«Lieber die spannende Negativschlagzeile»

Die Katholische Kirche und die Presse haben ein ambivalentes Verhältnis. Die SKZ hat den Journalisten Michael Meier und den Bistumssprecher Giuseppe Gracia nach möglichen Gründen gefragt.

Michael Meier (Jg. 1955, links) ist Journalist und Theologe. Er arbeitet als Fachjournalist für Religion, Kirche und Gesellschaft beim «Tages Anzeiger». Giuseppe Gracia (Jg. 1967) ist Journalist, Kommunikationsberater und Schriftsteller. Seit 2011 arbeitet er als Beauftragter für Medien und Kommunikation im Bistum Chur. (Bild: rs)

 

SKZ: Ist eine sachliche und faire Berichterstattung über die Katholische Kirche möglich?
Michael Meier (MM): Das glaube ich sehr wohl. Die Kirche ist aber eine Sonderwelt, die andere Standards, andere Normen als unsere Gesellschaft hat. Die klassischen Beispiele dafür sind die Frauenordination und der Zölibat. Auch in den Kulturkämpfen um Abtreibung, Homo-Ehe und Sterbehilfe setzt sich die Kirche vom gesellschaftlichen Mainstream ab. Diese Standards der Kirche und der Gesellschaft reiben sich permanent. Doch deswegen kann man nicht sagen, es gäbe keine faire Berichterstattung.

Giuseppe Gracia (GG): Michael Meier beschreibt es gut: In der Berichterstattung über die Kirche zeigt sich die Reibungsfläche zwischen Zeitgeist und kirchlicher Lehre. Das ist okay, man darf sich als Kirche mit dem Zeitgeist reiben. Das war schon bei Jesus so. Wäre er mit seiner Lehre beim damaligen Zeitgeist gut angekommen, hätte man ihn nicht umgebracht. Ich erwarte über die Kirche keine positive, sondern eine faire, ausgewogene Berichterstattung. Fair bedeutet: Beide Seiten kommen zu Wort.

Herr Gracia, über welchen Beitrag haben Sie sich zuletzt geärgert?
GG: Über einen Artikel zur Enzyklika Humanae Vitae auf der Webseite des SRF. Darin hiess es, dass die Katholische Kirche wegen ihrer Sexualmoral gesellschaftlich irrelevant geworden sei. Kein Wort über die Reformierte Kirche, die trotz angepasster Sexualmoral wohl tatsächlich keine öffentliche Relevanz mehr hat, seit sie sich im links-grünen Mainstream auflöst, den wir vom säkularen Establishment ohnehin um die Ohren gehauen bekommen. Da finde ich die Katholische Kirche viel öffentlichkeitsrelevanter, weil sie Reibung bietet, weil sie sich nicht anpasst bis in die völlige Überflüssigkeit hinein. Über das Bistum Chur kann man schimpfen, wie man will, aber es ist alles andere als irrelevant. Was am SRF-Artikel auch unseriös war: Er enthielt keine einzige Stimme für «Humanae Vitae», keinen Raum für die Befürworterinnen und Befürworter, die es doch auch gibt. Das wurde wohl aus ideologischen Gründen dem SRF-Publikum vorenthalten.

MM: Meines Erachtens liegt das grundsätzliche Problem der monotheistischen Religionen im Patriarchat, wie es sich z. B. in der Frage der Gleichberechtigung oder in der Sexualmoral zeigt. Vielleicht würde mit der Frauenordination oder der Mitsprache von Frauen in der Bischofssynode auch ein Bedeutungsverlust für die Katholische Kirche einhergehen, für mich ist die Gleichberechtigung aber ein zentrales Desiderat und deshalb auch ein Standard für meine journalistische Arbeit.

Über das Gute, das die Kirche tut, wird selten berichtet.
MM: Die Frage ist, wie man das Positive in den Medien abbilden kann. Ich könnte während der Coronakrise eine Seelsorgerin bei ihrer Arbeit begleiten, doch das wäre keine spannende Geschichte.

GG: Die DNA einer Mediengeschichte ist die Ausnahme, wenn etwas Besonderes passiert. Das Normale, Alltägliche ist wenig interessant. Lieber die spannende Negativschlagzeile. Die Kirche kann nicht erwarten, dass die Medien den positiven Regelfall darstellen. Zölibat und Frauenordination sind aber starke Ausnahme-Themen, daher beschäftigen sie die Medien immer wieder.

MM: Dass ständig die gleichen Themen aufs Tapet kommen, finde ich äusserst mühsam. Diese Unfähigkeit zur Veränderung verleidet auch mir als Journalist die Kirche.

GG: Es geht nur noch um Ämter und Macht und nicht mehr um den Inhalt des Glaubens. Für mich ist das ein institutioneller Narzissmus. Das Beste, was passieren könnte: Die Kirche schweigt 200 Jahre lang über Sexualität, ihre Strukturen und Ämter und das Bodenpersonal. Einzig die Kerngehalte des Glaubens wären noch Thema. Das ist natürlich Wunschdenken. Medien wollen über die Institution berichten, da es dort Skandale gibt. Dabei interessiert das eine kirchenferne Gesellschaft wenig. Die möchte eher wissen, ob die Auferstehung eigentlich wahr ist, ob der Gott, den die Kirche predigt, wirklich existiert. Diese Fragen gehen aber unter im Lärm des kirchlichen Institutionengeschwätzes.

Was erwarten Sie als Bistumssprecher von den Medienschaffenden?
GG: Ich erwarte nur, dass die Sicht des Bischofs fair und sachlich dargestellt wird – egal zu welchem Thema.

Wie hat sich die Beziehung Kirche–Presse in den letzten Jahren verändert?
MM: Die Arbeit der Kommunikationsverantwortlichen hat sich in den letzten Jahren professionalisiert. Ausgerechnet die Bischofskonferenz schert da aus. Früher gab sie nach jeder Vollversammlung eine Pressekonferenz. Heute organisiert Frau Encarnación Berger-Lobato – eine Marketingfrau – stattdessen einen Gottesdienst. So ist die Presse nicht mehr informiert. Wenn ich Giuseppe Gracia anrufe, kommt vielleicht die Combox, doch er ruft sofort zurück. Im Bistum Genf, Lausanne und Freiburg etwa erreiche ich die Verantwortliche nie direkt und es dauert alles sehr lange. Wenn aber ein Bistum ein Communiqué versendet, muss ich schnell reagieren können und bei Rückfragen sofort eine Auskunft erhalten. Da gibt es noch Verbesserungspotenzial. Ich erlebe heute auch, dass man z. B. mit dem «Grüss Gott Zürich»1 der Presse erklären möchte, wie gewisse Vorgänge oder Dokumente zu verstehen sind. Dies könnte auch über vermehrte Medienkonferenzen geschehen. Beispielsweise könnte «Justitia et Pax» eine Pressekonferenz zur Konzernverantwortungsinitiative durchführen, an der die Presse mit Sachwissen und nicht nur mit Gesinnungsethik bedient wird.

GG: Diese Gesinnungsethik ist meines Erachtens ein Problem. Diese hat das Denken ersetzt. Als Leser muss ich nicht mehr darüber nachdenken, ob der Text gute Argumente enthält. Es geht nur noch um die Frage, ob ich mich als guter Mensch fühle, wenn ich dieses oder jenes unterstütze.

MM: Wenn die Bischofskonferenz das Rettungsschiff Sea-Watch 4 mit CHF 10'000 unterstützt, ist das in meinen Augen reine Gesinnungsethik. Als Journalist möchte ich wissen, wo die geretteten Flüchtlinge aufgenommen werden, ob die Kirchen glauben, sie könnten die Gesetze sprengen (Kirchenasyl) und so weiter.

Herr Meier, was wünschen Sie sich von der Informationspolitik der katholischen Kirche?
MM: Eindeutig mehr Transparenz, mehr Offenheit, mehr Offensive und mehr Glaubwürdigkeit. Konkret beim Missbrauchsfall im Bistum Lausanne, Genf und Freiburg: Das Bistum sagt, es würde handeln und doch scheint es Dinge zu vertuschen. Auch die Bischofswahl in Chur müsste dringend transparenter werden.

GG: Als Bistumssprecher kann ich nur über den Ablauf einer Bischofswahl informieren, die Sache selbst kann ich nicht ändern.

Und was wünschen Sie sich von der Presse, Herr Gracia?
GG: Mehr weltanschaulichen Pluralismus in der Beurteilung der Kirche. Die Kirche wird oft aus der Sicht des Zeitgeistes kritisiert. Aber es wird nie Zeitgeistkritik aus der Sicht der Kirche betrieben. Ich glaube jedoch, dass dies für die Leserschaft wertvoll wäre. Es gibt Fehlentwicklungen in der Gegenwart, z. B. die Totalverwertung des Menschen. Der Mensch wird von der Geburt bis zum Sterbebett verwertet. Diesem Optimierungskult, der schon längst in unserem Denken Einzug gehalten hat, müsste man eine gute Kontrastfolie vorlegen; das wäre für mich das christliche Menschenbild. Medienschaffende könnten viel kritischere Texte über die Zeit, in der sie leben, schreiben, wenn sie dies berücksichtigen würden. Und natürlich würde ich mir durch die Digitalisierung mehr Konkurrenz wünschen. Konkurrenz ist immer gut.

Interview: Rosmarie Schärer

 

1 Newsletter der Katholischen Kirche im Kanton Zürich.

 

 

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