Gemeinschaft von Frauen und Männern

 

An der Tagung des ÖRK-Zentralausschusses auf Kreta (27. August bis 5. September 2012) stimmten die Delegierten der Bildung einer «ÖRK Gender Advisory Group» (Gender-Beratungsgruppe) zu. Sie ist Teil eines beginnenden Prozesses für eine «ÖRK-Gender Policy», die auf Empfehlung des Generalsekretärs Olav Fykse Tveit dem Aufbau einer geschlechtergerechten Gemeinschaft von Frauen und Männern im Sinne einer Kultur des Friedens dienen soll. Schon 1975 beschloss die ÖRK-Vollversammlung die Durchführung einer weltweiten Studie über die Gemeinschaft von Frauen und Männern, die Überlegungen auf verschiedenen Ebenen des kirchlichen Lebens einschloss. Der Schlussbericht für die ÖRK-Konsultation 1981 in Sheffield wurde unter dem Titel «Die Gemeinschaft von Frauen und Männern» publiziert. Als sogenannter «Sheffield- Bericht» inspirierte er viele Initiativen in der ökumenischen Bewegung wie z. B. die Dekade der Kirchen in Solidarität mit Frauen, die Dekade zur Überwindung von Gewalt oder die «Lebendigen Briefe» als ökumenisches Zeugnis in Form begleitender Gebete und Besuche in Krisensituationen und -gebieten. Bis heute sind die in Sheffield aufgeworfenen Fragen relevant und fordern den ÖRK und die ökumenische Bewegung heraus: Inwieweit ist die Vision von Einheit in der theologischen Reflektion und Praxis verwirklicht als einer Gemeinschaft von Frauen und Männern, als Teilhabe auf verschiedenen Ebenen des kirchlichen Lebens sowie in den täglichen Beziehungen? Nach 30 Jahren bleibt noch Raum offen für weiterführende theologische Perspektiven, welche die Suche nach sichtbarer Einheit über das Bestehende hinaus unterstützen können.

Gender Advisory Group

Die «Gender Advisory Group» (GAG) wird sich auf drei Themenbereiche konzentrieren: Theologische Reflektion; Praxis durch gleichgestellte Teilhabe; Anwaltschaft und Begleitung für gegenseitige und rechenschaftspflichtige Beziehungen. Sie berät den ÖRK-Generalsekretär im Blick auf die ÖRKMitgliedskirchen. Diese maximal fünfzehnköpfige GAG steht in enger Zusammenarbeit mit dem Programm für «Frauen in Kirche und Gesellschaft» am ÖRK und der Theologin Dr. Fulata Lusungu Moyo als Exekutivverantwortlichen. Das weite Wissen, die Expertise und unterschiedlichen Gaben in den ÖRK-Mitgliedskirchen und der ökumenischen Partner sollen besser genutzt werden, um einen dynamischen Prozess in Gang zu setzen und prägnante ÖRK-Gender-Grundlagen zu entwerfen für die Zeit von der 10. Vollversammlung des ÖRK in Südkorea 2013 bis zur 11. Vollversammlung 2020. Ein konkreter Schritt, dem Anliegen von Frauen um Erhöhung des Frauenanteil am ÖRK Gehör zu schenken, bedeutet die Schaffung einer neuen Leitungsstelle im Generalsekretariat: Die Aufgabenbereiche «Einheit und Mission» und «Öffentliches Zeugnis und Diakonie» wurden aufgeteilt von einer in zwei dem Generalsekretär zugeordnete («associate General Secretary») Stellen. Pfr. Dr. Hielke Wolters ist weiterhin für «Einheit und Mission» zuständig. Den Bereich «Öffentliches Zeugnis und Diakonie» betreut seit August 2012 die Pfarrerin Isabel Apawo Phiri (Malawi), die als bestausgewiesene Professorin für Afrikanische Theologie an der Schule für Theologie und Religion der Universität Kwa-Zulu-Natal in Südafrika unterrichtete.

«Feminisierung» der Kirchen?

An ihrer Herbsttagung 2011 griff die SEK-Frauenkonferenz mit dem Thema «Feminisierung der Kirchen. Zwischen Schreckgespenst und Heilserwartung » eine Tendenz auf: In den letzten Jahren verstärkte sich der Eindruck, dass «Feminisierung» als ein Klischee die Errungenschaften von Frauen in Beruf und Öffentlichkeit in Frage stellt. Laut Pfarrerin Sabine Scheuter, Präsidentin der Frauenkonferenz, überwiegte vor 25 Jahren die Überzeugung, dass die Zukunft der Kirche weiblich sei und in der Feminisierung die Rettung der Kirche liege, weil davon mehr Menschlichkeit ausgehe. Inzwischen sei eine Feminisierung eingetreten: Der Frauenanteil in kirchlichen Positionen und Ämtern hat sich erhöht. Scheuter sieht dies als eine 200-jährige Entwicklung in den reformierten Kirchen in Europa, die sowohl Kirche wie Religion eher als Frauensache gewichtete, was einer Feminisierung der Religion im 19. Jahrhundert gleichkam. Heute sind die Frauen vermehrt auch in den institutionellen Bereich hineingelangt.

Schwelle bei 30 Prozent

Der Frauenanteil im reformierten Pfarramt beträgt in der Schweiz über 30 Prozent bei nur 25 Anstellungsprozenten. Bei der 30-Prozent-Grenze wird eine Gruppe nicht mehr als Minderheit angeschaut, sondern als Normalfall. Somit ist im Pfarrberuf die Schwelle überschritten worden weg von einem Männerberuf. Die Wahrnehmung, dass es mehr Frauen im Pfarramt gibt als Männer, steht als gefühlte «Feminisierung» daher in einem Widerspruch zur (prozentualen) Realität. Was Leitungsämter angeht, bilden weiterhin Männer eine Mehrheit, und auf theologisch universitärer Ebene treten die Unterschiede zu Ungunsten von Frauen ebenfalls hervor. Doch wieso haben Männer den Eindruck, bei einem Frauenanteil von etwa 30 Prozent in einer beliebigen Berufsgruppe hätten die Frauen in ihr die Mehrheit? Warum wird ein wachsender Frauenanteil in einem Berufsfeld nicht als Gewinn, sondern als Bedrohung empfunden?

«Gender-Switch»

Brigitte Liebig, Professorin an der Hochschule für Angewandte Psychologie, Fachhochschule Nordwestschweiz, wies in ihrem Vortrag zu «Gender Switch: Hintergründe – Deutungen – Perspektiven der Feminisierung von Berufen» einen Geschlechtswandel – «Gender Switch» – nach, der sich in den letzten Jahrzehnten in zahlreichen Berufen vollzogen hatte: In ganzen Berufsfeldern wie der Pädagogik, Medizin oder Jurisprudenz seien Frauen sichtbar ge worden und hätten «die Dominanz der Männer in diesen Berufen gebrochen». Laut Analysen sei dieser «Gender Switch» durchaus «kein neues Phänomen». Sie führte die Schriftsetzerei an, wo der Setzerberuf von einem ursprünglichen Männerberuf zu einem Frauenberuf und schliesslich wieder zu einem Männerberuf wurde. Der geschlechtliche Charakter von Berufen sei historisch sehr veränderlich und nicht naturgegeben. Die Feministische Philosophie habe die zu Grunde liegenden Denkweisen aufgedeckt, die in unserer abendländischen Kultur bis heute in den Alltag hineinwirken. Es sei das Denken in Gegensätzen wie zum Beispiel der Gegensatz im Geschlechterverhältnis Weiblichkeit-Männlichkeit. Als «symbolische Ordnung» baue dies auf der Konstruktion von Differenzen zwischen den Geschlechtern auf und errichte auch ein Verhältnis von Unter- bzw. Überordnung. Für Liebig zeigt die öffentliche Diskussion über die Abwertung von Berufsfeldern, wenn zunehmend Frauen darin tätig sind, die Tatsache auf, dass die Präsenz von Frauen zur Abwertung dieser Berufsfelder beitrage. Diese Deutung hänge damit zusammen, dass ein Unter- und Überordnungsverhältnis zwischen Frauen und Männern bestehe und deshalb auch die Arbeit nur von unterschiedlichem Wert sein kann. Der negativen Deutung des Geschlechtswechsels von Berufen stehen Wertungen gegenüber, die den «Gender Switch» als Chance für die Frauen aufweisen möchten. Der Begriff der Feminisierung bedürfe der Anerkennung und Legitimierung, um wirksam zu werden, betonte Liebig, am besten durch Hervorhebung der qualitativen Veränderungen und Verbesserungen in den Berufsbereichen, in denen Frauen eingezogen sind.

 

Esther R. Suter

Esther R. Suter

Die evangelisch-reformierte Theologin und Pfarrerin Esther R. Suter ist Fachjournalistin SFJ/ASJ und engagiert sich bei UN Geneva als NGO-Representative for International Alliance of Women, bei UN New York als NGO-Representative for International Association for Religious Freedom und ist Vize-Präsidentin der International Association of Liberal Religious Women.