«Mehr frid, ruow und einigkeit»

Mit dem Landteilungsbrief vom 8. September 1597 ging im Zeitalter der Konfessionen auf friedlichem Weg ein Versuch eines paritätischen Gemeinwesens zu Ende. Was war geschehen?

Darstellung des Landes Appenzell im «Silbernen Landbuch» von 1585. Im Zentrum das Dorf Appenzell. (Bild: Landesarchiv Appenzell Innerrhoden)

 

Das Land Appenzell konnte sich schrittweise von der ursprünglichen Herrschaft des Klosters St. Gallen lösen und gehörte seit 1513 als 13. Ort der Eidgenossenschaft an. Gegliedert war das Gebiet in sechs äussere und sechs innere Rhoden, d. h. Gebietskörperschaften, die über eine gewisse Selbstverwaltung verfügten. Reforma- torische Bestrebungen erreichten ab 1522 das Appenzellerland. Grundlegende Entscheide zur Umsetzung der Reformation fällte die Landsgemeinde als «höchste gewalt» respektive oberstes Organ des Landes: Zum einen sprachen sich die Landleute 1524 für das Schriftprinzip aus, demgemäss nur gepredigt und gelehrt werden sollte, was in der Bibel steht. Zum anderen führte man 1525 das Gemeindeprinzip ein mit der Idee, «man solle in yedtlicher kilchhöre meeren, welichen glouben sie welte annehmen».

Man delegierte die Frage der Glaubensausrichtung von der Landes- auf die Kirchgemeinde- ebene. Nur die Pfarreien Appenzell und Herisau sprachen sich in der Folge für den katholischen Glauben aus. Herisau vollzog die Reformation schliesslich 1528/29, womit die in der Pfarrei Appenzell zusammengefassten sechs inneren Rhoden als einzige katholisch blieben. Die Befürwortung oder Ablehnung der Reformation beruhte somit nicht auf einem obrigkeitlichen Entscheid, sondern entsprach den individuellen Präferenzen. Entsprechend grosszügig wurde das Gemeindeprinzip angelegt: Zum Beispiel durfte die bedeutende reformierte Minderheit in der Pfarrei Appenzell den reformierten Gottesdienst im benachbarten Gais besuchen.

Jahrzehnte der Koexistenz

Die Glaubensabstimmungen in den Kirchgemeinden bildeten weitgehend den Abschluss der Reformation. Das Land Appenzell war nun während fast drei Generationen bis zur Teilung 1597 ein paritätisches Staatswesen. Zweifellos stabilisierten das Gemeindeprinzip und die konfessionelle Freizügigkeit die Verhältnisse, auch wenn die Landteilung im Kern bereits angelegt war. Eine verbindende Rolle besassen wohl die Politik und die Geschichte: An der Landsgemeinde und in den Räten wirkten Katholiken wie Reformierte gemeinsam. Und es bestand ein Bewusstsein, dass man die Loslösung vom Kloster St. Gallen gemeinsam erlangt hatte. Gleichzeitig war es ein fragiles konfessionelles Gleichgewicht, das stets neu verhandelt werden musste. So mahnte beispielsweise ein Wandbild im Rathaus von Appenzell, das nach dem Dorfbrand von 1560 neu erbaut worden war, zum redlichen Umgang miteinander: «Vill guots der frum mit reden stifft, ein böse zung vill leut vergifft». Und ein Tafelbild im Ratssaal erinnerte an den erfolgreichen Kampf der Appenzeller gegen eine habsburgische Übermacht in der Schlacht am Stoss 1405, womit eine gemeinsame appenzellische Befreiungstradition geschaffen wurde.

Beginn des konfessionellen Zeitalters

Die Verfestigung der konfessionellen Grenzen in der übrigen Eidgenossenschaft im Zuge der katholischen Reform ab der Mitte des 16. Jahrhunderts wirkte sich auf das paritätische Land Appenzell aus, das zunehmend als Sonderfall erschien. Man konnte sich der Einflussnahme von aussen kaum entziehen, wobei für die inneren Rhoden die engen Beziehungen zur Innerschweiz zum Tragen kamen. So wurden die Kapuziner auf Vermittlung von hohen Inner- schweizer Politikern 1586 nach Appenzell berufen. Sie sollten vor Ort den katholischen Glauben festigen. In der Folge kam es zu Diskussionen über die Interpretation des Gemeindeprinzips, wobei in Appenzell der auswärtige Gottesdienstbesuch infrage gestellt wurde. Unter Vermittlung der Eidgenossenschaft wurde 1588 ein Glaubensvertrag aufgesetzt, der zwar das Gemeindeprinzip bestätigte, dieses jedoch eng auslegte: Die konfessionelle Minderheit einer Kirchgemeinde sollte sich der Mehrheit anpassen oder den Ort verlassen. Mit diesem Entscheid war eine erste, konfessionelle Landteilung vollzogen. Angesichts der Verzahnung von Staat und Konfession war es nur eine Frage der Zeit, bis es zur eigentlichen Landteilung kommen sollte.

Aussenpolitik als Zankapfel

Hauptauslöser für die Landteilung 1597 waren unterschiedliche aussenpolitische Ziele der inneren und der äusseren Rhoden. Seit 1516 war das Land Appenzell als Teil der Alten Eidgenossenschaft mit Frankreich verbündet. Die als Gegenleistung für gestellte Söldner ausbezahlten Gelder waren für den Staatshaushalt enorm wichtig. Als Frankreich ab Ende der 1580er-Jahre die Bündnisgelder nicht mehr bezahlen konnte, sahen die inneren Rhoden ein Bündnis mit Spanien als hoffnungsvolle Alternative: Spanien war aufstrebend und schien über genügend finanzielle Mittel zu verfügen. Zudem erhoffte man sich von diesem Politikwechsel, dass «yn kurtzer zytt das gantz land Appenzell catholisch und im glouben einhällig werden mag». Die äusseren Rhoden wollten, unterstützt von den reformierten Ständen, keinen zusätzlichen Soldvertrag zu jenem mit Frankreich. Als die Kirchhöre Appenzell als Versammlung der inneren Rhoden nach längerem Hin und Her einem Bündnis mit Spanien zustimmte, war der Graben so tief, dass auch Vermittlungsversuche der Eidgenossenschaft scheitern mussten. Im Juni 1597 stimmten Versammlungen in beiden Landesteilen einer Trennung für «mehr frid, ruow und verhoffender einigkeit» zu. Mit eidgenössischer Unterstützung fand man in allen strittigen Punkten eine einvernehmliche Lösung, sodass der Teilungsvertrag am 8. September 1597 von den sechs Schiedsrichtern ausgefertigt und gesiegelt werden konnte.

Die Teilung des Landes

17 Artikel reichten aus, um die Trennung zu vollziehen: Geregelt werden mussten etwa die Teilung des gemeinsamen Besitzes (Vermögen, Gebäulichkeiten, Banner, Siegel usw.), die Aufbewahrung von wichtigen Dokumenten wie Privilegien- und Bündnisbriefen, ebenso das künftige Verhältnis zur Eidgenossenschaft. Aber auch die konfessionellen Spannungen flossen in die Urkunde ein: Zur Erhaltung des religiösen Friedens waren gegenseitige Schmähungen untersagt, und die inneren Rhoden durften weiterhin jährlich zur Stosskapelle wallfahren, die bei Gais im Ausserrhodischen liegt. Eine Hauptschwierigkeit war die territoriale Zuweisung von gemischtkonfessionellen Gebieten, etwa in Oberegg, auf welche beide Seiten Anspruch erhoben. Die gefundene Lösung war von Pragmatik, nicht von Weitblick geprägt – wie überhaupt der Landteilungsbrief: Katholische Bewohner dieser Gebiete sollten zu den inneren Rhoden gehören, Reformierte zu den äusseren. Wechselte eine Liegenschaft in die Hand der anderen Konfession, wechselte die territoriale Zugehörigkeit. Diese für beide Seiten unbefriedigende Situation wurde 1637 mittels Vertrag zu klären versucht, denn fortan sollten Handwechsel nur noch innerhalb der bestehenden Konfession erfolgen. Gleichwohl glichen die Grenzverhältnisse einem Flickenteppich und konnten erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nach langen Verhandlungen und auf Druck des Bundes bereinigt werden.

Ein dauerhaftes Provisorium

Das 16. Jahrhundert war noch nicht reif für ein gemischtkonfessionelles Gemeinwesen. Die Teilung des Landes Appenzell beendete einen mehrere Jahrzehnte dauernden, teils erfolgreichen Versuch einer friedlichen Koexistenz. Und es ist wohl ihr grösster Erfolg, am Ende ohne schwerwiegende Konflikte eine Lösung gefunden zu haben. In der Rückschau wird die Teilung als Ursprung der beiden selbständigen (Halb-)Kantone Appenzell Innerrhoden und Appenzell Ausser- rhoden angesehen. Diese Sichtweise ist von der weiteren, sehr unterschiedlichen Entwicklung der beiden Gebiete geprägt. Das «Giftle» und «Pössle» zwischen den Innerrhodern und Ausserrhodern ist zwar legendär. Gleichwohl sprach man sich gegenseitig bis ins 19. Jahrhundert als «Mitlandleute» an und nicht als «Eidgenossen» oder «Miteidgenossen» wie die Schwyzer, Zürcher oder Glarner. Man war sich trotz der Teilung bewusst, eigentlich einem grösseren Ganzen anzugehören. Mit dieser Sichtweise passt der 17. und letzte Artikel des Landteilungsbriefes überein, wonach die Teilung «nit immer und eewig noch länger wehren und bestaan [soll], dann so lang es inen zuo beiden theilen gefellig ist». Die Appenzeller könnten, so die Urkunde, die Teilung aufheben, wenn «inen und gmeinem land die sönnderung nit nutzlich und fürstendig were».

Sandro Frefel


Sandro Frefel

Sandro Frefel (Jg. 1977) studierte Geschichte, Medienwissenschaften und Volkswirtschaft an der Universität Bern und absolvierte ein Nachdiplomstudium in Archiv-, Bibliotheks- und Informationswissenschaften. Seit 2012 ist er Landesarchivar des Kantons Appenzell Innerrhoden.