Neuer Konsens zur Rechtfertigungslehre

Ökumenischer Meilenstein mit einem Bedeutungsüberschuss gegenüber der traditionellen Lesart

Mit der Erklärung zur Rechtfertigungslehre wurde erstmals ein Dialogdokument zwischen Römisch-katholischer Kirche und Lutherischem Weltbund von den Kirchenleitungen rezipiert.

Als im Jahr 1999 die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre (GER) von Vertretern der Römischkatholischen Kirche und des Lutherischen Weltbundes unterzeichnet wurde, war dies ein ökumenischer Meilenstein. Es ist das erste und bisher einzige von zahlreichen Dialogdokumenten zwischen der Römisch-katholischen Kirche und einer aus der Reformation entstammenden Kirche, das offiziell von den Kirchenleitungen rezipiert wurde.

Alle anderen Dokumente besitzen zwar einen offiziellen Status insofern, als sie von kirchenamtlich beauftragten Kommissionen erarbeitet wurden, doch eine formelle Rezeption blieb bislang aus. Die GER ist nicht nur eine erfreuliche Ausnahme, sondern zeigt, dass sich die Mühe der vielen Vorläuferdokumente gelohnt hat. Sie stellten die Basis für die GER dar, und man darf die Hoffnung pflegen, dass auch andere Dialogdokumente langfristig noch in solche Erklärungen münden werden.

Wie das vorliegende Buch zeigt, ist die GER noch in anderer Hinsicht zukunftsweisend. Die Erklärung des erreichten Konsens in der Rechtfertigungslehre hat nicht den buchhalterischen Charakter einer Bilanz, auf der man sich nun ausruht. Vielmehr verband sie sich mit der Selbstverpflichtung, «das Studium der biblischen Grundlagen der Lehre von der Rechtfertigung fortzuführen und zu vertiefen» (Gemeinsame Offizielle Feststellung Nr. 3). Die hier vorgestellte Studie «Biblische Grundlagen der Rechtfertigungslehre » löst diese Selbstverpflichtung ein. Die Kommission, die diese Studie erarbeitete, umfasste neben katholischen und lutherischen auch methodistische und reformierte Theologinnen und Theologen, da auch die GER selbst offen für die Integration anderer Kirchen ist. So hat sich der Weltrat methodistischer Kirchen 2006 in einer Zustimmungserklärung dem Konsens in der Rechtfertigungslehre angeschlossen.

Die GER fusst nicht zuletzt auf Entwicklungen der modernen Exegese, die zu ökumenischen Annäherungen geführt hat, ohne dass dies in der Erklärung selbst im Detail ausgeführt werden konnte. Die vorliegende Studie holt dies nach und gibt Raum, «die biblischen Texte in ihren eigenen Kontexten, mit ihren eigenen Strukturen, Begriffen und Schwerpunkten » zu interpretieren. Integriert werden zudem neue Einsichten der Paulusforschung und des jüdisch-christlichen Dialogs, die deswegen brisant sind, weil sie jene Paulusexegese, die zu ökumenischen Annäherungen geführt hatte, hinterfragen. Umso bedeutsamer ist die ökumenische Konvergenz, welche die Studie auch für die neueren Entwicklungen der Exegese aufzeigt.

Den beiden Hauptteilen zum Alten (Abschnitt 4) und Neuen Testament (Abschnitt 5) schickt die Studie neben einer Einführung (Abschnitt 1) eine hermeneutische Vergewisserung (Abschnitt 2) und einen Blick auf Traditionen der Bibelinterpretation (Abschnitt 3) voraus. In dem Masse, wie aktuelle exegetische Forschung in die ökumenische Arbeit einfliesst, wird unübersehbar, wie unterschiedlich die Ziele und Methoden, die zur Zeit der Reformation in Gebrauch waren, zu den heutigen Herangehensweisen sind. Die Studie präsentiert neben Rückblicken auf die Auslegungstraditionen des 16. Jahrhunderts auch «eine Reflexion auf das Problem, wie man Ergebnisse heutiger Forschung auf die traditionellen Schriftauslegungen und die ihnen korrespondierenden Verständnisse des christlichen Glaubens beziehen kann».

In den Abschnitten über die biblische Rechtfertigungslehre werden ausgewählte Texte kontextuell situiert. Sie kommen so in ihrer Unterschiedlichkeit und Vielfalt zur Geltung. «Ein Bündel von Begriffen und eine Zusammenstellung von Realitäten, so umfassend wie das ganze Leben, kommen in den Blick, wenn wir über Gerechtigkeit nachdenken, die zuerst und immer etwas ist, das Gott zugehört» – einem Gott, der Gerechtigkeit an die Menschen austeilt.

Die alttestamentlichen Texte werden bis hinein in ihre frühjüdische und neutestamentliche Rezeption verfolgt, umgekehrt die jüdischen Wurzeln paulinischer Theologie offengelegt. Dadurch wird deutlich: «Das Alte Testament ist nicht der dunkle Hintergrund, gegen den das Licht der paulinischen Theologie der Rechtfertigung umso heller scheint, sondern das Fundament, auf dem die ganze Lehre aufgebaut ist.» Zugleich tritt ein Bedeutungsüberschuss gegenüber der klassischen Rechtfertigungslehre hervor, insofern Paulus die Rechtfertigung des Einzelnen durch den Glauben aus Gnade in ekklesialen und sozialen Dimensionen expliziert. Gerade dies bestätigt den zentralen Stellenwert, den die Rechtfertigungslehre hat, zumal aufgewiesen werden kann, dass die paulinische Theologie diesbezüglich mit anderen Traditionen des Neuen Testaments konvergiert.

Die Studie schliesst mit einer Zusammenfassung und einem Rückbezug auf die GER, deren differenzierter Konsens als bestätigt angesehen wird. Eine kritische Sichtung traditioneller konfessioneller Formulierungen der Rechtfertigungslehre und ein Ausblick auf ekklesiale Konsequenzen sorgt dafür, dass die Studie nicht als Abschluss, sondern Herausforderung und Verheissung gelesen werden muss.

Die Rezensentin war in der Kommission, die das Dokument «Biblische Grundlagen der Rechtfertigungslehre » ausgearbeitet hat.

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Klaiber, Walter (Hg.): Biblische Grundlagen der Rechtfertigungslehre. Eine ökumenische Studie zur Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre. Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig | Bonifatius 2012, 176 Seiten, Fr. 28.40.

Englische Erstveröffentlichung: The Biblical Foundations of the Doctrine of Justification. An Ecumenical Follow-Up to the Joint Declaration on the Doctrine of Justification. NJ: Paulist Press 2012. 129 Seiten, Fr. 25.40

Eva-Maria Faber

Eva-Maria Faber

Prof. Dr. Eva-Maria Faber ist Ordentliche Professorin für Dogmatik und Fundamentaltheologie an der Theologischen Hochschule Chur