Der Tag des Judentums (Dies Iudaicus) in der Schweiz

Der Tag des Judentums wird in der römischkatholischen Kirche der Schweiz seit 2011 jährlich am zweiten Fastensonntag begangen. Auf diese Weise soll die tiefe Verbundenheit von Judentum und Christentum zum Ausdruck gebracht werden. Am «Dies Iudaicus» wollen wir uns ins Bewusstsein rufen, was das Judentum in Vergangenheit und Gegenwart für uns und für unseren christlichen Glauben bedeutet. Wir sind darin verwurzelt (vgl. Römer 9–11). Die Juden sind unsere älteren Geschwister im Glauben. Gott hat das Volk Israel in Liebe erwählt und mit ihm seinen Bund geschlossen, und dieser bleibt für immer bestehen. So steht das Judentum in einem besonderen Verhältnis zu uns Christen und Christinnen. Wir teilen mit ihm den Glauben an Gott, der sich zuerst dem Volk Israel offenbart hat. Jesus und seine Mutter Maria, die Apostel und die ersten gläubigen Christen waren jüdisch. Früh kamen dann auch Heiden, das heisst also Nicht-Juden, zum Glauben an Christus und bildeten zusammen mit jenen Juden, die an Jesus als Sohn Gottes glaubten, die eine gemeinsame Kirche aus Juden und Heiden.

Das Zweite Vatikanische Konzil hat dies in der Epoche machenden Erklärung «Nostra Aetate» (1965) festgehalten. Es war eine geistliche Revolution, als das Zweite Vatikanische Konzil 1965 die israelitischjüdischen Wurzeln unseres christlichen Glaubens in Erinnerung rief und zeigte, wie verehrungswürdig sie für uns sind. Seitdem haben zahlreiche Dokumente von katholischer, evangelischer und jüdischer Seite die geistliche Verbundenheit der Kinder Abrahams betont und das geschwisterliche Gespräch gefordert.1 Die Kirche will die gegenseitige Kenntnis und Achtung der Religionen fördern. Es hat in der Geschichte zu viel Ablehnung, Verachtung und Hass gegenüber den Juden gegeben. Das widerspricht dem christlichen Glauben und muss im Kampf gegen alle Manifestationen von Antijudaismus und Antisemitismus endgültig überwunden werden.

Auch für den Tag des Judentums im Jahr 2014 werden von der Schweizer Bischofskonferenz die von der Jüdisch/Römisch-katholischen Gesprächskommission erarbeiteten Grundlagentexte und liturgischen Hilfen den Pfarreien und allen Interessierten zur Verfügung gestellt. Da die positive Beziehung der Christen und Christinnen zum Judentum konstitutiv zum Glauben gehört, wurde bei einer bewussten Gestaltung der Liturgie angesetzt. Die vertiefte Feier des Glaubens in der Eucharistie und den Wortgottesdiensten soll auch in Zukunft den Kern des «Dies Iudaicus» bilden, der kein Themensonntag ist, sondern das Bewusstsein der geschwisterlichen Verbundenheit von Judentum und Christentum vertiefen soll. Im Jubiläumsjahr von Nostra Aetate 2015 wird die Jüdisch/Römisch-katholische Gesprächskommission eine Broschüre für den Tag des Judentums veröffentlichen, die weitere Materialien zur Gestaltung bietet. Zugleich werden die Pfarreien aufgefordert, neben der Liturgie an diesem Tag auch andere Gefässe zu nutzen, um das Verhältnis zum Judentum zu thematisieren. Vorträge, Konzerte, Gesprächsrunden helfen, den Glauben zu vertiefen. Die vergangenen Jahre haben gezeigt, wie kreativ hier einzelne Personen und Gruppen waren. Es ist wünschenswert, dass sich auch ökumenische Initiativen ergeben. Andererseits – und dies ist noch wichtiger – soll sich der Tag des Judentums auch zu einem Tag des gelebten Dialogs mit dem Judentum entfalten. Die unterschiedlichen Initiativen von Einzelnen, von Gemeinden oder anderen Institutionen, die sich der Beziehung von Kirche und Judentum verpflichtet wissen, sind willkommen. Die Jüdisch/Römisch-katholische Gesprächskommission sieht sich dabei nicht als Veranstalterin, sondern hilft durch Information und Kommunikation, Initiativen zu realisieren und die Angebote zu vernetzen und öffentlich zu machen (vgl. Homepages von SBK, SIG, IJCF). Das Konzilsdokument «Nostra Aetate» und die seither erfolgte Erneuerung des Verhältnisses der Kirche zum Judentum bilden den inhaltlichen Hintergrund, dem sich die Kommission verpflichtet weiss.

Am 27. April 2014 werden in Rom Papst Johannes XXIII. und Papst Johannes Paul II. heilig-gesprochen. Nach einer langen, leidvollen Geschichte der jüdisch-christlichen Beziehungen und der Kata-strophe des Holocaust, der Shoah, haben sie aufgerufen zum Kampf gegen Antisemitismus und zum jüdisch-christlichen Gespräch, «dass echte Brüderlichkeit herrsche mit dem Volk des Bundes», wie es Johannes Paul II. in den Vergebungsbitten am Ersten Fastensonntag 2000 in St. Peter in Rom bekannte. Diesen Prozess der geschwisterlichen Verständigung und des respektvollen Kennenlernens fortzusetzen, dazu ruft auch Papst Franziskus auf: «Was ich Ihnen, mit dem Apostel Paulus, sagen kann, ist, dass Gott dem Bund mit Israel immer treu geblieben ist und dass die Juden trotz aller furchtbaren Geschehnisse dieser Jahrhunderte ihren Glauben an Gott bewahrt haben. Dafür werden wir ihnen als Kirche, aber auch als Menschheit, niemals genug danken können. Und in ihrem Glauben drängen sie alle, auch uns Christen, immer Wartende auf die Rückkehr des Herrn zu bleiben, wie Pilger, und dass wir uns nie im schon Erreichten einrichten dürfen.»

Im Namen der Jüdisch/Römisch-katholischen Gesprächskommission: Prof. Dr. Verena Lenzen, Co-Präsidentin JRGK (SBK)

1 Vgl. Rolf Rendtorff / Hans Hermann Henrix (Hrsg.): Die Kirchen und das Judentum. Dokumente von 1945 bis 1985. Paderborn / München 1988; Hans Hermann Henrix / Wolfgang Kraus (Hrsg.): Die Kirchen und das Judentum. Dokumente von 1985–2000. Paderborn 2000.

Verena Lenzen

Verena Lenzen

Prof. Dr. Verena Lenzen ist Lehrstuhlinhaberin für Judaistik und Theologie / Christlich-Jüdisches Gespräch an der Theologischen Fakultät der Universität Luzern sowie Leiterin des Instituts für Jüdisch-Christliche Forschung (IJCF) der Universität Luzern. Sie ist Ko-Präsidentin der Jüdisch/Römisch-katholischen Gesprächskommission JRGK.
(Bild: Heidi Hostettler)