Laien zwischen Entmutigung und Ermunterung

Eine Tagung des Instituts für Religionsrecht in Freiburg i. Ue.

Dass sich Laien in der Kirche engagieren wird immer wichtiger. Je weniger Priester in den Pfarreien zur Verfügung stehen, desto mehr Aufgaben müssen die Laien erfüllen. Faktisch stossen sie dabei immer mehr in Tätigkeitsbereiche vor, die einst von Klerikern ausgeübt wurden. Es ist kein Zufall, dass Papst Benedikt XVI. die Laien kürzlich als «mitverantwortlich für Sein und Handeln der Kirche » bezeichnete. Am 21. September 2012 ging eine gut besuchte Tagung des Instituts für Religionsrecht der Universität Freiburg i. Ue. der Frage nach, welche gesellschaftliche und innerkirchliche Parameter für das Laienengagement bestehen und welche kirchenrechtliche und staatskirchenrechtliche Möglichkeiten und Grenzen existieren. Einen Schwerpunkt der Thematik bildete der Laie gemäss c. 517 § 2 CIC, der sich aufgrund von Priestermangel an der Ausübung der Hirtensorge in der Pfarrei massgeblich beteiligen kann. Dieser Aspekt wurde unter dem Blickwinkel der Schweiz wie auch Deutschlands und Frankreichs beleuchtet.

Individualismus und weniger Bindung

In ihrem religionssoziologischen Grundlagenreferat verdeutlichte Judith Könemann (Professorin für Didaktik religiöser Bildungsprozesse, Münster), dass in Zukunft mit einer Abnahme des Engagements der Kirchenmitglieder gerechnet werden muss. Der gesamtgesellschaftliche Trend zur Individualisierung führt dazu, dass die Menschen ihre Religiosität vermehrt ausserhalb der Kirchen leben. Traditionelle Kirchlichkeit wird zunehmend durch frei wählbare alternative Formen von Religiosität und Spiritualität ersetzt. Man spricht heute nicht mehr von einer Säkularisierung, sondern vermehrt von einem «believing without belonging». Das führt nicht nur zu einer Abnahme der Mitgliederzahl der römisch-katholischen Kirche. Sondern jene Mitglieder, die der Kirche erhalten bleiben, sind oft auch nicht bereit, sich in einem Masse und in einer Exklusivität zu engagieren, wie eine moderne Gemeindetheologie das erwarten und eine lebendige Pastoral das verlangen würden.Die katholische Kirche hat hier noch das zusätzliche Handicap, dass Laien nur eine mithelfende, unterstützende Rolle zugedacht ist, während Menschen heute als Voraussetzung für ihr Engagement erwarten, dass ihnen Räume selbstständiger Verantwortung eröffnet werden.

Zur Aufgabenteilung zwischen Klerikern und Laien

Tatsächlich sind, wie René Pahud de Mortanges (Professor für Rechtsgeschichte und Kirchenrecht, Freiburg i. Ue.) ausführte, gemäss dem kanonischen Universalrecht zentrale Funktionen der Glaubensvermittlung und der Kirchenleitung Klerikern vorbehalten. Volle Leitungsgewalt kommt nur Klerikern zu. Laien können lediglich an ihr mitwirken (c. 129 CIC). Auch die Ausübung einzelner sakramentaler Handlungen ist nur den geweihten Amtsträgern erlaubt. Abgesehen davon gibt es aber vielfältige Möglichkeiten für Laien, sich zu engagieren. Auf der Ebene der Pfarrei finden sich eine ganze Reihe von Ämtern und Diensten für Laien im liturgischen Bereich, in der Katechese und in der Diakonie, in der Mitwirkung bei der Leitung der Pfarrei und in Beratungsorganen. Auch der Grossteil der Mitarbeiter in den diözesanen Verwaltungen sind Laien. Nur wenige, aber einflussreiche Positionen sind ausschliesslich Klerikern vorbehalten. Nicht abgeleitet, sondern originär sind die Möglichkeiten der Mitwirkung und Mitverantwortung von Laien in den staatskirchenrechtlichen Körperschaften. Hier sind, wie Daniel Kosch (Generalsekretär der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz, Zürich) betonte, kirchliche Laien nicht Untergebene, sondern freie Menschen mit Rechten und Pflichten, ja eigentliche Kirchbürger. Ihre Kernkompetenz in den staatskirchenrechtlichen Gremien ist es, über die Finanzen der Kirche zu bestimmen, womit allerdings faktisch vieles im Bereich der Pastoral zusammenhängt, etwa die Frage, wie umfassend sich die Kirche sozial engagieren und wen man dafür finanziell entschädigen will. Das «duale» System, so sagte der Referent zu Recht, ist in Wirklichkeit ein monistisches: Der Kirchbürger ist identisch mit dem Getauften. Er nimmt schlicht die ihm vom staatlichen Recht her eröffneten Möglichkeiten als Getaufter wahr. Umso wichtiger ist es, dass die Mitglieder staatskirchenrechtlicher Gremien sich nicht als «kirchliche Finanzfunktionäre» verstehen, sondern aus verantworteter Glaubensüberzeugung mitreden, wenn es um die richtigen Entscheide für die Gestaltung des kirchlichen Lebens geht.

«Anteil an der Ausübung der Hirtensorge»

Ein heute zunehmend wichtiger Bereich des Laienengagements, welcher Claudius Luterbacher-Mai neri (Fachmitarbeiter Recht/Kirchenrecht des Bistums St. Gallen) erörterte, ist die Pfarreileitung durch Laientheologen, so wie sie sich namentlich in der Deutschschweiz, also in den Diözesen Chur, Basel und St. Gallen, entwickelt hat. Nach c. 517 § 2 CIC können die Laien «Anteil an der Ausübung der Hirtensorge» haben. Wie gross dieser Anteil ist, lässt der CIC offen. Konkret hängt es von den Aufgaben und Kompetenzen ab, die den Laien vor Ort übertragen werden. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass auch leitende Elemente berücksichtigt werden. Deutlich wird dies im gegenwärtigen Prozess der Bildung von Seelsorgeräumen, welche mehrere Pfarreien umfassen. Jede der drei Diözesen hat hier je ein etwas anderes Leitungskonzept umgesetzt. Wie der Referent ausführte, stellen sich bei diesen Pastoralräumen verschiedene neue Fragen: Wie wird z. B. in solchen grösseren Gebilden eine Seelsorge der Nähe sichergestellt? Oder wie gelingt es, auch «ehrenamtliche» Laien in die Leitung miteinzubeziehen? Letzteres ist, wie Astrid Kaptijn (Professorin für kanonisches Recht, Freiburg i. Ue.) erklärte, bereits eine Realität in Frankreich, wo in manchen Diözesen die Leitung von Pfarreien und grösseren Pastoraleinheiten gemeinsam dem Pfarrer und einer ehrenamtlich arbeitenden «Equipe d’animation pastorale» anvertraut wird. Mangels Kirchensteuern und staatlicher Zahlungen verfügt die katholische Kirche in Frankreich nur über sehr beschränkte finanzielle Mittel, um die vor Ort engagierten Laien zu bezahlen, so dass sie in grossem Umfang auf Freiwilligenarbeit angewiesen ist. Gleich wie in der Westschweiz sind die Bischöfe in Frankreich aber zurückhaltend, die Leitung der Gemeinde ausschliesslich Laien zu übertragen. Dasselbe gilt für Deutschland, wie der Bericht von Hans-Jürgen Guth (Professor für Kirchenrecht, Tübingen) verdeutlichte: Bei ca. 11 000 Pfarreien werden nur rund zwei Dutzend von Laien geleitet. Offensichtlich gibt es hier unterschiedliche kirchliche Mentalitäten und Kulturen in den verschiedenen Bistümern.

Und die Zukunft?

Wie in Zukunft das Laienengagement erhalten und stärken? Um diese Frage ging es im abschliessenden, von Philippe Gardaz (alt Präsident des Verfassungshofes des Kantons Waadt) geleiteten Podium, welches mit Urban Fink-Wagner (Redaktionsleiter der «Schweizerischen Kirchenzeitung»), Libero Gerosa (Professor für Kirchenrecht, Lugano) und Leo Karrer (em. Professor für Pastoraltheologie, Freiburg i. Ue.) prominent besetzt war. In verschiedenen Voten wurde darauf hingewiesen, dass es allen soziologischen Trends und innerkirchlichen Prozessen zum Trotz auch Mut machende Ereignisse und Entwicklungen gibt. Immer noch sind viele Menschen bereit, sich in den unterschiedlichsten Bereichen aktiv für ihre Kirche einzusetzen. Die zahlreichen Mitglieder von kirchlichen und staatskirchenrechtlichen Gremien unter den Tagungsteilnehmern waren ein eindrückliches Beispiel dafür. Zu erwähnen ist ferner die materielle Unterstützung, welche die Kirche auch von ihren nicht-aktiven Mitgliedern erhält: Denn diese zahlen nach wie vor die Kirchensteuer, weil sie das soziale und kulturelle Engagement der Kirche – trotz distanziertem Verhältnis zu ihr – schätzen. Bemerkenswert ist schliesslich die von der kantonalen Politik bekundete Solidarität: Das Zürcher Parlament hat kürzlich den Staatsbeitrag an die Kirchen für die nächsten Jahre genehmigt. In Bern wurde eine Initiative zur Trennung von Kirche und Staat vom Parlament abgelehnt. Das zeigt, dass das Wirken der Kirchen in der Gesamtgesellschaft auch heute noch geschätzt wird. Die Kirchenleitung sollte sich bewusst sein, dass dies ein Kapital ist, mit dem sie sorgfältig umgehen muss. Vor allem sollte sie realisieren, dass Laien – wie es ein Tagungsteilnehmer so eindrücklich sagte – nicht nur Lückenbüsser sein möchten, wenn der Klerus die Pastoral vor Ort nicht mehr gewährleisten kann, sondern die Zukunft der Kirche aktiv mitgestalten wollen. Die Tagungsreferate werden 2013 in einem Band der Reihe «Freiburger Veröffentlichungen zum Religionsrecht» publiziert.

 

Raimund Süess

Raimund Süess

ML aw Raimund Süess ist Assistent am Institut für Religionsrecht der Universität Freiburg i. Ü.