Loris Capovilla - «Lebende Erinnerung» an Papst Johannes XIII

Gut zehn Jahre lang war er der treue Sekretär von Angelo Giuseppe Roncalli, zunächst im Patriarchat von Venedig und dann im Apostolischen Palast des Vatikans: Monsignor Loris Francesco Capovilla, der am 22. Februar 2014 mit 18 anderen Bischöfen für den Empfang des Kardinalsbiretts vorgesehen war. Dass Papst Franziskus den hochbetagten Veneter mit dem Purpur auszeichnet, ist denn auch vor allem eine Anerkennung des wertvollen Dienstes, den dieser Kleriker für Johannes XXIII. geleistet hat. In der Tat gilt Capovilla als «memoria vivente» an den bedeutenden Roncalli-Papst, der am 27. April 2014 zusammen mit Johannes Paul II. heiliggesprochen wird.

Selten in der neueren Geschichte findet man einen Papstsekretär, der seine Tatkraft so bedingungslos seinem «Chef» widmete und der – seit über 50 Jahren – das Gedenken an ihn wachhält. Loris Francesco Capovilla gab nach dem Tod des Pontifex 1963 nicht nur dessen Schriften heraus, sondern verfasste auch Bücher sowie zahllose Artikel über ihn. Und er hat in der Sommerresidenz von Mons. Roncalli (vor dessen Wahl zum Papst) im Dorf Sotto il Monte bei Bergamo, wo er bezeichnenderweise selber wohnt, ein Museum mit Roncalli-Souvenirs eingerichtet. Eben dort, im Haus «Ca´ Maitino», hörte Capovilla Mitte Januar die Sonntagsansprache, in der Franziskus die Namen der 19 neuen Purpurträger – darunter den seinen – bekanntgab. «Eine Riesenüberraschung. Es war wie ein Lichtstrahl an meinem Lebensabend.» Durch die Ernennung fällt ein Schlaglicht auf den intelligenten Norditaliener, der mit 98 Jahren jetzt das älteste Mitglied des Kardinalskollegiums ist.

Loris Francesco Capovilla, nahe von Padua geboren, erhielt 1940 die Priesterweihe. Im Zweiten Weltkrieg leistete er Militärdienst in der Luftwaffe. Don Loris erwarb sich dann in verschiedenen Ämtern beträchtliches Ansehen in der Diözese Venedig. So kam es, dass ihn der 1953 zum Patriarchen von Venezia ernannte Angelo Giuseppe Roncalli als seinen Privatsekretär engagierte. Roncalli nahm ihn 1958 denn auch zum Konklave nach Rom mit, wo er als Sekretär des Kardinals in einem Nebenzimmer der Sixtinischen Kapelle logieren durfte. Dass der schon fast 77-jährige Roncalli zum Papst gewählt wurde, war selbst für den «segretario» höchst überraschend und bewegend: «Ich habe ihm die Hände und die Füsse geküsst und wollte ihm anschliessend Herztropfen bringen – nicht, weil er krank war, nur zur Stärkung. (…) Dann ging er zum Balkon und erteilte den Segen.» Besonders positiv wertete der Sekretär, dass Roncalli sogar als Oberhaupt der Weltkirche sehr bescheiden blieb; ein Vikar Jesu Christi, der seine Herkunft aus einfachen bäuerlichen Verhältnissen nie verleugnete. Zum Papst gewählt, änderte Roncalli (wie Capovilla betonte) zwar seinen Namen und sein Gewand – aber «unter jenem weissen Talar versteckte sich die Tunika des armen Landpfarrers». Ein anderes Mal schrieb der Sekretär: Johannes XXIII. sei «ein Mann des Glaubens und zugleich der Aktion, sanftmütig und zugleich stark, vorsichtig und trotzdem mutig».

All diese Eigenschaften, ergänzt durch Schlagfertigkeit und Humor, beeindruckten Mons. Capovilla tief. Folglich verehrte, ja bewunderte er seinen Herrn und Meister. Immer verteidigte er ihn, gescheit und – wenn es ihm notwendig erschien – mitunter polemisch. Beispiel? Jene Zeitgenossen, besonders in der Kirche, die Johannes XXIII. wegen seines hohen Alters bloss für einen Übergangspapst hielten, fragte er: «Und Sie? Sind Sie kein Übergangsmensch? Wir sind alle nur auf der Durchreise.»

Auf vielen Fotos, die Johannes XXIII. zeigen, ist sein damals schwarzhaariger Sekretär im Hintergrund zu sehen. Capovilla begleitete den Bischof von Rom bei fast allen Pfarrbesuchen. Und natürlich war er bei der grössten Leistung des Roncalli-Papstes stets hilfreich präsent: beim Zweiten Vatikanischen Konzil. Intensiv unterstützte er die von Johannes gewünschten Kirchenreformen sowie Roncallis Friedenspolitik. Mons. Capovilla trauerte mit, als «sein» Papst 1963 an Krebs starb. Was dann folgte, schildert er in einem Telefonat mit dem Schreiber dieser Zeilen: «Die Situation war dramatisch. Denn erzkonservative Kreise im Katholizismus, besonders in Frankreich, wollten das Rad radikal zurückdrehen und das ganze Reformwerk von Johannes XXIII. kaputtmachen. Aber gottlob; der neue Pontifex Paul VI. führte das Konzil doch weiter.» Unter dem Montini-Papst wurde Capovilla Konzilsberater, dann Oberhirte von Chieti und, als Titular-Erzbischof von Mesembria, päpstlicher Delegat für den Wallfahrtsort Loreto. 1988 ging er in den Ruhestand und zog nach Sotto il Monte. Der amtierende Pontifex Franziskus gefällt ihm, «weil er in vielem Johannes XXIII. gleicht».

Capovilla hatte zwar fest vor, am 21. Februar nach Rom zu reisen, um tags darauf von Papst Franziskus das Kardinalsbirett zu empfangen. Eventuell, sagte er scherzhaft, in einem «abgekürzten Ritus, indem mir der Heilige Vater im vatikanischen Gästehaus Santa Marta das Purpurbirett aufsetzt». Aber dann konnte der hochbetagte Monsignore doch nicht nach Rom reisen. Deshalb wird ihm der Papst durch einen Sondergesandten das Kardinalsbirett zustellen.

 

 

Bernhard Müller-Hülsebusch

Bernhard Müller-Hülsebusch

Dr. Bernhard Müller-Hülsebusch, seit vielen Jahren Korrespondent von deutschen und schweizerischen Medien in Rom und Buchautor, beschäftigt sich vor allem mit Themen rund um den Vatikan