Neue Sprachen für Gott?

Viele sind heute auf der Suche nach religiös-spirituellen Sprach- und Ausdrucksformen. Zeitgenössische Dichtung kann dabei eine Brücke sein. Birgit Jeggle-Merz und Christoph Gellner, zwei Referenten der Impulstatung «Neue Sprachen für Gott?»* befragten einander gegenseitig zu diesem Thema.

Birgit Jeggle-Merz (BJM): Warum braucht es neue Sprachen für Gott?
Christoph Gellner (CG): Für viele Zeitgenossen ist die überkommene Sprache kirchlicher Verkündigung eine Fremdsprache, in der ihr Leben kaum mehr unterzubringen ist. Angesichts des Unbehagens an verharmlosend-repetierender Phrasenhaftigkeit sind heute viele auf der Suche nach neuen religiösen Sprach- und Ausdrucksformen. Kaum zufällig ging die christliche Mystik mit kühnen und gewagten neuen Sprachentdeckungen einher! Jeder Generation ist neu aufgetragen, biblischen Gottesglauben und Christsein so zu verheutigen, dass sich dies in den Denk-, Sprach- und Lebensweisen der Gegenwart als lebensbedeutsam erweist. «Gott begegnet im Heute», sagt Papst Franziskus. Die Art der Gottesrede ändert sich, das Ringen darum bleibt.

BJM: Was kann die Gegenwartsliteratur zur Suche nach einem Zugang zu Gott beitragen?
CG: Die Auseinandersetzung mit der Sprach- arbeit zeitgenössischer Schriftsteller kann eine Brücke sein zu neuer Wahrnehmungs- und Sprachfähigkeit. Die Gegenwartsliteratur ist ein besonders sensibles Feld neuer Sprachsuche und Sprachermöglichung gerade auch für Religiös-Spirituelles jenseits blindgängig eingespielter Formeln und Sprachroutinen. «Poesie und Gebet verbindet eine Form des suchenden Sprechens», sagt der Dichter und Theologe Christian Lehnert. Immer wieder betont er, dass wir Gott heute «zunächst als etwas erleben, das nicht da ist, wo etwas fehlt, wo man quasi hinübergehen muss aus dem, was man schon kennt und begriffen hat».

CG: Was ist in der Liturgie gemeint, wenn von «Sprachen» die Rede ist?
BJM: Beim Begriff «Sprache» denkt man wohl zuerst an Gebete oder Redesequenzen, also an konkrete Worte oder Sätze, die in Deutsch, Romanisch, Französisch oder in Latein in der Liturgie vorkommen. Doch Gebete sind nie nur Text, also nur Wort(e), sondern immer «Texturen», lateinisch Gewebe. Das bedeutet: Gebete, die gesprochen werden, sind eingebunden in eine Vielfalt von ganz unterschiedlichen Zeichensystemen, die zusammengenommen die Wirkung der Textgestalten ausmachen. Neben den Wortsprachen sind besonders Körpersprachen, Klangsprachen, Objektsprachen und soziale Sprachen zu unterscheiden. Alle diese «Sprachen» wirken zum grossen Teil unbewusst.

CG: Welche «Sprechversuche» gibt es in der Liturgie?
BJM: Für nicht wenige Zeitgenossen stellt das liturgische, hochstilisierte Beten den einzigen Berührungspunkt mit dem Glauben dar. Viele erleben aber gerade diese Sprache als Stolperstein. Deshalb ist es notwendig, die Glaubensbotschaft konsequent auf den heutigen Menschen, auf die Fragenden und Suchenden, das heisst, auf die «Zachäusmenschen», wie es Tomáš Halík ausdrückt, hin ins Wort zu bringen. Selbstkritisch gilt es zu fragen: Wo werden Barrieren aufgebaut? Wo der Zugang zum Evangelium versperrt? Solche Sprechversuche sind nicht einfach, aber unerlässlich.

Birgit Jeggle-Merz1 und Christoph Gellner2

 

* Am 30. Januar 2019 findet die Impulstagung «Neue Sprachen für Gott?» statt, durchgeführt vom Pastoralinstitut der Theologischen Hochschule Chur und vom Theologisch-pastoralen Bildungsinstitut der deutschschweizerischen Bistümer TBI.
www.tbi-zh.ch/events/impulstagung.

1 Birgit Jeggle-Merz (Jg. 1960) ist Professorin für Liturgiewissenschaft an der Theologischen Hochschule Chur und an der Universität Luzern, Geschäftsführende Leiterin des Pasto- ralinstituts und Zentralpräsi- dentin des Schweizerischen Katholischen Bibelwerks SBK.

2 Dr. theol. Christoph Gellner (Jg. 1959) ist Leiter des Theologisch-pastoralen Bildungsinstituts der deutschschweizerischen Bistümer TBI in Zürich.