Ein Glaubenskrieg wird provoziert

Ein erfolgreicher Krieg hätte die Glaubwürdigkeit der Zürcher erhöht. Am Ende des Säbelrasselns standen eine Niederlage und ein von Diplomaten ausgehandelter Friedensvertrag.

Seit Beginn des Jahres 1655 hielt die Vertreibung der Waldenser aus Savoyen die Eidgenossen in Atem. In Bern gingen Nachrichten über ausgelassene Feiern ein, mit denen Luzerner Bürger auf die Massaker in Savoyen reagiert hätten. Fremde Reiter, so hiess es in einer anderen Meldung, seien auf den Bergspitzen zu sehen gewesen, ein «ungutes Geschrei» berichte von möglichen Angriffen der Katholiken. Das Schicksal der Waldenser schien von einer neuen Welle der Gewalt gegen alle Rechtgläubigen zu künden.

Die Konfessionsgrenze beschränkte und strukturierte die Kommunikation zwischen den Dreizehn Alten Orten. Sie erschwerte Heiratsbündnisse, sie führte zu einem Auseinanderdriften von Festkultur und Zeichensystemen, sie bestimmte Karrierewege und Freundeskreise. Sie erleichterte das Gespräch innerhalb der Konfession und erschwerte es zwischen den Konfessionen. Vor allem aber erschwerte sie Prognosen hinsichtlich der Reaktionen des jeweils anderen auf aktuelle Krisen.

Der Auslöser

Was die Eidgenossenschaft dieser Zeit spaltete, welche zentrifugalen Kräfte an ihr zerrten, aber auch welche Mechanismen eine Eskalation verhinderten, zeigte exemplarisch die Geschichte des Ersten Villmergerkrieges. Sie begann am Morgen eines Septembertags im Jahre 1655. Eine Gruppe von Flüchtlingen traf in Zürich ein. Die diensttuenden Räte befragten die Ankommenden und erfuhren, dass es sich um verfolgte Protestanten aus Schwyz handelte. Angesichts dieser brisanten Nachricht taten die Senatoren alles, um ihre Gäste nach kurzer Rast zur Weiterfahrt zu bewegen. Nur wenige Stunden später sollte sich dies ändern. Weitere Entscheidungsträger trafen ein und erklärten nun, wie glücklich man sich schätze, Glaubensbrüder aufnehmen zu dürfen. Das Wunder ihrer Errettung, das die Protestanten hier feierten, war ein gut vorbereitetes. Die Arther waren über Monate von einem Zürcher Pfarrer heimlich in der reformierten Lehre unterrichtet worden. Auch dass sie ausgerechnet am Nikodemustag in Zürich eintrafen und den geistlichen Vertretern akribisch auswendig gelernte Glaubensbekenntnisse vortrugen, sprach nicht für einen Zufall.

Auf Unterstützung und Provokation aus

Tatsächlich bildete die Geschichte der frierenden Glaubenshelden einen idealen Ansatzpunkt für jene Provokationen, die in den nun folgenden Wochen über die Konfessionsgrenze hinweg gesandt wurden. Es begann mit Zürichs Forderung, die noch in Schwyz verbliebenen Reformierten ziehen zu lassen und allen Flüchtlingen das Recht auf ihr Eigentum zu garantieren. Beides werde durch die eidgenössischen Rechte garantiert. Der Schwyzer Landrat wies dieses Ansinnen erwartungsgemäss zurück. Standesangehörige seien allein ihren Obrigkeiten untertan. Er verlange die sofortige Auslieferung der Flüchtlinge. Der Austausch von Standpunkten begann sich rasch auszuweiten. Beide Seiten suchten Bündnispartner für ihre Position. Dies erwies sich zumindest für die Zürcher als schwierig. Die Aussage des Antistes Ulrich* etwa, eine christliche Obrigkeit habe die Pflicht, um des Glaubens willen Verfolgte mit Waffengewalt zu befreien, fand kaum Zustimmung ausserhalb der Limmatstadt. Vor allem in Basel wurde sie brüsk zurückgewiesen. In Bern unterstützte sie nur eine Minderheit innerhalb des Grossrates. Eine Zürcher Ratsdelegation tat ihr Bestes, um die Mehrheitsverhältnisse zu ändern. Der Krieg, so suggerierte sie ihren Berner Kollegen, werde ohnehin kommen. Es gehe nur noch darum, wer ihn gewinne. Am Ende wurde dem Grossrat das Zugeständnis abgerungen, ins Feld zu ziehen, wenn der Schwyzer Landrat es wage, die inhaftierten Protestanten hinzurichten. Zürich sollte in den nun folgenden Tagen mit nicht enden wollenden Provokationen dafür sorgen, dass diese Linie überschritten wurde.

Krieg versus Reformprojekt

Wer waren jene, die so verbissen für den Krieg stritten? Zu ihnen zählten zweifellos die Zürcher Geistlichen. Sie lieferten Glaubensbrüdern in ganz Europa seit der Reformation theologische Begründungen für militärische Interventionen. Selbst jedoch mussten sie bei konfessionellen Hilferufen stets ihre Ohnmacht offenbaren. Ein kleiner, erfolgreicher Krieg schien ein probates Mittel zu sein, um die verloren gegangene Glaubwürdigkeit wiederherzustellen. Die Pastoren allein besassen indes nicht die Macht, den Zürcher Rat zum Handeln zu bewegen. Dazu bedurfte es der Unterstützung von Teilen der Obrigkeit. Einige Räte hatten im Gefolge des Bauernkrieges von 1653 gemeinsam mit Berner Amtskollegen eine Reform der eidgenössischen Bünde gefordert. Es war ein Reformprojekt, das eine grössere Schlagkraft der Obrigkeit mit Vorschlägen verband, wie die eidgenössische Konfliktlandschaft zu befrieden war. Die katholische Seite lehnte es ab. Nun sollten jene, die die Neugestaltung des Bundes ausgehandelt hatten, auch jene sein, die den Krieg befürworteten und führten – auf Zürcher wie auf Berner Seite. Sie bildeten eine Minderheit innerhalb der Entscheidungsgremien, die aber mit den Ängsten ihrer Ratskollegen zu spielen wusste und die eine klare Vorstellung von den Veränderungen – etwa im eidgenössischen Recht – hatte, die die Eidgenossenschaft zu durchlaufen hatte.

Mechanismen des Ausgleichs

Dessen ungeachtet erwies sich der Weg zum Krieg als steinig. Seine Befürworter hatten zahlreiche Mechanismen des Konfliktausgleichs auszuhebeln. Da waren zunächst einmal die nach wie vor starken gemeinsamen Interessen der Dreizehn Alten Orte: Bern profitierte ebenso wie Luzern, Schwyz oder Freiburg von Handels- und Solddienstverträgen mit Frankreich. Dessen Botschafter bemühte sich dementsprechend darum, den Konflikt zu entschärfen. Krieg bedeutete zudem eine Störung der Handelswege, was nicht zuletzt bei der Schaffhauser und Zürcher Kaufmannschaft auf Vorbehalte traf. Einige der Orte würden von einem Krieg ohnehin nicht profitieren – wie etwa Basel, das vertraglich zum «Stillesitzen» (zur Neutralität) verpflichtet war. Auf katholischer Seite waren es vor allem Freiburg und Solothurn, deren Räte angesichts der periphären Lage ihres Ortes eher die Risiken als die Chancen eines Konfliktes sahen. Andere, wie Luzern und Bern, bezweifelten die militärische Schlagkraft jener, die den Krieg vorantrieben. Am Ende würden sie, die grossen und mächtigen Orte, die finanziellen und militärischen Lasten einer Auseinandersetzung tragen müssen, die die kleineren verschuldet hatten.

Stabilisierung durch Diplomatie

Am Ende wurde der Krieg des Jahres 1656 nur von einem Teil der Orte geführt. Sein Verlauf war durchaus unerwartet. Zürichs Truppen blieben vor Rapperswyl stecken, während die Berner vor Villmergen vernichtend geschlagen wurden. Noch war der Krieg aber nicht beendet. Der kommandierende General der Berner Truppen erklärte seiner Obrigkeit, ihn noch gewinnen zu können, wenn der Rat dem Engagement von französischen Reiterregimentern zustimme. Diese Einladung an äussere Militärexperten war ein Bruch mit den bislang akzeptierten Regeln des Konfliktausgleichs und eine Gefährdung der eidgenössischen Position in Europa. Die beruhte vor allem darauf, dass die Grossmächte kein Interesse daran hatten, den Bund von aussen zu destabilisieren. Als Truppenlieferanten und Schmuggelzentrum waren sie für Frankreich ebenso wie für die Habsburger wertvoller denn als Schlachtfeld.

Der Vorschlag des Berner Generals scheiterte indes nicht am Kalkül der Entscheidungsträger, sondern an Zufälligkeiten der Mehrheitsverhältnisse in der Ratskammer. Da die Kriegsbefürworter im Felde standen, konnten ihre Gegner den Antrag ablehnen und Friedensverhandlungen einleiten. Die fanden nun in einer komplizierten Pendeldiplomatie statt, wobei die neutralen Orte gemeinsam mit europäischen Diplomaten eine Friedenslösung aushandelten. Es war ein Vertrag, der zum Erwartungsrahmen eidgenössischen Handelns zurückkehrte. Der Krieg wurde als Ende eines konkreten Rechtsstreites angesehen, die Niederlage einer der Parteien beschränkte sich auf den Streitgegenstand. Sie war nicht Anlass, auf verschiedenen Ebenen des Miteinanders Rechnungen zu begleichen. Dass diese Auffassung vom Krieg sich durchsetzte, war auf die starke Stellung der nicht am Krieg beteiligten Diplomaten und Räte zurückzuführen. Sie hielten das System ein weiteres Mal stabil und sorgten für die Einhegung des militärischen Konfliktes.

Selbstbildnis und Realität

Die Tatsache, dass der Krieg so schnell beendet wurde, sollte für Zeitgenossen eine Quelle des Stolzes werden. Das Bild von der Friedensinsel gewann an Anziehungskraft. Abgesehen davon, dass diese Modellvorstellung die Rolle der ausländischen Mächte ausblendete, ignorierte sie, wie prekär dieses Gleichgewicht war, wie oft die Eidgenossenschaft im Verlaufe des 17. und frühen 18. Jahrhunderts kriegerischen Konflikten nur knapp entging. Die Kommunikationsstörungen zwischen den Konfessionen hielten an und sie sollten noch 1712 ein weiteres Mal zu einem Krieg führen – als Zürich in den Zweiten Villmergerkrieg hineinstolperte, nicht aus Kalkül, sondern weil seine Räte die Reaktionen der katholischen Gegenseite im Toggenburg wie in Schwyz falsch einschätzte.

Thomas Lau

 

* Antistes (lateinisch für Vorsteher) war schon in vorchristlicher Zeit die Bezeichnung für den Leiter einer Kultgemeinschaft. In Zürich, Basel und Schaffhausen bezeichnete Antistes vom 16. bis 19. Jahrhundert das höchste Amt in den reformierten Kirchen. Der Ausdruck wurde erstmals 1525 gebraucht als inoffizieller Ehrentitel für Ulrich Zwingli in Zürich.


Thomas Lau

Prof. tit. Dr. Thomas Lau (Jg. 1967) studierte Geschichte und öffentliches Recht in Freiburg i.Br., Basel und Dublin. Er ist seit 2005 Privatdozent für Geschichte der Neuzeit an der Universität Freiburg i.Ü.