Mit Jesus im Garten – die Johannespassion

Zwei grosse Passionen stellt uns die Kirche in der diesjährigen Fastenzeit vor Augen: die des Matthäus am Palmsonntag und die des Johannes am Karfreitag. Während die drei synoptischen Evangelien Matthäus, Markus und Lukas oft – zu Unrecht! – als «gleich» wahrgenommen werden, ist dem Leser schnell klar, wie anders sich ihnen gegenüber das Johannesevangelium in Sprache und Theologie liest. Lange Zeit versuchte man das damit zu erklären, dass Johannes gegenüber den synoptischen Evangelien als stärker historischen Darstellungen des Lebens Jesu ein «theologisches» Evangelium habe schreiben wollen. Dies entspricht aber nicht den neueren Erkenntnissen der Forschung: Johannes liefert nämlich auch viele historische Informationen, die oft über die synoptischen Evangelien hinausgehen und sehr zuverlässig sind. Dennoch zeugt sein Evangelium tatsächlich von einer hohen Theologie, besonders Christologie, weshalb Johannes in den Kirchen des Ostens nicht umsonst «der Theologe» genannt wird. Dabei wird allerdings häufig übersehen, dass der vierte Evangelist den Christus nicht nur in seinen göttlichen, sondern auch in seinen menschlichen Zügen intensiv beschreibt: Gerade der johanneische Jesus zeigt Gefühle (z. B. Joh 11,5.33.35.38; 13,23) und offenbart sich bevorzugt in persönlichen Begegnungen mit Einzelpersonen (z. B. Joh 3,1–21; 4,1–26).

Der Garten bei Johannes

Nicht selten erzählt der vierte Evangelist gerade das, was die anderen Evangelien nicht erwähnen. So geht etwa Jesus vor seiner Passion in einen Garten. Auf den ersten Blick scheint uns das nicht weiter auffällig, denn wir sind es gewohnt, uns den Beginn der Passion mit Jesu Gebet in Todesangst im «Garten Getsemani» vorzustellen. Dies aber verdankt sich einer Zusammenschau der Evangelien. Liest man hingegen jedes einzeln, so wird man feststellen, dass Johannes als Einziger der Evangelisten den Garten erwähnt, aber weder den Namen Getsemani noch die Bezeichnung Ölberg, und dass bei ihm von Todesangst Jesu an dieser Stelle nicht die Rede sein kann, ja nicht einmal von Gebet. Man kann sich deshalb fragen, warum Johannes überhaupt von diesem Gang Jesu in den Garten erzählt. Er eröffnet eine Szene, deren Handlung offen bleibt. In gewisser Weise ist dies typisch für den vierten Evangelisten. Nicht selten bietet seine Erzählung solche «Unbestimmtheitsstellen ». Sie bieten Raum für die Erfahrungen des Lesers, sein alttestamentliches Wissen und seine Kenntnis der Geschichte Jesu aus anderen Quellen und erzeugen nicht zuletzt Spannung auf den weiteren Verlauf der johanneischen Erzählung. Im Fall des Gartens wird diese Erwartung nicht enttäuscht, da die Passion Jesu auch in einem Garten endet: dem Grabgarten beim Golgota. Josef von Arimathäa und Nikodemus begraben Jesus dort wie einen König – mit hundert Pfund Myrrhe und Aloe!

Die Rahmung der Passion durch die beiden Gärten gipfelt erzählerisch darin, dass Maria Magdalena am Ostermorgen Jesus allein im Garten begegnet und ihn für den Gärtner hält (Joh 20,11–18). Gregor der Grosse bemerkt treffend zu dieser Szene: «Da sie sich irrte, irrte sie sich nicht.» Denn ob Jesus wirklich «der Gärtner» ist, bleibt in der Erzählung offen. Indem Maria ihren Herrn und Lehrer erkennt, wird die Verwechslung aufgelöst, andererseits korrigiert der Evangelist ihre Einschätzung nicht, und so hat die «Verwechslung» mit dem Gärtner wahrscheinlich eine tiefere, theologische Bedeutung. Jedenfalls haben die beiden Gärten und der Gärtner die Kirchenväter immer wieder zu symbolischen Deutungen inspiriert. Jesus wird als Gärtner der Seele verstanden oder auch als der Schöpfergott, der in Gen 2,8 einen Garten gepflanzt und somit die Gärtnerrolle eingenommen hat. Zu dieser Interpretation passt, dass Jesus seine Jünger bei der zweiten Begegnung am Abend des Ostertages anhaucht (Joh 20,22), wie der Schöpfergott in Gen 2,7 dem ersten Menschen den Lebensatem einhauchte, ehe er ihn in seinen Garten setzte.

Versöhnung Gottes im Garten

Die Väter haben aber den Garten im Johannesevangelium auch mit dem Garten im Hohen Lied in Verbindung gebracht, der für die Braut steht und zugleich Ort der Begegnung der Liebenden ist. Dazu passt, dass Jesus im Johannesevangelium mehrfach in der Rolle des Bräutigams gezeichnet wird. Johannes der Täufer spricht von ihm als Bräutigam (Joh 3,29–30), und bei der Begegnung mit der samaritischen Frau am Jakobsbrunnen, die wie eine alttestamentliche Brautwerbung erzählt wird, zeichnet der Evangelist Jesus in der Rolle des Bräutigams (Joh 4,1–26). Am Ostermorgen betritt der Messias wie der Bräutigam im Hohen Lied den Garten und begegnet darin einer Frau (Hld 5,1; 6,11; Joh 20,11– 18). Dies gilt es vor dem Hintergrund prophetischer Bildreden im Alten Testament zu verstehen, in denen Gott als Bräutigam das Volk Israel als seine Braut neu mit sich vermählen möchte (z. B. Hos 2,21 f.). Wenn Jesus am Ostermorgen im Garten Maria Magdalena begegnet, wird darin die Versöhnung Gottes mit seinem Volk deutlich, indem Jesus sich als Messias und Bräutigam erweist.


Bibel spirituell gelesen – eine christliche Sicht

Die Geschichte Jesu und seiner Jünger ist im z weiten Teil des Johannesevangeliums auf tiefgründige Weise mit dem Raum des Gartens verbunden. Johannes schreibt sein Evangelium in die Schöpfung und in die Liebe z wischen Gott und Mensch hinein. Seine ganz eigene Darstellung lädt ein zu einem vertieften Blick ins Evangelium selbst, in die Tradition der Väter und der Ikonografie, aber auch zur persönlichen geistlichen Schriftlesung. Igna Marion Kamp CJ thematisiert diese Sicht in einem Kurs im Lassalle-Haus in Bad Schönbrunn (Edlibach). Der Kurs bietet eine theoretische und praktische Einführung in die geistliche Schriftlesung (lectio divina) anhand der Johannespassion ( Joh 18 –20). Kurs/ Datum: R9 | 2 8.3.– 30.3.2014 | F r 18.30 – So 13.00 | Kosten: CH F 260 | Pension CH F 220

Weitere Infos und Anmeldung: www.lassalle-haus.org

Igna Marion Kramp (Bild: sankt-georgen.de)

Igna Marion Kramp

Sr. Dr. Igna Marion Kramp CJ ist wissenschaftliche Assistentin am Seminar für Exegese der Heiligen Schrift an der Philosophisch- Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Main.