Neugierde als Chance nutzen

Die Umfrage der SBK im Vorfeld zur Bischofssynode über die Jugend vom Herbst ist abgeschlossen. Die SKZ wollte aus diesem Anlass wissen, wie Jugendliche zum Thema «schöpferische Treue» stehen.

Jugendbischof Alain de Raemy* und Fachstellenleiter Viktor Diethelm* geben Einblick in ihre persönlichen Erfahrungen mit jungen Menschen im Umgang mit Treue. Sie wurden getrennt voneinander befragt.

 

SKZ: Was kommt Ihnen zu schöpferischer Treue spontan in den Sinn?
De Raemy: Treue kann nicht passiv sein. Das Leben ist nicht statisch; es passieren Dinge, man entwickelt sich. Treue muss schöpferisch sein, sonst verpasse ich mich und bleibe in einer Vergangenheit, die eigentlich keine Zukunft will.

Diethelm: Es geht um ein Abwägen zwischen dem, was für mich essenziell ist, und demjenigen, was ich tolerieren kann, dem ich aber nicht meine feste Zustimmung geben muss.

 

Wie erleben Sie Jugendliche in Bezug auf Treue?
De Raemy: Junge Menschen erwarten, obwohl sie das nicht zugeben würden, von Erwachsenen ein Beispiel und Impulse. Ich merke aus den Briefen, die mir Firmanden schreiben, dass sie in Sachen Treue oft sehr verletzt sind. Es schmerzt sie zum Beispiel sehr, wenn der Vater oder die Mutter ihnen gegenüber gleichgültig ist oder die Eltern getrennt leben.

Diethelm: Die Frage ist, ob dieses Wort unter Jugendlichen überhaupt viel vorkommt. Ich beobachte, dass sie sehr wohl Treue pflegen: in Beziehungen, Familien, teilweise auch in den sozialen Medien. Hier ist es vor allem eine Werte-Treue.

 

Wie zeigt sich schöpferische Treue zur Kirche bei Jugendlichen?
De Raemy: Sie freuen sich, wenn sie sehen, dass andere Jugendliche auf dem gleichen Weg sind. Sie erwarten vom «Vorgesetzten im Glauben», dass er ihnen den Glauben vermittelt.

Diethelm: Die Resultate des NFP 58 (nat. Forschungsprogramm zu Religionsgemeinschaften, Staat und Gesellschaft, Anm. d. Red.) zeigen auf, dass sich 10 bis 15 Prozent der Jugendlichen gegenüber der Institution Kirche als treu verstehen. Für die anderen ist die Kirche eine Institution wie jede andere auch, die Wertvorstellungen vermittelt und Deutungen anbietet. Anders ist es bei jenen, die mit einem Jugendarbeiter Kontakt haben. Dort steht die Person im Vordergrund. Es gibt eine Treue zur Person, nicht zur Institution.

 

Was heisst das für die Begleitung?
De Raemy: Die Begleiter sollten nie Angst haben, bei den Jugendlichen zu sein. Wenn sie mit ihnen in einem ganz anderen, nichtkirchlichen Kontext zusammen sind und doch zu dem stehen, was sie sind, dann haben diese jungen Menschen Vertrauen. Jugendpastoral geschieht vor allem über Beziehungen. Auch unter den Jugendlichen selbst.

Diethelm: Wir können dort überzeugen, wo es um die eigene Entwicklung und Auseinandersetzung mit der Glaubenswelt der Jugendlichen geht. Dabei muss ich als Jugendarbeiter authentisch sein und meine Position differenziert darlegen, gerade da, wo ich selber Kritik übe, damit ich den Jugendlichen die Chance gebe, den Kern des Glaubens zu entdecken. Das ist eine hohe Anforderung, die oft unterschätzt wird. Wir haben sehr wohl Möglichkeiten, aufzuzeigen, dass sich Treue lohnt. Das verheissene Leben in Fülle ist eine lohnenswerte Anstrengung.

 

Hat sich während Ihrer Zeit in der Jugendarbeit die Sichtweise der Jugendlichen verändert und wenn ja, inwiefern?
De Raemy: Der Kontakt, den die Jugendlichen über die sozialen Medien pflegen, hat sie stark verändert. Es ist schwieriger, ihre Aufmerksamkeit zu erhalten. Eine grosse Chance ist, dass die Jugendlichen nichts mehr vom Glauben wissen. Diese Neugierde für etwas, das sie überhaupt nicht kennen, ist für uns eine riesige Chance!

Diethelm: Die Entwicklungsaufgaben, welche die Adoleszenz mit sich bringt, sind immer noch die gleichen, sie ereignen sich heute aber ganz anders. Früher haben die Jugendlichen gesagt: «Kirche? Nein danke!» Das ist vorbei. Die Jugendlichen haben ein wachsendes Interesse an der Kirche. Wir können nicht mehr auf ein sozialisiertes Glaubensverständnis aufbauen und weiterfahren. Wir müssen oft bei null anfangen. Ich selber finde das spannend. Das beinhaltet auch Chancen.

Interviews: Rosmarie Schärer

 

 

*Interview-Partner
Viktor Diethelm (Jg. 1974) ist Leiter der Deutschschweizer Fachstelle für offene kirchliche Jugendarbeit.

Msgr. Alain de Raemy (Jg. 1959) ist seit 2014 Weihbischof für die Diözese Lausanne, Genf und Freiburg. In der Schweizer Bischofskonferenz ist er unter anderem für den Sektor Jugend zuständig.

BONUS

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