«Mein Weg ist der einfache»

Nicht ganz so asketisch wie die Wüstenväter, aber einfach, in Stille und Gebet, leben Eremiten. Sr. Maria Baptista erzählt aus ihrem Leben in der Einsiedelei Tschütschi SZ.

Sr. Maria Baptista Kloetzli (1964) vor dem Brunnen ihrer Einsiedelei Tschütschi oberhalb von Schwyz. (Bild: rs)

 

SKZ: Sie leben seit zehn Jahren auf dem Tschütschi. Wenn Sie diese Zeit mit einem Satz beschreiben müssten, wie würde er lauten?
Sr. Maria Baptista: Wesentlich sein dürfen. Oder: Ein erfülltes Leben.

Eremitin gehört nicht zu den Top Ten der Berufe. Wie sind Sie Eremitin geworden?
Mit etwa 20 Jahren las ich die «Erzählungen eines russischen Pilgers»1. Dieser Pilger durfte einmal eine Kirche hüten und dort einfach leben und das Herzensgebet pflegen. Das hat mich fasziniert, und ich glaube, wenn man mir das damals angeboten hätte, wäre ich sofort Eremitin geworden und auf die Nase gefallen (lacht). Ich bin in einem katholischen Elternhaus aufgewachsen. Am Anfang sagte ich: «Gott, du kannst mit mir machen, was du willst, nur ins Kloster gehe ich nicht.» Mit der Zeit änderte ich meine Haltung. Ich wollte Gott nicht mehr vorschreiben, was er zu tun hatte, und nahm mein «Nein» zurück. Da merkte ich, dass Gott in mir eine Sehnsucht weckte, mich zu sich zog. So bin ich in ein kontemplatives Kloster eingetreten, da dies dem Weg des russischen Pilgers am nächsten kam. Insgesamt war ich 22 Jahre im Kloster. Irgendwann fühlte ich eine innere Unruhe, die ich nicht einordnen konnte. Nach langem Ringen bat ich um ein Sabbatjahr, um in der Tiefe auf Gott hören zu können. Ich lebte dann in einer kleinen Wohnung im Kanton Graubünden und durfte mit Erlaubnis des Bischofs das Allerheiligste bei mir haben. Und hier fing mein Herz zu singen an! Meinem geistlichen Begleiter schrieb ich, dass es mir vorkäme, wie in einer Einsiedelei und ich überglücklich sei in der Zwiesprache mit Gott. Er schickte mir als Antwort ein Inserat: Es wurde ein Einsiedler resp. eine Einsiedlerin für die Verenaschlucht gesucht. Eine Woche später erzählte mir eine Kollegin, dass auch die Einsiedelei auf dem Tschütschi frei werde. Danach ging es ganz schnell. Die Gemeinschaft und der Bischof erlaubten mir eine dreijährige Exklaustration, denn ein eremitischer Weg kann nicht mit dem Kopf gewählt werden, sondern muss im Leben als Berufung erkannt werden. Nach Ablauf dieser Prüfungszeit durfte ich vor dem Bischof die Gelübde als Diözesaneremitin ablegen.

Wie sieht ein «normaler» Tag aus?
Es ist ein sehr spontanes Leben. Ich weiss nie, wann es an der Tür klingelt. Wenn jemand um ein Gespräch bittet, bin ich als Einsiedlerin frei und kann das Essen oder das Gebet um eine Stunde verschieben. Ich mache alles selber: Ich nähe, koche, erledige das Büro, putze die Kirche, besorge den Garten. Ich darf hier gratis wohnen im Gegenzug dafür, dass ich für die Menschen da bin und für sie und mit ihnen bete und zur Kapelle und zum Umschwung schaue. Doch ich muss auch von etwas leben. Zunächst gab ich Religionsunterricht, merkte aber mit der Zeit, dass ich mich noch mehr in die Einsamkeit zurückziehen möchte. Als ausgebildete Krankenpflegerin darf ich jetzt 30 Prozent als Nachtwache auf der Pflegestation bei den Kapuzinern arbeiten. Diese stille Arbeit passt gut. Es ist sehr schön, diese reifen Brüder auf ihrer letzten Lebensstrecke zu begleiten.

Sie leben sehr bescheiden und einfach. Warum?
Es ist ein Geschenk, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und wegzulassen, was ablenkt. Ich lebe in einer schönen Einsiedelei, deshalb orientiere ich mich an Paulus: dass ich das, was ich gebrauchen darf, nur als Leihgabe sehe, nicht als Eigentum. Ich mache mir immer wieder bewusst, dass ich mein Haus nicht auf die Brücke bauen darf, sondern eine Pilgerin bleibe, in einem Provisorium wohne und auf die ewige Heimat hin lebe. Der heilige Franziskus sagte: «Wenn ihr Besitz habt, braucht ihr Waffen, um ihn zu verteidigen.» Je weniger ich besitze, desto besser kann ich die Türe offenhalten, damit Menschen zu mir kommen können. Ich muss nichts schützen. Das gibt mir Zeit für die Menschen und das Gebet. Gott gibt mir die Kraft, so zu leben. Es ist zudem ein grösseres Zeugnis, wenn ich ganz bescheiden lebe. So glaubt man mir, dass ich wirklich auf Jesus Christus baue.

Arme Menschen stehen oft unter grossem Stress. Warum Sie nicht?
Ich lebe alleine. Es würde sofort anders aussehen, wenn ich eine Familie hätte. Für mich alleine kann ich es wagen, ganz einfach zu leben. Am Anfang habe ich schon ein wenig gebibbert, ob ich so leben kann. Ich erlebe heute, dass alles zur rechten Zeit kommt. Manchmal schäme ich mich auch, dass ich nicht mehr Vertrauen habe. Hier wird mein Leben ein stückweit exemplarisch. Die Menschen sehen an mir, dass es möglich ist, ganz einfach, Schritt für Schritt, auf Gott zu vertrauen.

Könnten Sie nicht auch in der Welt ein einfaches Leben führen?
Das würde schon gehen. Ich könnte viel Gutes und Intelligentes bewirken (lacht). Es ist eine Frage der Berufung. Ich glaube ganz fest daran, dass Gott unser Wesen für eine Berufung erschaffen hat. Er lässt uns unseren freien Willen, aber es gibt meines Erachtens einen Weg, der uns am meisten entspricht. Ich könnte natürlich in die Mission gehen und vieles bewirken. Das wäre aber weniger meine Berufung als hier in der Stille für einzelne Menschen da zu sein, im Fürbittgebet und in der Begegnung, in der Ermutigung auf ihrem Weg. Einfach da zu sein, damit die Menschen es wagen, auf Gott zu hören, damit er ihnen die Antwort ins Herz legen kann.

Wird Ihnen die Stille oder das einfache Leben manchmal nicht zu viel?
Die Stille auszuhalten, muss gelernt werden. Ich glaube, dass die Stille uns einfacher, unkomplizierter, wesentlicher macht. Doch in der Stille wird es zunächst sehr laut: Alle Gedanken, alles, was mich im Inneren beschäftigt, wird in der Stille viel lauter wahrgenommen. Stille kommt nicht sofort. Zuerst geht man durch eine dunkle Schlucht. Das ist die Einsamkeit. Und die gilt es auszuhalten. Erst nach der Einsamkeit kommt die Stille. Sie ist wie eine weite Lichtung. Mit dem Psalm 23 gesprochen: Gott führt uns durch die finstere Schlucht auf die weite Au zur Wasserquelle. Diesen Weg muss man einüben. Wenn man aber einmal von der Stille gekostet hat, dann kann man nicht genug davon bekommen! In der Stille beginnt Gott zu uns zu reden. Stille ist nicht Leere, sondern Fülle der Gnade und Liebe Gottes, in der man sich ausruhen darf. Ich pflege die Stille gerne vor dem Allerheiligsten. Dort kann ich ihm alles bringen, unter sein Licht stellen, damit er in Liebe ordnet, was in meinem Leben vorgeht. So darf ich ihm auch alle Besucherinnen und Besucher und alle Gebetsanliegen bringen. Ich bin nicht die Aktive, die ordnen muss. Gott ist es, der in der Stille wirkt. Manchmal darf ich Zuschauerin sein, von dem, was er an anderen wirkt. Es ist ganz einfach. Gott ist nicht kompliziert. Deshalb kann ein einfacher Arbeiter zum gleichen Ziel kommen wie eine studierte Theologin, nur der Weg ist ein anderer. Mein Weg ist der einfache. Ich lese nicht viel, lasse das Gelesene aber tief sickern, damit es in meinem Leben ankommt. Auch beim Stundengebet. Wenn mich ein Psalm tief berührt, darf ich innehalten und es sickern lassen. Dann dauert die Vesper vielleicht eine Dreiviertelstunde, doch das ist mein Vorrecht. Das Ziel unseres Gebetes ist, dass wir bei Gott ankommen, in seiner Gegenwart leben. Deshalb komme ich immer wieder ins Gebet, versuche aber, bei meinen einfachen Arbeiten das Herzensgebet zu pflegen. Oft kommen mir im richtigen Moment die passenden Psalmen in den Sinn. Das ist wunderschön. Langweilig wurde es mir noch nie!

Und was ist Ihr Reichtum?
Die Einfachheit erlaubt mir den Luxus der Zeit. Das Kostbarste für mich ist, dass ich das Allerheiligste bei mir haben darf. Das ist mein Reichtum: dass ich mich in der Gegenwart Gottes bewegen darf. Da bin ich noch nicht fertig geworden mit Staunen. Das ist mein Reichtum, den ich mit den Menschen teilen darf.

Was möchten Sie den Menschen sagen?
Ich möchte mit meinem Leben zeigen, dass es schön ist, mit Gott unterwegs zu sein. Und dass Gott uns so sehr liebt, dass er uns ein erfülltes Leben schenken möchte, da, wo er uns hinstellt. Mein Wunsch ist, dass wir den Mut haben, bei uns selber anzukommen. Ohne Gott brauchen wir Idole und sind versucht, sie zu kopieren, doch Gott hat uns als Originale gedacht!

Interview: Rosmarie Schärer

 

1 Aufrichtige Erzählungen eines russischen Pilgers, Freiburg i. Br. 192000.

 

 

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