Le savoir suisse).

 


Olivier Meuwly

Olivier Meuwly (Jg. 1963) promovierte in Recht und Geschichtswissenschaft an der Universität Lausanne. Er arbeitet heute als Projektleiter beim Statistischen Amt des Kantons Waadt. Er ist Direktor der Reihe «Geschichte » der «collection Le savoir suisse » bei «Presses polytechniques et universitäres romandes». Er ist Autor zahlreicher Werke über die Geschichte der Waadt und der Schweiz.