Führungsfragen in Unternehmen und Non-Profit-Organisationen

1. Einleitung1

Die Situation der katholischen Kirche in der Schweiz ist offensichtlich schwierig geworden. Die Zahl der Mitglieder geht zurück, und das Ansehen der Kirche in der Gesellschaft nimmt ab. Es besteht ein weit verbreitetes Unbehagen unter den Gläubigen, das sich in ganz verschiedenen Bereichen äussert. Es gibt Meinungsverschiedenheiten in der Kirche, wie der Auftrag Jesu Christi an die Gemeinschaft der Glaubenden zu verstehen ist und wie die Kirche den Auftrag in dieser Welt und Gesellschaft glaubwürdig und effektiv vertreten und erfüllen kann. Wer das Apostolische Schreiben «Evangelii gaudium» von Papst Franziskus liest, wird betroffen sein, wie viele Ermahnungen und kritische Anmerkungen des Papstes auf die Kirche in der Schweiz zutreffen und wie wichtig daher seine Ermutigungen und Vorschläge sind, um den missionarischen Geist und die Sendung der Kirche zu bestärken. Der Papst betont umgekehrt, dass die Kirche in weltlichen Angelegenheiten vom Wissen und von der Kompetenz der Wissenschaft und der Wirtschaft lernen und profitieren soll. Auch Non-Profit-Organisationen (NPO) und kirchliche Organisationen müssen sich optimal und nachhaltig organisieren, um ihre Ziele zu erreichen.

2. Einführung in die Vorlesungsreihe

Die Vorlesungsreihe «Aktuelle Führungsfragen in Unternehmen und Non-Profit-Organisationen» stand unter der Leitung von Professor Adrian Loretan (Religionsverfassungsrecht) und Professor Alexander Jungmeister (Unternehmensrecht). Jede Vorlesungseinheit umfasste je ein Referat von Unternehmenseite und aus dem Bereich einer NPO. Im Anschluss daran bestand jeweils die Möglichkeit zu Rückfragen und zur Diskussion über die Themen. Die innovative Vorlesungsreihe gab einen Einblick in die brennenden Fragen: Wie können Organisationen, Profit- und Non-Profit-Unternehmen, geführt werden? Was können sie voneinander lernen? Es geht um Mission und Strategie, um Visionen, Strukturen und Leitungsmodelle, um die Rolle von Menschen in einer Organisation (Mitarbeitende, leitende Kader, Mitglieder, Kunden, Freiwillige), um finanzielle Mittel, Fundraising und um Chancen und schmerzliche Prozesse der Veränderung. Ziel der Veranstaltung war es, die Handlungs- und Reflexionskompetenz der Teilnehmer zu erhöhen, die eigenen Konzeptionen von Führung zu verbessern sowie kreative Impulse für Projekte in Forschung und Praxis zu vermitteln und verschiedene Modelle miteinander zu vergleichen. Die Referate wiesen eine grosse Vielfalt auf. Die Hörenden mussten sich durch teils bekanntes, zum Teil wenig bekanntes Gelände mit verschiedenen Stolpersteinen und Hürden führen lassen.

3. Beständigkeit und Wandel

Christliche Kirchen gelten als Gemeinschaften der an Gott Glaubenden, die sich zum Lob Gottes versammeln, aber auch andere kulturelle, karitative und soziale Zwecke verfolgen und sich dafür geeignete Organisationsformen schaffen. Die katholische Kirche macht den Eindruck, als Organisation nicht immer effizient zu handeln. Trotzdem existiert sie seit bald 2000 Jahren. Wirtschaftsunternehmen agieren oft wertfrei und konzentrieren sich auf den hauptsächlichen Zweck, Profite zu erwirtschaften. Trotz dieser «einfachen Zielsetzung» haben nur wenige Unternehmen 100 Jahre überdauert. Wie und mit welchen Strukturen muss also eine Organisation geführt werden, um Erfolg und Dauerhaftigkeit zu erreichen? In unserer Zeit der raschen Veränderungen wird es zu einer Frage des Überlebens, Erneuerungen zu initiieren und Veränderungen durchzuführen, um Dauer und nachhaltige Erfolge einer Organisation zu garantieren. Im Unternehmensbereich gibt es zwar unterschiedliche Theorien und Regeln über das «Change-Management », aber es wird allgemein anerkannt, dass im Lauf der Zeit neue Entwicklungen und zum Teil radikale Veränderungen notwendig sind. Demgegenüber praktizieren Mitglieder von kirchlichen NPO oder Mitarbeitende im kirchlichen Dienst eine eher konservative Unternehmensführung, die durch den Charakter der Freiwilligkeit von Angebot und Nachfrage, von Führung und Dienstleistungen verstärkt wird: Man kann Freiwillige nicht zwingen. Die Unterschiede zwischen kirchlichen NPO und profitorientierten Unternehmen können in Bezug auf die Ziele und die Mitgliederstruktur nicht übersehen werden, aber ebenso ist klar, dass die NPO und kirchlichen Organisationen geschäftliche Tätigkeiten ausüben, bei denen sie sich weitgehend an Standards und Vorschriften für Unternehmen halten müssen und deswegen eine entsprechende Führungsstruktur mit dem nötigen Fachwissen ausbilden müssen. Zu den Kernaufgaben der Führung von Unternehmen und Organisationen2 gehört die strategische Planung im Bereich Finanzen, Personalentscheidungen besonders auf der Ebene der Geschäftsleitung und des Kaders, klare Zuteilung von Aufgaben und Kompetenzen und ein redundantes System von Aufsicht und Controlling, um die Wertschöpfung und das Wachstum zu organisieren.3 Hinzu kommt das Bemühen um die Unternehmenskultur, in der Werte und Normen erarbeitet und explizit gegenüber den Mitarbeitenden und nach aussen kommuniziert werden, um dem Erscheinungsbild des Unternehmens ein positives Profil zu geben. Die Gesellschaft erwartet heute und fordert zunehmend von Unternehmen neben Qualität und Effizienz eine Unternehmenskultur, die soziale Normen berücksichtigt und gesellschaftliche Werte einbezieht und fördert.4 Auch in Wirtschaftsunternehmen spielen menschliche – und oft allzu menschliche – Komponenten eine Rolle, die über Erfolg oder Misserfolg des Unternehmens entscheiden. Es muss ein Standard ermittelt werden, der die verschiedenen Interessen gegenüber dem Unternehmen (Gewinn, Erfolg, Nachhaltigkeit und Arbeitsplatzsicherung) optimal berücksichtigt, ohne die Unternehmenskultur einseitig zu instrumentalisieren oder zu missbrauchen, um die Mitarbeitenden unter Druck zu setzen und die Performance zu erhöhen. Die Unternehmensethik ist dem Wohl der Allgemeinheit und dem Wohl des Einzelnen gleichermassen verpflichtet.5

4. Führung und Aufsicht

Die NPO unterstehen den gleichen Anforderungen wie die Unternehmen in Bezug auf Führung und Aufsicht. Martin Hilb6 präsentierte den Swiss- NPO-Code als Richtlinie für die Struktur, die Vorstandskultur, das Controlling und den Ausweis der Effizienz. In den NPO ist es besonders wichtig, dass die Nachfolge der wichtigsten Führungs- oder Gründerpersönlichkeit rechtzeitig und klar geregelt wird. Nadja Germann präsentierte das eindrückliche Beispiel der Stadt St. Gallen, die in der Verwaltung eine Strategiediskussion führte und ein Modell für die Schnittstelle zwischen Politik, Verwaltung und Kunden entwickelte,7 das nicht nur betriebswirtschaftliche Aspekte berücksichtigt, sondern die komplexen Zusammenhänge einbezieht, die bei den verschiedenen Akteuren mit ihren Ansprüchen, Präferenzen, Werten und vielfältigen Aufgaben eine Rolle spielen.

 Zwei Referate8 fassten den Bogen der Gemeinsamkeiten von Unternehmen und NPO noch etwas weiter. Das erste untersuchte das Problem der häuslichen Gewalt und deren betriebswirtschaftliche Auswirkungen. Obwohl die persönlichen Beziehungen in der Familie nicht in die Verantwortung des Unternehmens fallen, sind die Folgen von häuslicher Gewalt und die dadurch entstandenen Verletzungen bei den Betroffenen im Betrieb spürbar und beeinträchtigen die Leistungsfähigkeit oder führen zu Arbeitsausfällen. Im Betrieb selbst können vergleichbare Formen von Belästigungen bis zur Gewalt gegen Mitarbeiter entstehen, was nicht nur das Arbeitsklima und die Leistungsfähigkeit stört, sondern darüber hinaus hohe Kosten verursacht, wenn der Betrieb, die Organisation und die Führung für die Entstehung der Belästigung oder des Missbrauchs verantwortlich gemacht wird. Daher ist Prävention Sache der Leitung. Sie muss betriebliche Massnahmen, die Belästigungen verhindern, vorsehen und die Massnahmen im Betrieb offen kommunizieren. Bildungsinstitutionen – besonders kirchliche – müssen sich Rechenschaft geben, ob ihre Strukturen und die Rollenverteilung im Bildungsprozess physische oder psychische Übergriffe möglich machen oder diese sogar fördern. Eine klare Führungsstruktur, offene Kommunikation, klare Trennung von beruflichen und privaten Kontakten und eine hohe Kompetenz in der Erziehungsaufgabe sind die besten Voraussetzungen, um Übergriffe zu vermeiden. Für die Kinder und Jugendlichen sind Resilienz, eine vertrauensbildende Atmosphäre und persönlichkeitsstärkende Beziehungen wichtig.

5. Leichter mit Gewinnzielen

Die Vorlesungsreihe vermittelte den Eindruck, dass sich Unternehmen dank einem kürzeren Zeithorizont, klaren Strukturen und dem eng definierten Geschäftsziel (Gewinn) leichter organisieren lassen als traditionsverbundene Stiftungen und kirchliche Organisationen, die in der Spannung zwischen dem Auftrag und dem Anspruch Christi und der Notwendigkeit einer pragmatischen Organisationsstruktur und Verwaltung stehen.9 Diese Schwierigkeit kam zum Ausdruck bei der Erarbeitung einer neuen Kirchenverfassung der reformierten Kirche im Kanton Luzern.10 Ähnlich spannend ist die Entwicklung der Caritas, die aus der Forderung des Evangeliums, den Armen und Notleidenden zu helfen, entstanden ist. Die Caritas hat sich inzwischen zur grossen, gemeinnützigen NPO entwickelte, die pragmatisch und zum Teil neutral auftritt, um den veränderten Aufgaben und Verpflichtungen zu entsprechen. Sie steht heute unter dem Konkurrenzdruck von zahlreichen anderen wohltätigen Organisationen und muss sich den erhöhten organisatorischen Anforderungen anpassen, die mit der Zusammenarbeit und der Übernahme von öffentlichen Aufträgen, die bezahlt werden, verbunden sind. Die Werbung bei möglichst vielen Gönnern verlangt Transparenz und Effizienz sowie werbetechnische Massnahmen.11

Was ist zu tun, wenn eine NPO oder kirchliche Organisation einzuschlafen droht? Wenn negative Faktoren die Entwicklung und Erneuerung hemmen und der Zweck der Organisation kaum mehr erfüllt wird? Die kirchlichen Stiftungen und NPO gelten im Vergleich zu modernen Unternehmen als stabil und langlebig. Trotzdem können frühere Erfolgsfaktoren allmählich zu Hindernissen für die Zukunft werden. Die Mitarbeit von Ehrenamtlichen kann zum Beispiel den Mangel an Rentabilität lange Zeit verschleiern. Auch die «gute Idee», die am Anfang stand, und die bewährte Tradition können als Hindernis für eine Erneuerung wirken, bis eine Krise radikale Entscheidungen fordert. Wenn Wirtschaftsunternehmen mit existenzbedrohenden Problemen konfrontiert sind, steht das Modell eines «Turnaround» zur Verfügung. Claudia Bandixen zeigte am Beispiel der «mission 21» auf, wie eine kirchliche Organisation einen solchen Turnaround durchführte, um den ursprünglichen Elan der Organisation zurückzugewinnen. Der Ruf des Evangeliums nach Umkehr und Erneuerung sollte die Bereitschaft zum Turnaround fördern.12

6. Die komplexe Situation eines Bistums

Demgegenüber ist die Situation im kirchlichen Bereich oft komplexer. Die Möglichkeiten zu Veränderungen sind beschränkter und die Rede vom Erfolg ist zurückhaltender, da das messbare Resultat oft nur die Aussenseite des Engagements erfasst. Wie vielfältig und auch schwierig die Voraussetzungen und Situationen in der Kirche sind, zeigte das Referat von Felix Gmür, Bischof des Bistums Basel, auf.13 Die Lage der Kirche im Bistum Basel ist komplex und je nach Kanton, teilweise sogar je nach Dekanat, verschieden. Die Diözese stützt sich grundsätzlich auf eine doppelte Struktur, die kirchenrechtliche und die staatskirchenrechtliche Organisation, die von ihrer Natur her nicht deckungsgleich sind. Sie dienen aber dem gleichen Zweck. In einigen Bereichen bestehen Überschneidungen von Aufgaben und Kompetenzen. Beim Personalmanagement geht es um die Bereitstellung von Der Abt ist nicht einfach «der Chef». Er vertritt in der Gemeinschaft im gemeinsamen Glauben die Stelle des Herrn. Er ist daher Hirt, Lehrer und Arzt. Sein «Erfolg» besteht darin, die Mitbrüder zu ihrem Heil zu fördern. Benedikt schaffte einen «geordneten Lebensraum, das Claustrum» für Menschen, die Gott suchen und in der Gemeinschaft zusammen leben. Organisiert wird dieser Lebensraum durch die Anweisungen der Regel. Sie ist sinnvoll und entfaltet ihre ordnende Kraft, wenn ihr zugestimmt und sie angewendet wird, während ein Gesetz unabhängig von seiner Befolgung «in sich» gilt.

Die Autonomie des Klosters ist ein bleibendes Desiderium und eine Konstante in der monastischen Entwicklung. Sie muss abgestützt sein durch die Mitverantwortung der Gemeinschaft der Brüder, während der Abt eine eigene persönliche Führungsverantwortung für das Ganze trägt. Er muss für das rechte Zustandekommen der Entscheidungen durch Informationen, Beratungen und den formellen Beschluss sorgen. Trotz der notwendigen Aufgabenteilung im Kloster, und auch wenn Fachleute von draussen beigezogen werden, bleibt der Abt verantwortlich und haftbar. In der Diskussion wurde auf die Unterschiede und die Parallelen zwischen der Kloster- und der Unternehmensführung hingewiesen. Bei beiden stehen die Menschen im Mittelpunkt. Im Unternehmen geht es aber um eine zeitlich und sachlich eingeschränkte Teilnahme der Mitarbeiter, während das Klosterleben eine ganzheitliche und dauernde Lebensform ist. Die Motivation dazu liegt im Glauben. Gebet und die Arbeit gehören zum Klosterleben. Für beides braucht es Strukturen und die persönliche Motivation. Die konkreten Arbeitsbereiche der verschiedenen Benediktinerklöster haben sich aus der jeweiligen Situation und den Anforderungen der Zeit ergeben. Die hauptsächlichen Aufgaben in Schule, Mission und Seelsorge entsprechen dem Evangelium und dem Auftrag der Kirche. Andere Orden oder missionarische Gemeinschaften sind in ihrer Tätigkeit, Spiritualität und in ihrer zeitgemässen Entwicklung stärker auf ein bestimmtes Ziel ausgerichtet.15

8. Die Wichtigkeit der Finanzen

Bei der Führung von Unternehmen messen sich Erfolg, aber auch Krisen an den finanziellen Ergebnissen des Betriebs. Die Strukturen und die Mechanismen der Entscheidungsfindung bei grossen Genossenschaften sind manchmal mit der Vielfalt und dem Eigenrecht von kirchlichen Organisationen vergleichbar, die materiellen Ziele, die angestrebt werden, sind jedoch einfacher zu definieren.16 Die Verfügbarkeit von Finanzen und der Umgang mit finanziellen Mitteln sind auch für die Kirche und kirchliche Organisationen von grosser Bedeutung. Urban Fink ging der Frage nach: Wie ist die katholische Kirche finanziell aufgestellt?17 Für die Kirche Schweiz ist es eine Selbstverständlichkeit, dass die Kirche Geld braucht und über bedeutende finanzielle Mittel verfügt. Diese wird allerdings von zwei Seiten in Frage gestellt. Einerseits wird die Armut im Evangelium Jesu Christi hoch geschätzt, was Papst Franziskus nachdrücklich in Erinnerung ruft. Anderseits wird diese finanzielle Basis durch die Abnahme der Mitgliederzahl und den Rückgang oder den Versuch der (Teil-)Abschaffung der Kirchensteuer geschwächt. Neben politischen Initiativen zu Gunsten der Abschaffung der Kirchensteuer juristischer Personen gibt es kirchliche Kreise, die sich vom staatskirchenrechtlichen System behindert fühlen. Die Daten zur Kirchenfinanzierung weisen die Schweiz einmal mehr als «Sonderfall» aus. Trotz der Kleinheit der Schweiz sind die Verhältnisse kompliziert, da die Kirchensteuer und die öffentlichen Beiträge an die Kirchen in jedem Kanton unterschiedlich geregelt sind. Das Steueraufkommen der natürlichen Personen liegt zwischen 12 und 439 Franken. Einige Kantone ziehen überhaupt keine Kirchensteuer ein. Es bestehen unterschiedliche Strukturen der Finanzverwaltung, Kompetenzen und Kontrollen. Die Daten zeigen eindrücklich, wie schwierig es für die Kirche ist, die nötigen Finanzen aufzubringen und sie durch den Finanzausgleich gerecht und sinnvoll zu verteilen. Bei weiter rückläufigen Einnahmen könnte das ganze Finanzierungssystem in eine Krise geraten, in der vermutlich der Ausgleich unter den Bistümern und die Unterstützung der Bedürfnisse der Gesamtkirche zuerst leiden würden. Je knapper die Geldmittel der Kirche Schweiz werden, so das Fazit aus dem Blick in die Zukunft, desto mehr muss die Kirche Solidarität pflegen. Die personellen und finanziellen Engpässe werden die Kirche zu einschneidenden Veränderungen zwingen. Manche Dienstleistungen können nicht mehr finanziert werden. Wichtige Aufgaben müssen vermehrt von Freiwilligen erbracht werden. Das duale System der Finanzierung der Kirche hat viele Vorteile und Möglichkeiten gebracht, um ein eindrückliches Netz der Seelsorge und Mission auszubauen und zu erhalten Aber die finanziellen Schwierigkeiten, so Urban Fink, sollten auch als Chance zum Umdenken und zur Erneuerung verstanden werden.

9. Befiehlt, wer zahlt?

Auf dem Hintergrund der knapper werdenden Mittel spitzt sich die Frage zu, wer über die Mittel verfügt und wie sie eingesetzt werden. Befiehlt, wer zahlt? Daniel Kosch ist dieser Frage nachgegangen.18 Wenn die Frage umformuliert wird: Befiehlt, wer nicht zahlt?, zeichnet sich die Spannung im dualen System ab, da die katholisch und apostolisch verfasste Kirche die Gestaltungs- und Führungsautorität den Bischöfen zuschreibt, während die Finanzen von demokratisch gewählten Gremien verwaltet werden, die staatskirchenrechtlichen Vereinbarun- Personal für einen Einsatz mit einem bestimmten Ziel. Es bestehen mehrschichtige Verantwortungsstrukturen: Verantwortlich ist jeweils die (bischöfliche) Stelle, die mit der «Missio» den kirchlichen Auftrag erteilt hat, aber auch die Anstellung unter den Bedingungen des Arbeitsrechts (Versicherungen, Ferienregelung usw.) durch die staatskirchenrechtliche Instanz. Die Zuständigkeiten sind einzuhalten. Es gelten das Subsidiaritätsprinzip sowie das Prinzip der Nichteinmischung und des gegenseitigen Respekts. Im Zweifelsfall oder bei einem Konflikt braucht es das Gespräch. Da die jeweiligen Voraussetzungen und Aspekte der Partner in dieser Doppelstruktur nicht deckungsgleich sind, sind pragmatische Lösungen notwendig, die auf einem Konsens beruhen und in einer klaren Vereinbarung festgehalten werden müssen. Der Bischof trägt darüber hinaus und im Besonderen die Verantwortung für die Verbindung der Ortskirche mit der Kirche in der Schweiz und der Weltkirche. Die Einsatzplanung verläuft mehrschichtig und betrifft die Person, den Ort und die Situation des Einsatzes. Der Bischof schlägt vor, die Anstellung erfolgt durch die Kirchgemeinde am Ort. Der Einsatzplan des Personals nimmt Rücksicht auf die Bedürfnisse der Gläubigen. Das Bistum braucht aber auch erfahrene Kräfte für Leitungsfunktionen oder Spezialaufgaben. Die pastorale und wissenschaftliche Weiterbildung des Personals ist notwendig, aber in der gegebenen Situation schwierig, da es an geeigneten Kräften mangelt. Förderungsmassnahmen sind auf allen Stufen wichtig, ebenso die langzeitige Vorbereitung für Leitungsfunktionen.

Die Personalplanung in der Diözese ist schwierig. Die Zugehörigkeit zur Kirche besteht lebenslänglich und beruht auf Freiwilligkeit. Eine Anstellung ist zeitlich befristet und könnte vom Auftraggeber bei Schwierigkeiten aufgelöst werden, aber es gibt einen Mangel an geeigneten Kräften für die verschiedenen Dienste und Ämter in der Kirche. Die Rekrutierung von geeigneten Personen ist nicht durch verlockende Angebote steuerbar. Das Ziel des Personalmanagements ist die Zufriedenheit des Personals, die Erfüllung seines Auftrags und die Identifizierung mit der Kirche am Ort, in der Diözese und in der Gesamtkirche. Zur Erreichung dieses Ziels braucht es eine solide theologische Ausbildung, kompetente und engagierte Seelsorgende, die im Glauben verwurzelt und teamfähig sind. Sie sollen ihren Glauben und ihre Begabungen einbringen, aber auch ihre Grenzen kennen und anerkennen. Die Organisation der Zusammenarbeit von freiwilligen und bezahlten Mitarbeitern stellt eine besondere Herausforderung dar. Bei Freiwilligen und bei vielen kirchlichen Berufen entfällt das Geld als Massstab, Anerkennung und Regulativ der Leistung. Die Kirche ist auf die Vielfalt von Mitarbeitenden angewiesen, um Ressourcen und Kompetenzen für ihren Dienst zu erschliessen.

7. Die Erfahrung der Orden

Die christliche Tradition kennt Führungsmodelle, die sehr alt und bestens erprobt sind. Die Regel Benedikts wird gern bei Management-Seminaren beigezogen, da sie die Lebensgemeinschaft der Mönche in ausgewogener und nachhaltiger Weise ordnet. Benno Malfèr, Abt von Muri-Gries, sprach aus langjähriger Erfahrung über «Führungsverantwortung und Mitwirkung in den Klöstern. Der Rat der Brüder».14 Die Klöster bilden eine eigene Körperschaft im Rahmen der katholischen Kirche mit einem Eigenrecht, das für die Lebensform, für Wahlen und die Verwaltung gilt. Die Klöster sind keine NPO. Sie müssen arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Sie bilden eine Lebensgemeinschaft (Familie), deren Ziel das christliche Leben und das Heil sind. Die oberste Autorität ist Jesus Christus und sein Evangelium, dann die Regel Benedikts, der Abt und das Kapitel, das heisst der Rat der Brüder. Ein Beschluss wird als Kollegialentscheidung legitimiert, die nicht nur durch die demokratische Mehrheit, sondern ebenso aufgrund des brüderlichen Aufeinanderhörens, Beratens und Entscheidens zu Stande kommt, ein Verfahren, in dem der Herr selbst und der Heilige Geist wirken. Die «Zustimmung» ist daher ein wichtiges Element der Entscheidung und Mitverantwortung gen und Gesetzen folgen. Es stehen sich hierarchische Verfassung und demokratische Legitimierung als zwei Pole gegenüber, die durchaus ein Spannungs- und Kraftfeld bilden, wenn die Grundsätze der Zusammenarbeit, wie von Bischof Felix dargelegt, eingehalten werden: Subsidiarität, gegenseitige Nichteinmischung und Respekt. Im Problem- oder Konfliktfall müssen im Gespräch pragmatische Lösungen gefunden und festgehalten werden, denn es geht ja beiden Partnern um die Menschen, die ihren Glauben leben wollen.

Die Diskussion im Anschluss an das Referat kreiste um die Gefährdung des dualen Systems. Die Infragestellung durch kirchliche Stellen wurde nur angemerkt und kaum thematisiert. Umso bedrohlicher erschienen in den Rückfragen und Beiträgen der Hörer die politischen Initiativen zur Abschaffung der Unternehmenssteuer oder zur konsequenten Trennung von Kirche und Staat. Die teilweise oder vollständige Abschaffung der Kirchensteuer würde in den evangelischen und der katholischen Kirche einen Schock auslösen. Der Rücklauf der «freiwilligen Kirchensteuer» im Kanton Neuenburg beträgt nur ca. 10 Prozent des eigentlich «geschuldeten» Betrags. Die Anpassung an die neue Situation wäre schwierig und würde das Bild der Kirche tiefgreifend verändern. In den Parlamenten wird die Kirchensteuer im Hinblick auf die sozialen und kulturellen Leistungen der Kirchen eher befürwortet. Trotzdem erscheint manchen Politikern die konsequente Trennung von der Kirche attraktiv, da der Staat dadurch das Problem der Anerkennung von neu zugezogenen Religionsgemeinschaften vermeiden könnte. Daher muss die Möglichkeit/Gefahr der Trennung von Kirche und Staat auch in der Schweiz in Betracht gezogen und den Gläubigen offen kommuniziert werden.

10. Das Podiumsgespräch

Auch in der letzten Einheit der Reihe nahmen die Beiträge der Referenten viel Zeit in Anspruch. Das eigentliche Gespräch und die Beteiligung der Hörer blieben in Grenzen, was wohl auf die Vielfalt und die lange Dauer der Vorlesungsreihe zurückzuführen war. Das Podiumsgespräch führten Prof. A. Jungmeister, Prof. Adrian Loretan, Dr. Nadja Germann und Pfarrer Thomas Schaufelberger.

Gibt es also Unterschiede im Management zwischen NPO, kirchlichen Organisationen und Wirtschaftsunternehmen? In Bezug auf Auftrag und Zielsetzung sind die Unterschiede deutlich, in Bezug auf das Management und die Führungsfragen hingegen gibt es kaum wesentliche Unterschiede. Beide sind dem Legalitätsprinzip verpflichtet, müssen Gesetze befolgen und können in vielen Bereichen besonders von Normen und Werten voneinander lernen. In der Ausbildung von Führungskräften und in Unternehmensmodellen spielen die Ethik und die Sinnfrage eine immer grössere Rolle. Die Unternehmen brauchen eine Ethik, um die Mitarbeitenden zu motivieren und ihre Übereinstimmung mit gesellschaftlichen Normen und Erwartungen nach aussen zu dokumentieren. Führungskräfte aus der Wirtschaft sind an den Beiträgen zur Management- Ethik interessiert, die aus der kirchlichen oder monastischen Tradition stammen. Kirchliche Organisationen sollten Elemente von bewährten Managementmodellen übernehmen. Sie werden oft von Freiwilligen und Nichtfachleuten geführt, bei denen die Bereitschaft und die Möglichkeit zur Weiterbildung beschränkt sind, ja es treten in diesen Kreisen nicht selten Widerstände gegen Managementmassnahmen und -modelle auf, manchmal verstärkt durch Vorbehalte gegen die «Verweltlichung» der Kirche und durch Ängste vor Identitätsverlust. Auch Politiker, die sich hauptsächlich dem Netz ihrer Wähler verpflichtet fühlen, tun sich schwer, Veränderungen nach einem rationalen Managementmodell zu verfolgen, während die Verwaltung eher dazu bereit ist, sofern Praktikabilität und Rechtssicherheit gewährleistet sind. Die Mehrzahl der kirchlichen NPO dürften mehr Mut zu Erneuerungen und eine grössere Fehlerfreundlichkeit entwickeln, um durch «Trial and Error» zu lernen. Der Trend zu «Excellency » und Perfektion kann Unternehmen und NPO überfordern und lähmen.

Die evangelischen Kirchen verfügen über breite Erfahrungen mit der «Demokratie von unten». Die Beschlüsse der Kirchenleitung können von der Basis jederzeit umgestossen werden. Die Gläubigen als Freiwillige lassen sich nicht gern dirigieren. Daher ist die Führung von evangelisch-reformierten Gemeinden manchmal schwierig. Oft muss ein Ausweg gesucht werden. Wichtige Entscheidungen werden aufgeschoben, oder es wird ein Kompromiss geschlossen, der nicht weh tut. Das Zweite Vatikanische Konzil betont für die katholische Kirche die Bedeutung der Mitsprache und Mitverantwortung der Laien, ohne dafür ein konkretes Modell zu nennen. Das duale System mit der staatskirchenrechtlichen Struktur der Finanzierung der Kirchgemeinden kann als Schritt in der Richtung von Mitverantwortung verstanden und begrüsst werden. Die kleiner werdende Finanzdecke und der Personalmangel erzwingen eine Revision des flächendeckenden Territorialprinzips der Seelsorge. Die Notwendigkeit, zu sparen, erfordert neue, innovative Formen der Kooperation und Solidarität.

Am Ende der Vorlesungsreihe wurde von einem Zuhörer als Fazit und sozusagen pastoraler Schlussseufzer angemerkt, dass der Dienst und die Führungsaufgaben in der Seelsorge eben subtiler und komplizierter sind als in einem Wirtschaftsunternehmen, das genaue Erfolgsziele setzen und präzise Vorgaben machen kann.

 

 

1 Ursprünglich war die Publikation sämtlicher Vorträge der Vorlesungsreihe an der Universität Luzern vom Frühjahrssemester 2013 in Buchform vorgesehen. Da dieses Vorhaben nun nicht umgesetzt wird, versucht der Autor mit dem vorliegenden Artikel, einen allgemeinen Überblick über die Vorträge der Reihe zu geben und die Schwerpunkte herauszuheben, die für kirchliche und Non-Profit- Organisationen (NPO) von besonderer Bedeutung sind.

2 Prof. Dr. Franco Taisch: Kernaufgaben der Führung. Oberleitung von Organisationen.

3 Prof. Dr. Alexander Jungmeister: Wertschöpfung und Wachstum organisieren. Betriebswirtschaftliche Modelle; Prof. Dr. Ulrich Zwygart: Leadership und Führungsverhalten.

4 Dr. Peter Märki: Mensch – Kultur – Performance: Strategische Nutzung relevanter Unternehmenskultur. Aspekte zur Stimulation organisatorischer Leistungsfähigkeit – e in Ansatz.

5 Lic. phil. Beat Baumgartner: Und die Moral von der Geschicht – Verletz den «Code of Conduct» nicht! – Können Unternehmen ihren Mitarbeitenden Moral vermitteln?

6 Prof. Dr. Martin Hilb: Wirksame Führung und Aufsicht von NPO; Dr. Frank Halter: Vom Gründer über den Nachfolger bis zur Mitunternehmerin: Unternehmertum als Motor von KMU .

7 Dr. Nadja Germann: Auftrag, Identitätsbildung und Wertekommunikation in der Stadt St. G allen; Dr. Hilmar Gernet: Rolle und Bedeutung von Öffentlichkeit, Mitgliedern und Kunden der Raiffeisenbank; Florian Flohr, Kommunikationsbheauftragter der Katholischen Kirche Luzern: Mitarbeitende Mitglieder, Kunden, Freiwillige: Rollen und Rollenverständnisse in der Kirche.

8 Cornelia Kranich, Rechtsanwältin: Häusliche Gewalt – ein Problem der Organisation? Betriebswirtschaftliche Auswirkungen und unternehmerischer Handlungsbedarf und -möglichkeiten; Prof. Monika Jakobs: Kinder stärken – Kommunikation pflegen: Prävention körperlicher und psychischer Übergriffe in Bildungsinstitutionen.

9 Pfr. David Weiss: Kirchenverfassung: Missionarischer Auftrag oder p ragmatischer Rahmen?

10 Pfr. Beat Hänni: Gemeindemodelle entwickeln.

11 Dr. Odilo Noti, Caritas: «Seid klug wie die Schlangen und einfältig wie die Tauben». Organisationsidentität und sich verändernde Kontexte.

12 Pfrn. Claudia Bandixen, mission 21: Moralische Double Binds in der Arbeit, mit Finanzen und Turnarounds.

13 DDr. Felix Gmür, Bischof von Basel: Personalmanagement und inhaltliche Schwerpunktsetzung in mehrschichtigen Verantwortungsstrukturen des Bistums Basel.

14 Dr. Benno Malfèr, Abt von Muri-Gries und Abtpräses der Schweizer Benediktinerkongregation: Der Rat der Brüder: Führungsverantwortung und Mitwirkung in den Klöstern. Die Entwicklung von der Regel Benedikts zur geltenden kanonischen und zivilen Rechtsordnung.

15 Teres Steiger-Graf, Geschäftsleiterin der Bethlehem Mission Immensee: Von Regeln zu einer missionarischen Spiritualität, konkretisiert am Leitbild.

16 Ing. Werner Beyer, Fenaco: Finanzierung und Finanzkontrolle von grossen Genossenschaftsverbänden.

17 Dr. Urban Fink-Wagner, Redaktionsleiter SKZ : Die Wichtigkeit der Finanzen in der Kirche.

18 Dr. Daniel Kosch, Generalsekretär der RKZ : Befiehlt, wer zahlt? Zum Verhältnis von Kirchenfinanzierung und Gestaltung des kirchlichen Lebens. Dieser Vortrag wurde überarbeitet veröffentlicht in: SKZ 181 (2013), Nr. 35, 522–524.533–534.

P. Dr. Berchtold Müller OSB

Berchtold Müller

P. Dr. Berchtold Müller OSB, alt Abt des Benediktiner­klosters Engelberg, ist Mitglied der Redaktionskommission der «Schweizerischen Kirchenzeitung».