«Neuevangelisierung geschieht im Dialog»

Sie stehen Studierenden bei Fragen und Problemen zur Seite, ermöglichen Gemeinschaft und bieten Raum für die grossen Sinnfragen. Das Aufgabenfeld von Seelsorgenden an den Hochschulen ist weit.

Dr. Isabelle Senn (Jg. 1985) studierte Theologie in Freiburg i. Ue., Maynooth (IRL) und Münster (D). Sie ist seit 2018 Hochschulseelsorgerin im aki Bern. (Bild: Pia Neuenschwander)

 

SKZ: Was fasziniert Sie an der Hochschulseelsorge?
Isabelle Senn: Mit jungen Menschen unterwegs sein zu dürfen bedeutet, sich am Puls der Zeit zu bewegen und sich täglich mit Fragen auseinanderzusetzen, welche die junge Generation umtreiben – aktuell etwa die Klimathematik. Als Hochschulseelsorgerin bin ich in einem Kontext tätig, in dem solche Fragen unter jungen Menschen nicht nur intellektuell und interdisziplinär diskutiert, sondern bewusst auch in einen Horizont des christlichen Glaubens gestellt werden. Ich schätze es sehr, dass wir in der Hochschulseelsorge Raum und Zeit haben, auf die Anliegen von Studierenden einzugehen, ihnen aber auch Spielräume eröffnen zu können, um sich selbst aktiv einzubringen.

Welche Fragen beschäftigen die Studierenden?
Zunächst sind es ganz pragmatische, alltagsrelevante Themen: Wie organisiere ich mein Studium? Wie bereite ich mich am besten auf Prüfungen vor? Was kann ich tun, um eine Work-Life-Balance zu halten? Eine Frage, die unter Studierenden immer wieder diskutiert wird, lautet: Welchen Beitrag zu einer «besseren» Welt kann ich persönlich leisten? Dann gibt es natürlich auch die grossen Fragen nach dem Sinn des Lebens sowie Fragen, die aufkommen, wenn junge Menschen sich kritisch mit herkömmlichen Glaubensinhalten und Glaubenspraktiken der eigenen Kindheit und Jugend auseinandersetzen.

Hochschule verbindet man sofort mit «Intellekt». Suchen die Studierenden intellektuelle Gespräche oder eher Angebote, die die Gefühle ansprechen?
Für viele ist das aki ein Ort, an dem sie in erster Linie Gemeinschaft suchen. Die Angebote der Hochschulseelsorge – namentlich der offene Mittagstisch am Dienstag – bieten die Möglichkeit, mit Studierenden anderer Fächer und Semester unverbindlich ins Gespräch zu kommen. Vielfach ergeben sich aus solchen Begegnungen von selbst tiefgründige Gespräche und fachliche Diskussionen.

Heute wird von der Notwendigkeit der Neuevangelisierung gesprochen. Wie stehen Sie dazu?
Neuevangelisierung geschieht für mich im Dialog; es geht darum, das Leben im Lichte des Evangeliums zu deuten. Dazu ist Sprachfähigkeit gefordert – und die Offenheit gegenüber dem, was Menschen (er)leben. In diesem Sinne ist das aki Bern durchaus ein Ort, an dem Neuevangelisierung stattfindet.

Erinnern Sie sich an eine besonders bemerkenswerte Begegnung?
Regelmässig tauscht sich eine Gruppe von Studierenden, ausgehend von einem Evangeliumstext, über Lebens- und Glaubensfragen aus. Bei einem Treffen drehte sich das Gespräch sinngemäss um die Frage, wie sich christliche Existenz in der Welt primär zu bewähren hat. Es bildeten sich zwei Fronten: Eine Hälfte der Gruppe sah in der Eucharistiefeier als Quelle der Befähigung zu jedem Handeln in der Welt, das aus dem Glauben motiviert ist, die vorrangigste christliche Tätigkeit. Für die andere Hälfte der Gruppe war klar, dass eine solche Feier des Glaubens erst wirklich möglich ist, wenn sozusagen der letzte Bettler vor der Kirchentür satt geworden ist. Mich hat es tief berührt, an diesem Abend mitzuerleben, wie junge Leute mit verschiedenen Glaubensansichten einander zuhörten, respektvoll aufeinander eingingen, mit der jeweils anderen Auffassung wertschätzend umgingen – und anschliessend zusammen Gottesdienst feiern konnten.

Das aki ist eine Gründung des Jesuitenordens. Spürt man das noch?
Nach wie vor bietet es als offenes Haus im akademischen Umfeld einen Ort, an dem Menschen in Gemeinschaft etwas erarbeiten und erleben, ihren Glauben ins Gespräch bringen und ihm Ausdruck verleihen.

Interview: Rosmarie Schärer

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