Meine Erfahrungen im interreligiösen Dialog in Gulbarga

Bischof Robert Miranda1 sprach im Rahmen desFreiburger Forums Weltkirche vom 12./13. Oktober 2017 von den Erfahrungen im Zusammenleben der verschiedenen religiösen Gemeinschaften in Gulbarga, einer erst 2005 gegründeten Diözese.2

Bevor ich über den Dialog zu sprechen beginne, möchte ich betonen, wie wir den Dialog verstehen und wie ihn die Kirche versteht. Ich möchte hervorheben, wie wichtig die Achtung der Religionsfreiheit für die Synodenväter war und dass sie als grundlegendes Menschenrecht angesehen wird. Dazu gehört die Freiheit, die Religion zu wählen, die man für wahr hält, und seinen Glauben öffentlich zu leben.

Papst Franziskus schreibt in Evangelii Gaudium über den Dialog: «Die Evangelisierung schliesst auch einen Weg des Dialogs ein. Für die Kirche gibt es in dieser Zeit besonders drei Bereiche des Dialogs, in denen sie präsent sein muss, um einen Dienst zugunsten der vollkommenen Entwicklung des Menschen zu leisten und das Gemeinwohl zu verfolgen: im Dialog mit den Staaten, im Dialog mit der Gesellschaft – der den Dialog mit den Kulturen und den Wissenschaften einschliesst – und im Dialog mit anderen Glaubenden, die nicht zur katholischen Kirche gehören.» (EG 238)

Und weiter: «Dieser interreligiöse Dialog ist eine notwendige Bedingung für den Frieden in der Welt und darum eine Pflicht für die Christen wie auch für die anderen Religionsgemeinschaften. Dieser Dialog ist zuallererst ein Dialog des Lebens bzw. bedeutet einfach, wie es die Bischöfe Indiens vorschlagen, ‹ihnen gegenüber offen zu sein und dabei ihre Freuden und Leiden zu teilen›3. So lernen wir auch, die anderen in ihrem Anderssein, Andersdenken und in ihrer anderen Art, sich auszudrücken, anzunehmen. Von hier aus können wir gemeinsam die Verpflichtung übernehmen, der Gerechtigkeit und dem Frieden zu dienen, was zu einem grundlegenden Massstab eines jeden Austauschs werden muss. Ein Dialog, in dem es um den sozialen Frieden und die Gerechtigkeit geht, wird über das bloss Pragmatische hinaus von sich aus zu einem ethischen Einsatz, der neue soziale Bedingungen schafft.» (EG 250)

Diözese Gulbarga

Die Diözese Gulbarga im Bundesstaat Karnataka in Südindien hat eine Fläche von 32 157 km², was ca. 3/4 der Schweiz entspricht. Aber wir sind nur eine kleine Herde von 8000 Katholikinnen und Katholiken. Im Volksmund als Hyderabad-Karnataka-Region bekannt, ist das Diözesangebiet das rückständigste Gebiet der Region. Die Diözese hat eine Gesamtbevölkerung von ca. 6,75 Mio.; 78 Prozent sind Hindus, 16 Prozent Muslime und 2,3 Prozent Christen. Die katholische Gemeinschaft macht nur 0,1 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. 90 Prozent der Menschen sind auf landwirtschaftliche Arbeit angewiesen, was ein niedriges Einkommen und nur saisonale Arbeit bedeutet. Mehr als die Religion ist es das Kastensystem, das die Gesellschaft zertrennt. Im Grossen und Ganzen leben Menschen aller Religionen in Frieden und Harmonie zusammen.

Warum Dialog?

Wenn Menschen in Frieden und Harmonie leben, warum brauchen sie Dialog? Dialog ist eine Notwendigkeit, wenn unsere Beziehungen gespannt oder gebrochen sind und wir uns nicht mehr gegenseitig anschauen können. Dialog ist eine Notwendigkeit, wenn es das Gefühl gibt, dass ich anderen überlegen bin, dass ich im Recht bin und der andere nicht. Dialog ist eine Notwendigkeit, wenn es Unterdrückung, Gleichgültigkeit und Kalten Krieg gibt zwischen Individuen, Völkern oder Nationen. Dialog ist nötig, wenn es Zweifel, Argwohn, Misstrauen, Missverständnisse, Stille und Gleichgültigkeit gibt, auch wenn das Leben reibungslos verläuft, ohne einen offenen Konflikt.

Obwohl es in Indien eine Atmosphäre der Toleranz gibt, sehe ich drei grosse Herausforderungen und Bedrohungen für Frieden und Harmonie in der Gesellschaft: Die ungleiche Verteilung des Reichtums, die zu Armut und Elend führt / Das Kastensystem des Hinduismus, der die Teilung der Gesellschaft nach Kaste und Glaube religiös rechtfertigt / Zunehmender Fundamentalismus und Kommunalismus.

Wie reagiert die Diözese Gulbarga auf diese Situation?

In Indien leben immer noch 50 Prozent der Menschen unterhalb der Armutsgrenze. 20 Prozent der Bevölkerung besitzen 80 Prozent des nationalen Reichtums. Die meisten Menschen, egal zu welcher Religion sie gehören, leiden unter sozialer und wirtschaftlicher Knechtschaft, und viele sind aus der Gesellschaft ausgeschlossen. In der Diözese öffneten wir den Ärmsten unsere Tür, unabhängig von Kaste und Religion. Als wir besonders mit Frauen und Kindern anfingen zu arbeiten, war ihre Entscheidung, für ihre eigene Entwicklung zu arbeiten, unsere Stärke und Hoffnung auf die Entwicklung der gesamten Familie und schliesslich der Gesellschaft. Obwohl sie aus Angst und Zweifel wegen der antichristlichen Propaganda der Hindu-Kommunalgruppen zunächst zögerten, mit uns zu kooperieren, erkannten sie bald unsere Lebensweise und unseren selbstlosen Dienst. Sie schlossen sich der Bewegung der Self Help Groups an und machten mutige Schritte in ihrer Entwicklung. Wir betrachteten alle als unsere Brüder und Schwestern und unterstützten sie in ihren Schwierigkeiten. Auch Nichtchristen schlossen sich uns ohne Zögern als unsere Mitarbeiter an.

So wie der Herr durch das Land der Heiden reiste, gingen unsere Priester, Ordensfrauen und Laien in die Gassen, wo die Armen lebten. Infolge unserer harten und ausdauernden Arbeit haben wir heute über tausend Selbsthilfegruppen und über 15 000 Frauen, die in diesen Gruppen organisiert sind. Sie alle machen mutige Schritte für ihre eigene Entwicklung und auch die Entwicklung der Gesellschaft.

Neben den Fragen ihrer wirtschaftlichen Entwicklung bemühen wir uns, ihnen christliche Werte, Gleichberechtigung der Religionen, Menschenrechte und Grundrechte, die in unserer Verfassung verankert sind, einzuprägen. Dazu gehören der Kampf gegen Kinderheirat, das Mitgift-System und andere soziale Übel. Genau durch diese Begleitung auf ihrem schwierigen Weg des Lebens für Gerechtigkeit und Wahrheit geben wir ein prophetisches Zeugnis für unseren Herrn. Menschen aller Religionen oder Kasten stehen zusammen für ihre soziale und wirtschaftliche Entwicklung. Wir ermutigen sie, an den lokalen Regierungen in den Dörfern teilzunehmen, bilden sie auch in den Bereichen Gesundheit, Hygiene und Kinderbetreuung aus. Als Ergebnis unserer Arbeit können Frauen für ihre Rechte kämpfen und die korrupten Regierungsstellen dazu bringen, ehrlich für die Menschen zu arbeiten.

Wir konnten feststellen, dass Menschen die Frage der Kaste und der Religion vergessen und eins werden, wenn es um das Wohlergehen von allen geht. Das ist das, was Papst Franziskus in EG 250 sagte. Menschen sind im Innersten überrascht und bewegt von der Hingabe und dem selbstlosen Dienst der Priester und Ordensfrauen. Oft hören wir ein Lob und Dankbarkeit. Mit einem Herzen voller Dankbarkeit sagen sie uns: «Niemand kann die Arbeit tun, die du tust, und wie du sie tust. Du bist unser Gott, unsere Göttin.» Ja, die Leute sehen Gott in dir, wenn du voll reiner und selbstloser Liebe bist, die ein Ergebnis der tiefen Erfahrung Gottes ist. Etwas, das es möglich macht, trotz allen Herausforderungen, Widerständen, Beleidigungen und Verletzungen ruhig und gelassen zu bleiben. So wurde auch die heilige Teresa von Kalkutta Mutter aller Inderinnen und Inder.

Kampf gegen den wachsenden Fundamentalismus

Neben diesen Aktivitäten konzentrieren wir uns an vielen Orten auf die Gründung von interreligiösen Foren für Frieden und Eintracht und für Menschenrechte und halten regelmässige Treffen ab, um deren Notwendigkeit aufzuzeigen.

Wir feiern mindestens ein Fest der verschiedenen Religionen zusammen und zeigen der Öffentlichkeit, dass es gut ist, die Werte und Überzeugungen anderer Glaubensrichtungen zu kennen. Wenn religiöse Führer aller Gemeinschaften an diesen Versammlungen teilnehmen, ist ihr Zusammenkommen selbst schon eine starke Botschaft an die Menschen, die anderen Religionen und Überzeugungen zu respektieren. Zu unseren christlichen Festen laden wir immer Menschen aller Religionen ein, zumindest die religiösen Führer. Es gibt nie ein Fest ohne ihre Teilnahme. Wir werden auch von ihnen für ihre Feierlichkeiten eingeladen.

Fazit

Die Menschen in Indien sind grundsätzlich religiös und sozial. Spirituelle Personen und Dinge ziehen sie immer an. Es ist ermutigend zu sehen, wie manchmal Hindus Muharram feiern, ein muslimisches Fest, Christen Diwali und Hindus Weihnachten. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Menschen verschiedener Religionen christliche Kirchen aufsuchen.

Eine Haltung der Offenheit in Wahrheit und in Liebe muss der Charakter und die Stärke unseres Dialogs sein. Als Christen müssen wir den Dialog und die Freundschaft mit den Menschen aller Religionen fördern und jedes Vorurteil und jeden Argwohn ausräumen. Es ist auch notwendig, dass wir verschiedene religiöse Überzeugungen studieren, eine hohe Wertschätzung für sie entwickeln und sie respektieren, auch wenn sie nicht überzeugend oder vernünftig sind.

Wann immer es möglich ist, besuchen wir die Menschen zuhause, geniessen ihre Gastfreundschaft, um mit ihnen in ihren Freuden und Sorgen vereint zu bleiben. Dies ist der Dialog des Lebens, den wir immer haben können. Was die Menschen, wo auch immer auf der Welt, suchen, ist die Erfahrung des Göttlichen, eine wahre Gotteserfahrung, die sie von jeder Person akzeptieren, welcher Religion auch immer sie angehört. Deshalb ist es absolut wichtig, dass wir der Lehre des Herrn treu bleiben, zutiefst spirituell, echt und selbstlos – und die Menschen werden dich umgeben. Das ist der Punkt des Dialogs, bei dem Menschen mit Demut kommen und dich bitten, von Jesus zu erzählen und sie zu lehren, wie du zu sein.

 

Zusammenfassung und Übersetzung: Siegfried Ostermann/Missio

1 Bischof Robert Miranda war Gast von Missio Schweiz im Oktober 2017. Seine Erfahrungen als Missionar und Bischof von Gulbarga wurden in der SKZ 40–41 vorgestellt.

2 Der Titel auf Englisch lautet: «My experiences in interreligious dialogue and the living together of different religious communities in Gulbarga.» Die Originalversion des Vortrages wird 2018 in der ZMR erscheinen.

3 Catholic Bishops’ Conference of India, Abschlusserklärung der XXX. Generalversammlung: The Church’s Role for a Better India (8. 3. 2012), 8.9.

Robert Miranda

+ Robert Miranda ist Bischof der Diözese Gulbarga in Südindien