Supermarkt oder Feinkostladen?

Käsevitrine bei Loeb in Bern. (Bild: Manu Friedrich)

 

Vielfältigen Erwartungen gerecht werden und unterschiedlichste Menschen ansprechen – wie ein Supermarkt: Das wünschen sich viele von der Kirche. Gleichzeitig wächst die Überzeugung, dass die Kirche ein klares Profil braucht, wenn sie auch in Zukunft als gestaltende Kraft wahrgenommen werden und gesellschaftlich relevant sein will. Also doch gut sortierter Feinkostladen?

Ausgehend von diesem Vergleich befasste sich die Römisch-Katholische Zentralkonferenz (RKZ) im Rahmen ihrer Tagung «RKZ Fokus»* mit dem Spannungsfeld von Vielfalt und Profil, mit dem die Kirche heute konfrontiert ist. Ausgangspunkt waren drei Feststellungen:

  1. Dass die Kirche in der Schweiz über ein zu geringes Profil verfügt. Sie hat wohl ein Image, aber kaum Profil. In den Augen vieler Jugendlicher und Distanzierter ist sie «irgendwie uncool». Wenn ich etwas als uncool empfinde, dann setze ich mich kaum damit auseinander.
  2. Dass die Kirche dort, wo sie entschieden für das Evangelium eintritt, zwar aneckt, sich aber ein Profil verschafft. So zum Beispiel durch den klaren Positionsbezug der Präsidenten des Kirchenbundes und der Schweizer Bischofskonferenz zur Frage der Waffenlieferungen. Solches vom Evangelium geprägtes Handeln ist notwendigerweise auch politisch – nie aber parteipolitisch zu verstehen. Das Profil erfüllt keinen Selbstzweck, sondern steht für das Programm der Institution, an dem sie dann gemessen wird. Handelt sie profilgemäss, ist ihr Wirken glaubwürdig und kohärent.
  3. Dass die Fragen unserer Zeit, die Bedürfnisse und Interessen der Menschen sowie die Themen und Anliegen des Evangeliums so zahlreich sind, dass notwendigerweise vielfältige Formen des Christseins und des Kircheseins existieren. Manche setzen den Akzent stärker auf das Leben vor Ort, andere auf weltweite Solidarität. Manche lieben Musik, andere suchen die Stille. Den einen liegt der praktische Alltagsbezug am Herzen, anderen die symbolische und spirituelle Tiefendimension.

Diesen drei Feststellungen entsprechen drei Thesen:

  1. Der «one fits all»-Approach, nach dem alle Bedürfnisse mit einem Angebot abgedeckt werden können, funktioniert nicht. Vielfalt und Leben mit Unterschieden ist kein Ausdruck von Profillosigkeit, sondern Teil des Profils.
  2. Die Verwurzelung im Evangelium verpflichtet die Kirche zu einem bestimmten Lebensstil. Zu diesem Stil gehören Gastfreundschaft, Sinn für das Unverfügbare und Einsatz für Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Wir sind stets gefordert, bestehende und neue Angebote und Aktivitäten der Kirche  zu hinterfragen: Sind sie mit dem Christentum als Lebensstil vereinbar? Prägnant gesagt: Ist, wo Kirche drauf steht, auch Kirche drin?
  3. Das Profil der Kirche wird nicht von oben verordnet. Es ist eine Lebenshaltung, die auch im alltäglichen Handeln der Mitglieder der Kirche erkennbar sein muss. Diese Haltungsfragen können wir nicht delegieren und auch nicht den Bischöfen oder pastoral Verantwortlichen allein überlassen. Wir müssen diese Verantwortung mittragen, «weil wir gemeinsam mehr bewirken: Für die Kirche. Für die Menschen», wie es der Leitsatz der RKZ prägnant festhält.

 Luc Humbel**, Präsident RKZ

 

* Die SKZ-Redaktion gestaltete ausgehend vom diesjährigen «RKZ Fokus» in Bern im Kontakt mit dem Generalsekretär der RKZ die vorliegende Ausgabe. Der Beitrag von Luc Humbel basiert auf seinem gehaltenen Referat.

** Luc Humbel (Jg. 1967) ist Rechtsanwalt, seit 2010 Präsident des Aargauer Kirchenrates und seit 2016 Präsident der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz der Schweiz (RKZ).