Am 16. April 1808 konvertierte Friedrich Schlegel gemeinsam mit seiner Frau Dorothea in einer Nebenkirche des damals noch unvollendeten Kölner Doms zum katholischen Glauben. Nur wenige Tage später verliess er das lieb gewordene Köln und zog in die österreichische Metropole. Wien entwickelte sich damals zu einem Fixpunkt der katholischen Reform. Mit den führenden Figuren dieser Reform, dem charismatischen Redemptoristen Klemens Maria Hofbauer und dem Apostolischen Nuntius in Wien, Antonio Gabriele Severoli, stand Friedrich Schlegel in enger Beziehung. Der Schlegel-Hofbauer-Kreis wurde in der Folge eine wichtige Anlaufstelle für Konvertierte und Konvertierende.
Der Konfessionswechsel des Mitbegründers der Romantik, in den weder die Freundinnen und Freunde noch die Familien des Ehepaares eingeweiht worden waren, wurde schon von den Zeitgenossen kontrovers diskutiert. Mit ihm geht für Friedrich Schlegel nicht nur ein Wechsel des Wohnortes und der politischen Zugehörigkeit einher, sondern auch eine Konzentration auf den katholischen Glauben, die insbesondere sein Spätwerk prägt.
Verfechter eines politischen Katholizismus
Während Schlegel als Initiator der deutschen Romantik in seinen jungen Jahren als ideensprühender Literaturtheoretiker und -kritiker in Erscheinung getreten war, übernahm er in Wien vermehrt publizistische Auftragsarbeiten. Als k. k. Hofsekretär war er Herausgeber und Redakteur staatlicher Publikationsorgane, betrieb in Form von Vorlesungen zur europäischen Literatur und seines Zeitschriftenprojekts Deutsches Museum «Nation building durch Literaturgeschichte» und setzte sich schliesslich ab 1813 im Auftrag des Nuntius Severoli für die Belange der katholischen Kirche in Deutschland ein. Dafür verlieh ihm der Vatikan 1815 den päpstlichen Christusorden.
Aber nicht nur mit Auftragsarbeiten, sondern auch mit der Herausgabe der von 1820 bis 1823 erschienenen Zeitschrift «Concordia» verfolgte Schlegel theologische Themen und versuchte sich als Verfechter eines politischen Katholizismus. Die katholische Grundausrichtung seines letzten Zeitschriftenprojektes zeigt sich schon im Kreis der Autoren, zu dem bedeutende Vertreter der katholischen Romantik wie Franz von Baader, Adam Müller und Zacharias Werner gehörten. Seine Zielgruppe verankerte Schlegel in der Vorrede zum ersten Heft explizit «in Oesterreich und in dem übrigen katholischen Deutschlande».
Schlegels Beiträge zur «Concordia» reichen von literaturkritischen Rezensionen über psychologische Abhandlungen bis hin zu einer Gesellschaft und Politik umfassenden, überraschend präzisen Zeitdiagnostik («Die Signatur des Zeitalters»). In diesen Texten zeigt sich auch der für das Selbstverständnis des späten Schlegels charakteristische seelsorgerische Gestus. Als «Seelenführer» versucht er befreundete, intellektuell aufgeschlossene Frauen, aber auch seine Leserschaft für eine Rückkehr zur «positive[n] Kraft des Glaubens» sowie für eine «Hinwendung zu Gott» zu gewinnen.
Glaubensübungen im Privatbrief
Die wichtigste dieser gebildeten Freundinnen ist Christine von Stransky, mit der Friedrich Schlegel von 1821 bis zu seinem Tod 1829 in ausführlichen Briefen religiöse Themen bespricht. Grundlage der Korrespondenz ist eine von ihm als «Seelenverwandtschaft» verstandene Nähe, die sich nach seiner Ansicht im gemeinsamen katholischen Glauben manifestierte. In den erst kürzlich im Archiv der Benediktinerabtei St. Bonifaz (München) wiederentdeckten Briefen Schlegels (nur sie sind erhalten) geht es um Fragen des Glaubens und der katholischen Lebensführung.
Das ostinate (immer wiederkehrende) Thema der Briefgespräche ist der Umgang mit persönlichem Leid, aber auch mit Leiderfahrungen befreundeter Dritter. Dieser Gegenstand ist für die Briefpartner primär biografisch begründet und umfasst Erfahrungen von Leid in körperlicher, psychischer und gesellschaftlicher Hinsicht. Die Briefpartner versuchen, Krankheiten, berufliche und familiäre Rückschläge sowie persönliche Verluste aufzuarbeiten und zu überwinden. Geleitet werden sie dabei vom Wort des Evangeliums. Schlegel zitiert in seinem Brief vom 11. Dezember 1821 Mt 6, 33: «Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen.»
Im Streben nach «dem Reich Gottes» kulminiert Schlegels und Stranskys katholische Lebensführung. In ihrem Zentrum steht das Erdulden. Sämtliche Leiden werden nach dem Vorbild Christi als Prüfungen und Aspekte einer «passio» verstanden. Schlegel schreibt dazu in seinem Brief vom 13. bis 15. Dezember 1823 an Stransky: «Ich halte mich jedoch immer fest an der göttlichen Gnade und will gern alles still erdulden, wozu ich mich immer bereit zu erhalten suche.»
Die Zweifel und Krisen, die mit dem Erdulden von Leid bei konstanter Glaubensübung einhergehen, werden ausführlich beschrieben. Der Austausch von Briefen soll aktuelle Probleme lösen helfen und die gemeinsame Frömmigkeit festigen. Zur Glaubensübung gehören gemeinsame Gebete zu festgelegten Uhrzeiten, die Lektüre von Bibeltexten und Schriften christlicher Mystiker sowie der Austausch über das Gelesene. Ausserdem werden selbst verfasste Gebete und Gedichte sowie Bilder mit christlichen Motiven verschickt. Wiederholt wird die wechselseitige Anteilnahme versichert und die Gewissheit beschworen, einer Gemeinschaft anzugehören. Schlegel schreibt am 30. Januar 1822: «Wir glauben an die Gemeinschaft der Heiligen […]. Es ist dieselbe auch gewiss von der Gemeinschaft der Frommen u[nd] Gläubigen zu verstehen, wenn nur das Streben nach der christlichen Vollkommenheit vorhanden.» Im Gefühl der Gemeinschaft aller Heiligen, Gläubigen und – im Falle der Briefpartner – auch Leidenden, soll eine Linderung und Stärkung des Einzelnen gelingen. Das Zitat verdeutlicht zudem das Ziel des frommen Erduldens: das Erlangen «christliche[r] Vollkommenheit». Es ist aufschlussreich, dass schon der junge Schlegel nach Vollkommenheit strebte. Nun hat er sein Ziel erreicht. Indem sich die Korrespondenzpartner als gegenseitige «Seelenführer» inthronisieren, wollen sie immer höhere Glaubensstufen erreichen. Dem entspricht Schlegels neue Überzeugung einer stetigen Entwicklung des Einzelnen wie der gesamten Weltgeschichte hin zu christlichen Idealen. Davon spricht auch sein später Vorlesungszyklus von 1827 bis 1829. Die dort ausgeführten eschatologischen Überlegungen werden von den Briefpartnern praktisch umgesetzt.
Im Glauben gefestigt, im Inneren beruhigt
Die Lektüre der Briefe Friedrich Schlegels an Christine von Stransky erlaubt präzise Einblicke in die emotionale Verfassung des Autors zwischen 1821 und 1829. Der bekennende Melancholiker, der Zeit seines Lebens von Unruhe umgetrieben worden ist und häufig polemisch reagiert hat, fühlt sich nun wiederholt ausgeglichen und zufrieden. Der Austausch mit Christine von Stransky über den gemeinsamen Glauben und seine Leistung für lebenspraktische Herausforderungen gewährt ihm eine Gelassenheit, die durch die eschatologische Aussicht auf Erlösung verstärkt wird. Es stellt sich ein intensives Glücksgefühl ein, das etwa im Brief vom 9. Oktober 1825 zur Sprache kommt: «Zu meiner ganz unaussprechlichen Freude habe ich Deinen schönen, herrlichen Brief noch hier erhalten.» Die Auseinandersetzung mit einem vom Glauben gestützten Leben bewirken bei Schlegel trotz aller Leidenserfahrung eine nachhaltige Form der Beruhigung. Seine Ehefrau Dorothea Schlegel schrieb darüber bereits Jahre früher am 3. April 1812 an Karl August Varnhagen von Ense: «Fried:[richs] reife Milde, mit der Energie und Kraft vereint, die kann man wenn auch bei eben so grossen Talent doch nur durch die innere Ruhe und das eigentliche mit sich fertig seyn; – kurz – nur im Schooss der Kirche finden!» Von der Kunstreligion, der neben Friedrich Schlegel auch Wackenroder, Tieck und Novalis das Wort geredet haben, hat der Weg der Romantik zurückgefunden zur katholischen Glaubensgemeinschaft.
Tim Porzer