Machtvolle Aussenpolitik

Der Papst ist nicht nur das Oberhaupt der Katholischen Kirche, sondern auch ein Staatsmann. Nach dem Verlust des Kirchenstaates 1870 begannen die Päpste, sich als Vermittler in Konflikten zu betätigen.

Eine amerikanische Fernsehdokumentation über die Macht des Papsttums stand 2019 unter dem Titel «Pope – The most powerful man in history». Das Wort des Papstes hat in der internationalen Politik Gewicht. Das liegt aber nicht an dem Zwergstaat, dem «Staat der Vatikanstadt», der gerade einmal 93 Jahre alt ist, nicht mehr als 2000 Einwohner zählt und kleiner als 62 Fussballplätze ist. Die politische Bedeutung des Papsttums ist darin begründet, dass der jeweilige Amtsinhaber der mit 1,3 Milliarden Mitgliedern grössten Kirche vorsteht.

Akteur auf der internationalen Bühne ist nicht die Vatikanstadt, sondern der Heilige Stuhl, also der Papst und seine Mitarbeitenden als Leitung der Katholischen Kirche. Heute entsenden 184 Staaten ihre Botschafter in den Vatikan – kaum ein anderer Staat unterhält so viele diplomatische Beziehungen. Der Heilige Stuhl ist Beobachter bei der UNO und ihren wichtigsten Sonderorganisationen, beim Europarat und bei der OSZE. Er ist zahlreichen internationalen Verträgen beigetreten wie z. B. der Genfer Flüchtlingskonvention. Der Heilige Stuhl vermittelt in internationalen Konflikten, wie etwa bei der Annäherung zwischen Kuba und den USA. Man kann ohne Weiteres sagen, dass das Papsttum damit eine starke Stellung auf der internationalen Bühne hat.

Mit Diplomatie und innerer Stärke

Das war nicht immer so. 1870 ging der im frühen Mittelalter gegründete Kirchenstaat unter. 59 Jahre lang mussten die Päpste ohne Territorium auskommen. Doch man gab den Anspruch auf staatliche Souveränität nicht auf. Leo XIII. vermittelte im späten 19. Jahrhundert elfmal in internationalen Konflikten. Diese Vermittlerrolle wurde von Benedikt XV. im Ersten Weltkrieg wieder aufgegriffen. Obgleich seine Friedensvermittlung scheiterte, wuchs doch das Prestige des Papsttums erheblich. Dennoch kam es damals nicht zu einem Beitritt zum Völkerbund in Genf. In der Zwischenkriegszeit wurden aber zahlreiche Konkordate zwischen dem Heiligen Stuhl und verschiedenen Ländern geschlossen, durch die die Rechtsposition der Kirche gesichert werden konnte. Besonders wichtig waren die Lateranverträge von 1929, die die Gründung eines neuen kirchlichen Staates vorsahen. Die Friedensaufrufe Pius' XII. im Zweiten Weltkrieg blieben ebenso ungehört wie die Aufrufe Benedikts XV. Ein entscheidender Schritt für die Einbindung des Heiligen Stuhls in die internationale Gemeinschaft war die volle Anerkennung der Menschenrechte und der Demokratie im Zweiten Vatikanischen Konzil. Nun erst wurde die vorbehaltlose Mitarbeit in internationalen Organisationen möglich – ein zentrales Anliegen Pauls VI.

Johannes Paul II. war im Unterschied zu den meisten seiner Vorgänger seit 1800 kein Diplomat gewesen und hatte keine politische Erfahrung. Doch war seine Festigkeit im Umgang mit den polnischen Machthabern einer der Hauptfaktoren beim Fall des Eisernen Vorhangs, wie dies Michail Gorbatschow mehrfach betont hat. Aus einem anderen Grund muss man den polnischen Papst im Zusammenhang mit der vatikanischen Aussenpolitik erwähnen: Er lud 1986 zum ersten Mal Vertreter aller grossen Kirchen und Religionsgemeinschaften zu einem Friedenstreffen nach Assisi ein. Er wusste darum, dass Religionen grosses Konfliktpotenzial entwickeln können – dass sie aber zugleich eine Verpflichtung haben, sich für den Frieden einzusetzen. Daran knüpft Papst Franziskus erkennbar an, wenn er immer wieder in islamische Länder reist. Daneben ist ihm das Engagement für Flüchtlinge ein besonderes Anliegen. Am Tag nach dem Angriff auf die Ukraine hat er überraschend den russischen Botschafter beim Heiligen Stuhl aufgesucht, um für die Zivilbevölkerung einzutreten, besonders für die vielen Menschen auf der Flucht. Auch das ist vatikanische Aussenpolitik.

Jörg Ernesti

 

Buchempfehlung: «Friedensmacht. Die vatikanische Aussenpolitik seit 1870». Von Jörg Ernesti. Freiburg i. Br. 2022. ISBN 978-3-451-39199-6, CHF 51.90. www.herder.de


Jörg Ernesti

Jörg Ernesti (Jg. 1966) studierte Philosophie und Theologie in Paderborn (D), Wien und Rom. Zunächst arbeitete er als Professor für Kirchengeschichte in Brixen (I). Seit 2013 ist er Professor für Kirchgeschichte an der Theologischen Fakultät der Universität Augsburg und seit 2019 Dekan.