Moscheevereine in der Verantwortung

Im Gespräch mit Jasmin El Sonbati erörtert die SKZ die Situation um die Moscheevereine in der Schweiz.

Wie geht es Ihnen in einer Zeit kultureller und religiöser Konflikte?

Jasmin El Sonbati: Ich selber verspüre keinerlei Konflikte. Ich nehme jedoch wahr, dass plötzlich wieder sehr viel Unsicherheit, ja gar Angst vor dem «Fremden» herrscht, dem «Anderen», dem «Unbekannten». Religion, derzeit die Religion des Islam, ist eine dieser «Unbekannten».

Der mediale Sog um den Islam bringt es mit sich, dass muslimischen Gemeinschaften viel Skepsis entgegenschlägt. Wo erkennen Sie Ursachen?

El Sonbati: In den 60er-, 70er-, 80er-Jahren hat sich in der Schweiz niemand um die Muslime gekümmert, man hat sich gar nicht dafür interessiert. Seit 9/11 hat sich das geändert. Plötzlich wollte man wissen, wer das denn ist, der da in dem Moscheeverein geht oder die Frau mit dem Kopftuch. Mit diesem plötzlichen Interesse ging jedoch sehr viel Skepsis einher, oft wurde ein Generalverdacht generiert, wonach alle Muslime an sich gewaltbereit sind. Gleichzeitig brachte das Heraustreten der muslimischen Gemeinschaft in die Schweizer Öffentlichkeit zutage, dass eine recht konservative Lesart des Korans vorherrscht. Die geopolitische Situation, ausgelöst durch die Bürgerkriege in Nahost, der sogenannte Islamische Staat, die terroristisch motivierten islamistischen Anschläge, die Radikalisierung junger Menschen taten und tun ihr Übriges dazu, dass die Skepsis nicht kleiner, sondern grösser wird.

Wie ist in Ihren Augen die Situation für die Moscheevereine in der Schweiz nach den vielen Anschlägen durch fehlgeleitete Individuen?

El Sonbati: Die Moscheevereine sind in der Verantwortung, sich dieser Herausforderung insofern zu stellen, als sie eine zeitgemässe Lesart des Korans vorantreiben.1 D. h. einen Islam «predigen», der mit dem Schweizer Rechtsstaat kompatibel ist und der die grundlegenden Errungenschaften der Schweiz, wie Gleichberechtigung von Mann und Frau, Religionsfreiheit, womit das Recht des Individuums ein geschlossen ist, den Islam zu verlassen, respektiert werden. Es ist ihre Verantwortung, den Austausch mit allen Religionsgemeinschaften aktiv zu fördern. Sie müssen auch darauf achten, dass keine Parallelgesellschaften entstehen, in dem Sinne, dass die Muslime Unterweisungen bekommen, die hier schlichtweg nicht lebbar und auch nicht erwünscht sind. Wie solch abstruse Dinge, wie den Handschlag zu verweigern. Dazu brauchen wir Imame und Imaminnen, nota bene, die in Europa ausgebildet werden, und nicht solche, die mit dem hiesigen Demokratieverständnis und dem Rechtsstaat nicht vertraut sind.

Können Musliminnen und Muslime in der hiesigen Gesellschaft mit genügend religiöser Toleranz rechnen?

El Sonbati: Natürlich können sie das. Die Schweiz ist eine pluralistische Gesellschaft, in der durch die föderale Ordnung verschiedene Religionen in unterschiedlichen Regionen mit ebenso unterschiedlichen Traditionen zusammengefunden haben. Die Einheit in der Vielfalt, der Islam ist eine Facette dieser Vielfalt. Natürlich darf man nicht ausblenden, dass es intolerante Haltungen gegenüber Muslimen gibt, die vor allem durch die politische Rechte befeuert werden. Politpropaganda, in der Muslime diffamiert und als minderwertig deklassiert werden, lehne ich ab, und sie wird auch von der Mehrheit der Schweizer Bevölkerung abgelehnt. Was Nichtmuslime zu Recht nicht akzeptieren und wo Toleranz arg strapaziert wird, ist die Einforderung von Sonderrechten, die zu Parallelgesellschaften führen.

Welchen Hürden gegenüber stehen Mitglieder und Imame der Moscheen in der Schweiz?

El Sonbati: Hürden, die Imame überwinden müssen? Nun, ein gut integrierter, moderater, offener Imam muss keine Hürden überwinden. Die einzige Hürde, wenn man das so nennen will, sehe ich in der aufmerksamen Beobachtung von Radikalisierungstendenzen innerhalb seiner Moscheegemeinschaft. Hürden müssen Frauen überwinden, die innerhalb der Moschee eine aktive Rolle spielen wollen, zum Beispiel vorbeten, das gibt es in keiner Schweizer Moschee.

Die Aufnahmegesellschaft hierzulande will, dass sich alle religiösen Vereinigungen, Kirchen und Stiftungen den geltenden rechtlichen Rahmenbedingungen unterordnen. Wie stellen Sie sich zu den Forderungen von Nationalrätin Doris Fiala, welche generell von allen religiösen Stiftungen mehr Transparenz verlangt?

El Sonbati: Natürlich muss es mehr Transparenz geben. Da bin ich mit der Nationalrätin Fiala einig. Die Finanzierung der Moscheevereine ist ein Problem, nicht der Teil, der durch die Vereinsmitglieder geleistet wird, sondern der Teil der Finanzierung durch Dritte, das können Länder, Einzelpersonen sein, die eine islamistische oder eine rückwärtsgerichtete religiöse Agende verfolgen, wie Saudiarabien oder einzelne reiche «Religionsmäzene» aus den Golfstaaten. Da es sich bei religiösen Institutionen um gesellschaftsrelevante Körperschaften handelt, die sehr viel Einfluss nehmen können, sollten diese dazu verpflichtet werden, ihre Finanzierung offenzulegen. Dies ist übrigens im Interesse der Moscheevereine selber, so entgehen sie dem Generalverdacht, in den eigenen vier Wänden radikales Gedankengut zu befördern. Natürlich soll auch eine Einzelperson Spenden leisten können, aber die Offenlegung bringt eine öffentliche Kontrolle, und diese ist wichtig. Die Rolle der Behörden müsste man da noch genau prüfen. In Österreich gilt das Islamgesetz seit 2015. Es sieht vor, dass die Finanzierung aus dem Ausland verboten werden soll. Daran könnte man sich orientieren und es auf Schweizer Verhältnisse adaptieren, in der Schweiz liegt das ja in der Kompetenz der Kantone und nicht des Bundes.

Interview: Stephan Schmid-Keiser

Jasmin El Sonbati ist Gymnasiallehrerin und Autorin des Buches «Gehört der Islam zur Schweiz? Persönliche Standortbestimmung einer Muslimin», Bern 2016.

1 Ich habe dies in meinem neusten Buch ausführlich diskutiert. Jasmin El Sonbati: Gehört der Islam zur Schweiz? Persönliche Standortbestimmung einer Muslimin, Bern 2016.


Stephan Schmid-Keiser

Dr. theol. Stephan Schmid-Keiser promovierte in Liturgiewissenschaft und Sakramententheologie. Nach seiner Pensionierung war er bis Ende 2017 teilzeitlich Redaktor der Schweizerischen Kirchenzeitung. (Bild: zvg)