Mit Geduld zum Ziel

Am Weltgebetstag vom 4. März laden Frauen aus England, Wales und Nordirland mit dem Motto «Ich will euch Zukunft und Hoffnung geben» dazu ein, den Spuren der Hoffnung nachzugehen.

Der Weltgebetstag setzt mit dem Motto «Ich will euch Zukunft und Hoffnung geben» einen optimistischen, zukunftsgerichteten Impuls basierend auf dem Vers Jer 29,11. Um die Bedeutungsvielfalt dieser beiden Schlagworte zu erfassen, lohnt sich ein Blick auf die ursprünglichen hebräischen und lateinischen Texte. Im hebräischen Text stehen «Zukunft» und «Hoffnung», in der lateinischen Fassung der Vulgata des Hieronymus dagegen «Ziel» und «Geduld».

Jer 29,1–14 gilt als Trostbrief an das jüdische Volk im Exil in Babylon. Im Jahr 587/586 v. Chr. eroberte der babylonische Herrscher Nebukadnezar Jerusalem. Die Stadt und der Tempel wurden geplündert und zerstört. In diesen Wirren wurden die Herrschenden getötet und die Handwerker und Fachleute nach Babylon verschleppt. Wir können uns vorstellen, wie viel Entsetzen, Gewalt und menschliches Leid das bedeutete. In Babylon sassen die Weggeführten dann traumatisiert fest. Ohne Perspektive für ihr Leben planten sie den Aufstand gegen die Eroberer. Mitten in diese angespannte Lage hinein erhebt der Prophet Jeremia seine Stimme. Im Namen Gottes ruft er die Menschen zum Bleiben in der Stadt und zum fruchtbaren Miteinander mit den Eroberern auf. Im Frieden der Stadt sieht er auch den Frieden für das Volk begründet (Jer 29,7). Das Echo der eindringlichen prophetischen Stimme Jeremias ist in unseren unsicheren Tagen sehr aktuell.

Ein mitgehender Gott

Auch uns stellen sich in dieser Pandemiezeit eindringliche Fragen wie: Wo ist Gott? Warum lässt er das zu? Jeremias Antwort ist klar: Gott ist ein mitgehender Gott, und damit dürfen alle mit Herz und Verstand darauf vertrauen, dass Gott an jedem Ort der Erde und in jeder Situation, in die Menschen geraten können, gegenwärtig ist. «Ihr werdet mich suchen und mich finden, wenn ihr nach mir fragt mit eurem ganzen Herzen» (Jer 29,13). Jeremia gibt den praktischen Rat: Setzt euch überall für ein lebenswertes Leben ein! Baut Häuser, pflanzt Gärten und gründet eine eigene Familie (Jer 29,5–6). Diese betonte Ermutigung zum Engagement für ein Leben in der Gegenwart unterstreicht er mit der Aufforderung «Suchet das Wohl der Stadt, in die ich euch weggeführt habe, […]; denn in ihrem Wohl liegt euer Wohl!» (Jer 29,7). Dreimal wird hier das umfassende hebräische Wort «Schalom» genannt. Diese Botschaft fordert uns auch heute auf, für das Wohlbefinden aller sowie untereinander für ein ungestörtes Verhältnis, für Frieden und Ruhe Sorge zu tragen.

Selber denken

Jeremia kritisiert: «Hört nicht auf die Träume, die ihr sie [die Propheten] träumen lasst! Denn Lüge prophezeien sie euch in meinem Namen; ich habe sie nicht gesandt […].» (Jer 29,8b.9) Damit spricht er auch uns an: Lasst euch von niemandem einflüstern, wie die Situation zu beurteilen ist und wie sie sich entwickeln wird. Er hält uns gegen alle Verschwörungstheorien zum alltäglichen Pragmatismus und zum selbstständigen, kritischen Denken an. Sein Zuspruch der Gegenwart Gottes ist auch Ermahnung, sich nicht von gegenwärtigen Zuständen und Diskussionen hinreissen zu lassen.

Schliesslich weitet Jeremia den Blick dafür, dass alles sich jederzeit wandeln kann, denn Gott hat gute Gedanken für die Welt, «[…] Gedanken des Heils und nicht des Unheils; denn ich will euch eine Zukunft und eine Hoffnung geben» (Jer 29,11). Der Zuspruch dieses Textes bleibt offensichtlich über die Jahre hinweg erhalten, trostreich, aber nicht vertröstend. Der Text gibt uns Kraft, damit wir uns in eine oft trostlose Welt einmischen und ihr weitersagen können, dass sie von Gott getröstet sein soll. Wie Hieronymus mit seiner Wortwahl für Vers Jer 29,11 betont: Ein Ziel und Geduld sollen wir haben, dann kommen wir mit Geduld zum Ziel.

Michael Fieger und Brigitta Schmid Pfändler

Michael Fieger und Brigitta Schmid Pfändler

Prof. Dr. Michael Fieger (Jg. 1959) studierte Theologie in Tübingen und München. Er ist Professor für Alttestamentliche Wissenschaften und Dozent für Althebräisch an der Theologischen Hochschule Chur sowie Co-Leiter des Vulgate Institute.

Lic. phil. Brigitta Schmid Pfändler MTh (Jg. 1965) arbeitet als Seelsorgerin im Bistum St. Gallen. Sie ist Doktorandin an der Theologischen Hochschule Chur und Co-Leiterin des Vulgate Institute.