Sehen – reflektieren – entwickeln

Im Rahmen der pastoralen Entwicklung machte sich die katholische Kirche Region Bern auf den Weg einer Profilbildung. Stadt oder Land, unterschiedliche soziale Milieus u. a. m. bestimmen das Mass einer Profilierung.

Zur katholischen Kirche der Region Bern gehören rund 65 000 Katholiken. Heute bilden 15 Pfarreien einen Pastoralraum, dazu gehören auch zwei Missionen. Durch die Diasporasituation sind fast alle Pfarreien territorial sehr weitläufig, umfassen meist sowohl urbane wie auch eher ländliche Räume. Der Anteil der Katholiken nimmt tendenziell ab, je weiter man sich vom Stadtzentrum entfernt und sinkt in den ländlichen Gebieten auf deutlich unter zehn Prozent. Dazu kommt: Die katholische Kirche der Region Bern ist sehr stark von der Migration geprägt, insgesamt verfügt mehr als die Hälfte der Mitglieder über einen Migrationshintergrund. Das beeinflusst die Pastoral massgeblich: im liturgischen Angebot, in den sozialdiakonischen Aufgaben und in der Frage der Verteilung der finanziellen Mittel.

Auf der staatskirchenrechtlichen Seite bilden zwölf Kirchgemeinden eine Gesamtkirchgemeinde der Region Bern, zwei Pfarreien bzw. Kirchgemeinden bestehen selbständig daneben. Bereits 2008 begann die katholische Kirche in Bern mit der Umsetzung des Pastoralen Entwicklungsplans (PEP) des Bistums Basel: 2009/10 verabschiedete sie wichtige Basisdokumente1; 2012 wurden die Pfarreien in zunächst fünf Pastoralräume eingeteilt, heute bilden sie einen Pastoralraum.

Fachstellen – regionale Angebote

Ähnlich wie in anderen städtischen Gebieten entwickelten sich in Bern ab den 1970er-Jahren verschiedene Fachstellen. Sie verantworten vielfältige Themen wie z. B. interreligiösen Dialog, Sozialpolitik oder Migration auf regionaler Ebene. Ihre Angebote richten sich des Weiteren an bestimmte Zielgruppen (Jugend, abgewiesene Asylsuchende, Studierende usw.) mit zum Teil sehr spezialisierten Dienstleistungen wie beispielsweise Glaubenskurse, Beratung in Fragen von Ehe und Partnerschaft. Überdies bestehen feste regionale Arbeitsgruppen mit Mitarbeitenden sowohl der Pfarreien wie der Fachstellen, die Angebote für die ganze Region verantworten; dazu gehören insbesondere Segensfeiern zum Valentinstag oder anlässlich der Pensionierung. Das heisst: Schon seit Langem gab es in der Region Bern Angebote für bestimmte Zielgruppen und Fachleute für spezifische Themen.

Ziele der Profilbildung

Vor diesem Hintergrund traf man im Rahmen des PEP-Prozesses die Unterscheidung zwischen Grund-, Schwerpunkt- und Profilangeboten. Die Grundangebote, die in der Verantwortung der Pfarreien sind, umfassen die allgemeine Seelsorge: Gottesdienste, Katechese, Sozialarbeit, Pfarreigruppierungen usw. Die Schwerpunktangebote, die von den Fachstellen und Arbeitsgruppen (s. o.) verantwortet werden, richten sich an bestimmte Zielgruppen oder greifen Themen für den ganzen Pastoralraum auf. Daneben sollten Pfarreien mit einem spezifischen Profil regionale Ausstrahlung erhalten. Diese Profile sollten

a)  der Geschichte und dem soziologischen Charakter der Pfarreien entsprechen,
b)  eine regionale Ausstrahlung haben und
c)  eine Art Laborcharakter aufweisen. Zentrale Herausforderungen der Kirchenentwicklung (z. B. Ökumene, interkulturelle Pastoral) werden angegangen. Aus den vor Ort gemachten Erfahrungen sollen später auch andere profitieren.

Wo macht eine Profilierung Sinn?

Die Projektteams, die aus den Leitungen der Pfarreien bestanden, erarbeiteten die Profile für einzelne Pfarreien. Schon vor dem PEP richteten die Pfarreiteams die Pastoral auf die spezifischen Bedürfnisse der Gläubigen am Ort aus. Deshalb diskutierten die Projektteams zunächst die Geschichte, die Wahrnehmung und die soziologische Zusammensetzung der Pfarrei. Auf der Grundlage dieser implizit schon vorhandenen «Profile» der einzelnen Pfarreien erarbeiteten sie Entwürfe für eine weitergehende Profilierung. Diese ersten Grundgedanken wurden anschlies- send sowohl in den Pfarreiteams wie auch in der Leitungskonferenz, der Versammlung von allen Pfarrei- und Fachstellenleitenden der Region, weiter vertieft. Schliesslich wurden die Profile in den PEP-Dokumenten festgehalten und die Umsetzung in die Zielvereinbarungsprozesse mit den Pfarreien aufgenommen. Mit diesem Prozess war sichergestellt, dass die Profile kontinuierlich zwischen Pastoralraum- und Pfarreileitung entfaltet wurden.

Im Erarbeitungsprozess zeigten sich rasch zwei deutliche Entwicklungen. Zum einen wurde klar, dass in einer Diasporasituation die Erarbeitung von Profilen für eher periphere und ländlich geprägte Pfarreien keinen Sinn macht. Aufgrund der territorialen Ausdehnung, aber auch von den personellen Ressourcen her steht hier die Gewährleistung der Grundangebote im Vordergrund. Umgekehrt zeigte sich, dass die ausgesprochen urbanen Pfarreien bereits über ein Profil verfügten, das weiterentwickelt werden konnte. So waren in einer der Stadtpfarreien sechs katholische Migrationskirchen domiziliert: Sie feierten dort ihre Gottesdienste, erteilten die Katechese und pflegten ihre Gemeinschaft. Von daher lag es nahe, dass das Profil der Pfarrei darin besteht, Ansätze einer interkulturellen Pastoral zu entwickeln. Und in der flächenmässig kleinsten Pfarrei des Pastoralraums, die zudem in einem sehr urbanen Stadtteil liegt und territorial deckungsgleich mit zwei reformierten Kirchgemeinden ist, neue Formen der Ökumene voranzutreiben. Hier soll der ökumenische Grund- satz gelten, dass begründungspflichtig nicht mehr der ökumenische, sondern der konfessionelle Ansatz ist.

Schwierigkeiten und Herausforderungen

Drei immer wieder auftauchende Schwierigkeiten haben die Entwicklung von Profilen in Pfarreien verhindert oder verzögert:

Die meisten Pfarreien der Region Bern sind sehr weiträumig und umfassen daher Quartiere oder Ortschaften mit sehr unterschiedlichen sozialen Milieus. Da aber eine Profilbildung immer auch eine inhaltliche und auch ressourcenmässige Priorisierung eines Themas oder einer Zielgruppe ist, standen die Pfarreiteams bezüglich der Profilbildung vor der heiklen Frage, ob die Profilierung der Angebote auf ein bestimmtes soziales Milieu nicht notwendig zum Ausschluss anderer Milieus führen würde. Exemplarisch zeigte sich das in einer Pfarrei, die auf dem Stadtgebiet ein ehemaliges Arbeiterquartier mit einem hohen Migrationsanteil und in der Agglomeration Quartiere mit einem gehobenen bildungsbürgerlichen Milieu umfasste. Eine Profilierung hin auf eines der Milieus hätte wohl tendenziell den Ausschluss des anderen bedeutet.

Erschwerend wirkte sich auch aus, dass den Pfarreien mit Profilen keine zusätzlichen finanziellen bzw. personellen Ressourcen zugeteilt werden konnten. Aus einem gemeinsamen Projekttopf konnte zwar für einzelne Anliegen und Projekte finanzielle Unterstützung gewährt werden, aber ansonsten musste die Profilbildung durch Umlagerungen ermöglicht werden. Und der Abschied von liebgewonnenen Angeboten fällt schwer.

Ein weiterer Hemmschuh schliesslich waren personelle Vakanzen: Wenn die Leitung einer Pfarrei nicht besetzt war, musste der Prozess unterbrochen werden, und wenn Pfarreiteams unterbesetzt waren, gab es keine grosse Motivation, sich in neue Arbeitsfelder zu stürzen.

Laborerfahrungen sammeln

Mit den Fachstellen existierten bereits zu Beginn der Entwicklung des Pastoralkonzepts starke Institutionen mit einem profilierten und in vieler Hinsicht milieugerechten Angebot. Die Profilangebote konzentrieren sich zudem fast notwendig auf den urbanen Raum, wo Interessierte eher bereit sind, die – kürzeren – Wege auf sich zu nehmen, um spezifische Angebote wahrzunehmen.

Angemessen und zielführend war nach meiner Ansicht das Vorgehen, Profilangebote nicht auf dem grünen Tisch zu entwerfen, sondern sorgfältig die historische und soziologische Situation einer Pfarrei im Auge zu behalten und auf dieser Basis ein oft in Ansätzen schon vorhandenes Profil weiterzuentwickeln. Damit wurde die bisherige pastorale Arbeit wertgeschätzt. Bewährt hat sich der Profilprozess in seinem Laborcharakter: In den betroffenen Pfarreien wurden und werden wertvolle Erfahrungen gesammelt, die auch der Weiterentwicklung der Pastoral an anderen Orten dienen kann.

Bernhard Waldmüller

 

1 Das sog. Dekanatspastoral- und Organisationskonzept findet sich unter: www.kathbern.ch/fileadmin/user_upload/Pfarreien/Dekanate/Dekanat_Bern/Dokumente/Dekanatskonzepte.pdf.


Bernhard Waldmüller

Dr. theol. Bernhard Waldmüller (Jg. 1963) studierte Theologie in Bamberg, Frankfurt a.M. und Eichstätt. Von 1991 bis 2000 arbeitete er als Pastoralassistent in den Pfarreien St.Johannes Reiden LU und Guthirt Ostermundigen BE. Anschliessend promovierte er im Fach Fundamentaltheologie zu «Erinnerung und Identität» und besuchte parallel dazu die Ausbildung zum Geistlichen Begleiter und Exerzitienleiter. Von 2005 bis 2010 war er Gemeindeleiter der Pfarrei St.Antonius Bern-Bümpliz, von 2010 bis 2018 Leiter der Pastoralräume der Region Bern, seit Oktober 2018 ist er Leiter des Pastoralraums Kriens LU.