Neuer orthodoxer Primas in der Ukraine

40 Tage nach dem Tod von Metropolit Waldimir (Wolodymyr), dem Oberhaupt der zum Moskauer Patriarchat gehörenden ukrainisch-orthodoxen Kirche, hat die Kirchensynode am 13. August 2014 den favorisierten Onufri (Berezovskij) zum Primas von Kiew gewählt. Mit ihm verbinden sich grosse Hoffnungen in dem durch den Krieg tief gespaltenen Land, wo ein immer tieferer Riss auch durch die grösste Kirche des Landes geht.

Während im Osten der Ukraine um die Zentren Donezk und Lugansk die ukrainische Armee und die mit ihr verbündeten irregulären Freiwilligenverbände zum Endkampf auf die beiden letzten Hochburgen der pro-russischen Separatisten ansetzten, wählte eine Bischofsversammlung der ukrainischen orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats am 13. August im Kiewer Höhlenkloster ein neues Kirchenoberhaupt. Angesichts des Krieges, der in der Ostukraine tobt, und des Flugzeugabschusses mit internationalen Implikationen beschäftigte sich die ukrainische Öffentlichkeit kaum mit der Nachfolgefrage des Kiewer Metropolitansitzes. Die Bischofsversammlung wählte den 69-jährigen Metropoliten Onufrij aus dem westukrainischen Czernowitz zum Nachfolger des Anfang Juli verstorbenen Kiewer Metropoliten Wolodymyr. Für Onufrij stimmten nach Angaben der Kirche im zweiten Wahlgang 48 der 78 anwesenden Bischöfe. Bereits im ersten Wahlgang hatte er mit 36 Stimmen vor Metropolit Antonius von Boryspol und Brovarskyi und Metpropolit Simeon von Vinnytsia und Bar in Führung gelegen. Sein Vorgänger, Metropolit Wolodymyr, war 1992 noch vom Patriarchen von Moskau ohne Wahl nach Kiew entsandt worden, hatte sich dann aber sehr schnell von seinen russischen Vorgesetzten abgesetzt. Dennoch geht vielen Kirchenmitgliedern angesichts der Spaltung der Ukraine die Unabhängigkeit der ukrainischen Teilkirche von Moskau nicht weit genug. Die Teilung des Landes in einen nach Europa strebenden Westteil und eine nach Russland tendierende Osthälfte spiegelt sich auch in der grössten Kirche der Ukraine wieder.

Onufrijs schwieriges Erbe

Onufrij leitete bereits seit knapp einem halben Jahr statthaltermässig die Kirche. Ende Februar, auf dem Höhepunkt der Maidan-Proteste, hatte das Leitungsgremium der Kirche Wolodymyr krankheitshalber von seinen Amtsgeschäften entbunden und Onufrij zum kommissarischen Vorsteher berufen. Der Tod von Metropolit Wolodymyr, der 1990 noch Gegenkandidat von Alexey Ridiger bei der Wahl des Russischen Patriarchen war, hat die Ukrainische Orthodoxe Kirche sehr getroffen. Kaum eine andere Persönlichkeit genoss in der Ukraine landesweit eine so grosse Autorität und Ausstrahlung wie der Kiewer Metropolit. Er war es, der die innere Einheit der Kirche garantierte. Einen offenen Streit mit ihm wagte nicht einmal Patriarch Kyrill von Moskau, so gross war seine Autorität auch in Moskau. Die Ukrainische Orthodoxe Kirche hatte mit ihm ihren Gründungsvater verloren.

Nach der Unabhängigkeit der Ukraine 1991 war zunächst der umstrittene Erzbischof Filaret Denisenko (85), der selbst aus dem eher russisch geprägten Donbas stammt, zum Metropoliten von Kiew und der gesamten Ukraine ernannt worden. Als es diesem nicht gelang, beim Bischofskollegium für seine ukrainische Metropolie den Status der Autokephalie zu erlangen, machte er sich mit Hilfe des ukrainischen Präsidenten zum Patriarchen einer eigenen ukrainischen orthodoxen Kirche des Kiewer Patriarchats. Der Moskauer Patriarch Alexey II. setzte ihn ab und schickte 1992 seinen Rivalen Wolodymyr als Metropoliten nach Kiew. Wolodymyr erkannte weiterhin das Moskauer Patriarchat an, aber erreichte einen autonomen Status innerhalb der russischen Orthodoxie. Heute bekennen sich zwischen sieben Millionen und zehn Millionen Ukrainer zum Kiewer Patriarchen Filaret, der von Moskau wegen Kirchenspaltung exkommuniziert wurde und auch vom Ökumenischen Patriarchen in Konstantinopel nicht anerkannt wird.

Unter Metropolit Waldimir hatte sich die ukrainisch-orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats gut entwickelt. Er galt im Gegensatz zu seinem Kontrahenten Filaret als menschlich integer und war bei katholischen und evangelischen Kirchenführern anerkannt. Unter seiner Amtszeit hatte sich die Anzahl der Diözesen und Pfarrgemeinden in der Ukraine verdoppelt und die der Bischöfe sogar mehr als verdreifacht. Besonders das Klosterleben lag ihm, der seinen Sitz im Kiewer Höhlenkloster hatte, am Herzen. Unter seiner Amtszeit war die Zahl der Klöster von 28 auf 211 gestiegen. Dagegen besitzt das Ukrainische Patriarchat von Filaret fast überhaupt kein Kloster. Der aus Chmelnitzki im Westen der Ukraine stammende Metropolit stand den Forderungen seiner Landleute bezüglich grösserer Distanz zu Moskau offener gegenüber als manche seiner Bischöfe im Osten und Süden der Ukraine. Noch am 30. September 2013 hatte Wolodymyr einen «Appell an das ukrainische Volk» unterschrieben, in dem er sich mit den anderen Religionsführern der Ukraine für die europäische Integration seines Landes aussprach.

Der neue Primas der Ukraine, Erzbischof Onufrij

Das neue Kirchenoberhaupt war seit 1990 Bischof von Czernowitz und der Bukowina, seit 2000 im Rang eines Metropoliten. Vorher hatte er jedoch, anders als Wolodymyr, fast seine gesamte kirchliche Laufbahn in Russland absolviert. Die Wahl von Metropolit Onufrij, der am 5. November 1944 in der Nähe von Czernowitz in der Westukraine als Sohn eines Priesters geboren wurde, war auch ein Kompromiss. Kandidaten aus dem pro-russischen Donbas wären von den Kiewer Behörden nicht akzeptiert worden, obwohl auch Patriarch Filaret selbst aus dem Donbas stammt. Deshalb schied der Donezker Metropolit Ilarion von vornherein aus. Auch Metropolit Agafangel von Odessa galt der Kiewer Führung ebenfalls als unerwünschte Person.

Es gab also fast keine Alternative zu Onufri. Er ist wie sein Vorgänger «ein Mann der Kirche», «ein Beter», tritt an Stelle «eines Beters», damit wird eine gewisse Kontinuität gewährleistet, zumindest nach aussen. Metropolit Wolodymyr war kein Revolutionär, auch kein Liberaler, aber er war auch nicht konservativ. Dagegen ist Metropolit Onufrij ein glänzender Vertreter des russischen geistlichen Konservatismus. Einige Jahre war er Rektor der Lawra, dem Dreifaltigkeitskloster, von Potschajiw in der Nähe von Moskau. Er steht in der russischmonastischen Tradition. Als vorbildlicher Mönch geniesst er verdienstvollen Respekt in der Kirche. Als solcher wird von ihm Gehorsam erwartet. Das bedeutet, dass Metropolit Onufrij dem Patriarchen von Moskau kaum widersprechen wird, wie das noch sein Vorgänger getan hat. Reformen, die in der Ukrainischen Orthodoxen Kirche nötig sind, sind von ihm kaum zu erwarten.

In der fragilen politischen Lage der Ukraine steht Onufrij unter hohem Erwartungsdruck: Er soll auf kirchlicher Ebene mässigend wirken und den Dialog zwischen den vielfältigen orthodoxen Strömungen im Land vorantreiben. Insgesamt zählt man in der Ukraine zwölf orthodoxe Glaubensgemeinschaften. Anders als die Moskau-treue Kirche hat das Kiewer Patriarchat unter Filaret die Spaltung des Landes und die Krise genutzt, um bei der Bevölkerung zu punkten. Als drittgrösste orthodoxe Glaubensgemeinschaft gilt die Ukrainische Autokephale Kirche, die sich schon Anfang des 20. Jahrhunderts vom Moskauer Patriarchat losgesagt hat. Sie stützt sich auch auf einige orthodoxe Kirchen in der Diaspora, ist aber ebenfalls von der Weltorthodoxie nicht als eigenständig anerkannt.

Drei von vier Ukrainern bekennen sich zum orthodoxen Glauben, ein Drittel aller Gemeinden des Moskauer Patriarchats befinden sich in der Ukraine, was die Bedeutung dieser Kirche auch für Moskau beweist.

Belastende Vertrauenskrise

Die Ukrainische Orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats befindet sich in einer tiefen Krise. Es handelt sich nicht so sehr um eine Krise der Kirchenleitung, sondern eher um eine Vertrauenskrise gegenüber dem Volk und der Gesellschaft, in denen diese ihre Mission verrichtet. Der Krieg im Osten und die Spaltung des Landes haben der Kirche sehr geschadet und die Spaltung auch in die Kirche hineingetragen. Um auf diese Spaltung zu reagieren, hatte die Kirchenleitung viele ihre Befugnisse an die einzelnen Eparchien abgegeben. Nur dieser «kirchliche Föderalismus» hat ihr geholfen, ihren Zusammenhalt zu bewahren. Die Kiewer Metropolie hat jedoch dadurch ihren Einfluss auf ihre lokalen Unterabteilungen verloren. So kamen in den letzten Monaten Erklärungen von der Kiewer Metropolie, die den Separatismus im Osten verurteilten, während gleichzeitig Priester der östlichen Eparchien Fahnen der Donezker Volksrepublik weihten. Als Separatisten der «Russisch-Orthodoxen Armee» einen Geistlichen der mit Rom unierten griechischkatholischen Kirche im Osten entführt hatten, fand sich kein Bischof der orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats, der die Verhandlungen zur Freilassung dieses Priesters mit den Separatisten führte, sondern lediglich der geistliche Leiter der Moslems in der Ukraine (DUMU). Die Ukrainische Orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats war bis zum Maidan dieselbe postsowjetische Kirche, wie die Ukraine ein postsowjetisches Land war. Nach dem Ende des Krieges im Osten wird die Ukraine jedoch ein anderes Land sein; wenn es dann der grössten Kirche des Landes nicht gelingt, sich dieser Situation zu stellen, wird sie ihre starke Stellung im Lande verlieren. Seit der immer stärkeren Instrumentalisierung der Ukrainischen Kirche des Moskauer Patriarchats durch Putin und dessen Annexionspolitik in der Ukraine hat diese in der Ukraine in grossem Masse an Zustimmung und Mitgliedschaft verloren und könnte sogar in ihrer Mitgliederzahl auf den zweiten Platz nach der Kirche von Patriarch Filaret abgerutscht sein.

Metropolit Wolodymyr hatte neben den Falken, die er gewähren lassen musste, eine Reihe von talentierten jungen Kirchenleuten um sich gesammelt. Zu diesen zählen der «bloggende» Erzpriester Georgij Kowalenko, Metropolit Oleksandr Drabinko, aber auch der Wissenschaftler Archimandrit Dr. Cyril Hovorun, derzeit Dozent an der Yale University. Auf diesen ruhen die Hoffnungen der grössten ukrainischen Kirche, wenn sie ihre eigene Spaltung und die Spaltung des Landes überwinden will. Wenn diese Kräfte nicht weiter gefördert werden, dann hätte die grösste orthodoxe Kirche der Ukraine mit dem Tod ihres Gründers, Metropolit Wolodymyr, nicht nur ihr Oberhaupt, sondern auch die Hoffnung auf eine gesellschaftliche Versöhnung über politische, konfessionelle, kulturelle und ethnische Fronten hinweg verloren.

 

 


Bodo Bost

Bodo Bost studierte Theologie in Strassburg und Islamkunde in Saarbrücken. Seit 1999 ist er Pastoralreferent im Erzbistum Luxemburg und seit 2013 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachbereich Public Responsibility an der kircheneigenen Hochschule «Luxembourg School of Religion & Society».