Mais ist heilig für die Mayas

Saatgut gerät durch Grosskonzerne und Freihandelsabkommen unter Druck. Die Kleinbäuerinnen und -bauern in Guatemala zeigen, welch tiefgreifenden Folgen dies für ihr Recht auf Nahrung und für ihre Identität hat.

Saatgut in Kolumbien. (Bild: zvg)

 

Bis heute bezeichnen sich die Mayas in Guatemala als Maismenschen. «Nach Anschauung der Maya wurden wir Menschen aus Mais geschaffen», sagt Inés Pérez. Selber ist sie Maya-Quiché1 und katholische Theologin und koordiniert von Guatemala-Stadt aus das ökumenische Landesprogramm von Fastenopfer und Brot für alle. Bereits im Schöpfungsmythos im Popol Vuh, der heiligen Schrift der Maya, wird von den Menschen aus Mais erzählt. Verschiedene Versuche der Götter, die Menschen zu formen – zuerst aus Schlamm, dann aus Holz – seien erfolglos gewesen: «Noch einen letzten Versuch wollten sie wagen», heisst es im Popol Vuh, «sie sammelten Maiskörner, mahlten sie zu Mehl und mischten sie mit Wasser. Daraus formten sie vier Menschen. Und da Mais verschiedene Farben haben kann wie Weiss, Gelb, Rot oder Braun, entstanden Menschen mit verschiedenen Hautfarben.» Um Aussaat und Ernte drehten sich bei den Mayas viele Rituale, Zeremonien, Tabus und Normen. Die Mayas fasten und verzichten auf sexuelle Kontakte, bevor sie zur Aussaat das Saagut berühren, den Boden umpflügen (und damit im Verständnis der Maya die Eingeweide der Mutter Erde öffnen). Auch ein eigener Tag – «Q’uanil’» – ist dem Saatgut im Maya-Kalender gewidmet. Doña Juana Vasquez, die in Guatemala eine regionale Partnerorganisation der Hilfswerke koordiniert, sagt: «Das Saatgut, das wir von unseren Vorfahren erhalten und weiterentwickelt haben, ist in einem umfassenden und tiefen Sinn nahrhaft. Es kommt aus der Mutter Erde und wird in diese Erde mit unserem Wissen und mit Ehrfurcht gesät. Die Früchte daraus ernähren nicht nur Menschen und Tiere, sondern auch die Erde und alle Elemente der Natur». Und Inés Pérez ergänzt: «Saatgut ist beseelt und heilig.»

Wer kontrolliert, bestimmt

«Saatgut ist heilig.» Ein Satz, der umso ironischer wirkt, wenn man sieht, wie es um dessen Situation in der Welt steht. Denn Saatgut gerät immer mehr unter Druck: Heutzutage kontrollieren die drei Konzerne Syngenta, Bayer-Monsanto und DowDuPont mehr als die Hälfte des kommerziellen Saatguts. Sie entscheiden, welche Sorten auf den Markt und auf den Teller kommen. Die Bemühungen dieser Konzerne werden von vielen Regierungen unterstützt.

Freihandelsabkommen leisten dem industriellen Saatgut Vorschub, und Saatgutgesetze verbieten es den Kleinbäuerinnen und -bauern zunehmend, mit ihren traditionellen Sorten zu handeln, diese zu tauschen oder zu vervielfältigen. Eine Problematik, der Fastenopfer und Brot für alle in vielen Ländern begegnen. Diese Einschränkungen manövrieren Kleinbäuerinnen und -bauern in die Abhängigkeit: Weil sie das Saatgut nicht mehr untereinander tauschen oder verschenken dürfen, müssen sie Saatgut kaufen. Dieses kommerzielle Saatgut gehört den Saatgutfirmen und wegen der restriktiven Sortenschutzgesetze, die vielen Entwicklungsländern inzwischen aufgezwungen wurden, dürfen die Bäuerinnen und Bauern es nicht wie gewohnt weitervermehren, sondern müssen es jedes Jahr neu kaufen.

Die Strategie der Konzerne ist es, auf wenige Sorten zu setzen, die sie möglichst global vermarkten, um eine grösstmögliche Rendite zu erzeugen. Weil es grossflächig verkauft werden soll, ist dieses Saatgut schlecht an die jeweiligen lokalen Bedingungen angepasst. Zudem ist es auf Dünger und Pestizide angewiesen, welche von denselben Konzernen angeboten werden. Während solche Paketlösungen den Konzernen fette Gewinne bescheren, führen sie viele Bäuerinnen und Bauern in die Schuldenfalle: «Ich kenne Familien, die nicht mehr wissen, wie sie ihre Kinder durchbringen sollen», sagt Pérez. Auf wenige Sorten zu setzen, zeigt sich auch in der abnehmenden Artenvielfalt. Für das Ökosystem, den Sortenerhalt, die Insekten und die Qualität der Böden ist das fatal. Mit dem Slogan «Gemeinsam für eine Landwirtschaft, die unsere Zukunft sichert» macht die Ökumenische Kampagne deshalb während der diesjährigen Fastenzeit auf diese Missstände aufmerksam.

Eine Briefaktion, die viele mittragen

Auch die Schweiz trägt ihren Beitrag zu diesen Dynamiken bei. Derzeit verhandelt die Schweiz ein Abkommen mit Malaysia. In diesem ist ebenfalls ein Passus aufgeführt, der den malaysischen Staat zwingt, strenge Sortenschutzgesetze umzusetzen, um die Interessen der Saatgutkonzerne zu schützen. Die Folgen solcher Gesetze zeigen sich bereits in vielen Entwicklungsländern, die sie schon umsetzen mussten – das traditionelle Saatgut wird zurückgedrängt und die Kleinbäuerinnen und -bauern geraten in die Abhängigkeit. In der Schweiz fordern die Hilfswerke deshalb während der Ökumenischen Kampagne Pfarreien und Kirchgemeinden auf, sich solidarisch mit Malaysia zu zeigen und einen Brief ans Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) zu schreiben.2 Das Seco ist verantwortlich für die Verhandlungsführung bei Freihandelsabkommen und bestimmt, welche Forderungen an die Partnerländer in Freihandelsabkommen seitens der Schweiz aufgegriffen werden. Vergangene Gespräche der Hilfswerke mit dem Seco blieben bis anhin fruchtlos. Auch für Partnerorganisationen in den Projektländern ist das Abkommen in dieser Form unverständlich. Viele Kolleginnen und Kollegen der Hilfswerke tragen die Aktion deshalb aktiv mit und schreiben ebenfalls einen solchen Solidaritätsbrief. Neben der Briefaktion unterstützen Fastenopfer und Brot für alle auch ausserhalb der Kampagne ihre Partnerorganisationen, sich lokal, national und international zu vernetzen und auszutauschen. Gemeinsam lernen die Kleinbäuerinnen und -bauern ihre Rechte kennen und lernen ihre Stimme auf politischer Ebene einzubringen. In der Projektarbeit von Fastenopfer bilden nebst der Lobbyarbeit zudem Workshops in nachhaltigen und ressourcenschonenden Anbaumethoden einen Schwerpunkt.

Respektvoll leben und anbauen

Doch wie sehen diese Anbaumethoden aus? Ein Begriff, der in Zukunft immer mehr an Bedeutung gewinnen dürfte, ist Agrarökologie. Agrarökologische Anbaumethoden bieten hier eine vielversprechende Alternative zur industriellen Landwirtschaft, welche die Konzerne propagieren. Sie ermöglichen, die Ernte zu erhöhen, ohne teure chemische Dünger und Pestizide einzusetzen. Hier spielt der gemischte Anbau verschiedener Nutzpflanzen eine wichtige Rolle. Unterschiedliche Kulturen werden so kombiniert, dass sie sich gegenseitig vor Schädlingen schützen und mit Nährstoffen versorgen. Dem Boden wird in Form von Kompost, Mulch oder Mist möglichst viel organisches Material zugeführt, so dass Bodenlebewesen gefördert werden und sich neuer Humus bildet. In der Praxis gibt es nicht die eine agrarökologische Methode. Die jeweils passende muss nach Umweltbedingungen und Bedürfnissen der Menschen – eben lokal angepasst – ausgearbeitet werden. Im Senegal pflanzen die Bauernfamilien Hirse, Erdnüsse und Maniok in Kombination an und produzieren natürliche Insektizide auf pflanzlicher Basis. In Haiti helfen zum Hang parallele Streifen aus Vetiver-Gras oder Zuckerrohr, die Hänge zu stabilisieren. In den Philippinen züchten die Bauern und Bäuerinnen ihre eigenen Reissorten, um sie resistenter gegen die Folgen des Klimawandels zu machen. Und in Kenia pflanzen sie «essbare Wälder», um eine ausgewogene Ernährung sicherzustellen und eine Alternative zu den Maismonokulturen zu bieten.

Inés Pérez sagt, dass «diese Art der Pflege, des Schutzes und des Umgangs mit Saatgut, wie sie die Maya betreiben, in der heutigen Zeit auch ein Weg sein kann, eine harmonische und respektvolle Gesellschaft zu formen – eine Gesellschaft, die sich der Wichtigkeit von Saatgut in allen Lebensbereichen und Ausdrucksformen bewusst ist.»
Für Fastenopfer steht diese Anschauung im Einklang mit der Idee der Agrarökologie: Es geht darum, die Verletzlichkeit der Natur sowie die Endlichkeit der Ressourcen zu berücksichtigen, der Gesellschaft zu dienen statt Profite zu maximieren – und vielleicht auch wieder einen etwas demütigeren Umgang mit Saatgut zu pflegen, mit unserem Boden und mit unserer Welt.

Madlaina Lippuner

 

1 Die Quiché (wörtlich: viele Bäume) gehören zu den Maya. Sie bilden die grösste indigene Volksgruppe in Guatemala.

2 www.sehen-und-handeln.ch/saatgut

 

Madlaina Lippuner | © Fastenopfer

Madlaina Lippuner

Madlaina Lippuner ist für die Kommunikation der Ökumenischen Kampagne beim Fastenopfer verantwortlich.