Kreuzerhöhung: ein Fest der Erlösung mitten im September

Sonntag, 14. September 2014: Fest Kreuzerhöhung

Wer sich nicht sicher ist, was die Kirche an einem bestimmten Festtag feiert, ist gut beraten, einen Blick in den Introitus-Vers des Messformulars zu werfen. Wie bei manchen klassischen Musikstücken zu Beginn ein Motiv erklingt, das sich dann in verschiedenen Facetten wiederholt, so lässt der Introitus schon einmal das Motiv des Tages erklingen und gibt damit den Liturgiefeiernden eine Spur in das jeweilige Festgeheimnis vor. Beim Fest Kreuzerhöhung ist das auch so. Hier lautet der Eröffnungsvers: «Wir rühmen uns des Kreuzes unseres Herrn Jesus Christus. In ihm ist uns Heil geworden und Auferstehung und Leben. Durch ihn sind wir erlöst und befreit.»

Die ersten Worte zu Beginn der Festmesse weisen in eine interessante Richtung. Es geht bei diesem Fest wohl weniger um etwas Abstraktes oder um ein theologisches Konstrukt – auch wenn der nicht auf das erste Hören eingängige Name des Festes zunächst solches vermuten lässt –, sondern es geht um «uns». Die Liturgiefeiernden stehen im Zentrum, sie werden direkt angesprochen und zum Dienst des Rühmens der Taten Gottes in Jesus Christus aufgefordert, wobei die Dreiheit von Kreuz, Tod und Auferstehung ganz im Blick bleibt. Die Sinnspitze dieses Tages ist «unsere» Rettung im göttlichen Selbsteinsatz, auch hier wieder in einer Dreiheit beschrieben, nämlich als «Heil, Auferstehung und Leben». Wer mit diesem Satz im Ohr und im Herzen in das Fest einsteigt, der und die erfährt, was sich beim Liturgiefeiern überhaupt und an diesem Festtag im Speziellen ereignet: Liturgie ist als der Weg zu verstehen, je und je neu in die Erlösung einzutreten und zu feiern, dass Jesus Christus für uns starb, damit wir Leben haben.

Im Zentrum des Glaubens

Beim Fest Kreuzerhöhung sind wir damit ganz unversehens nicht einfach bei einem Ausschnitt des Glaubens gelandet, sondern mitten im Zentrum. Es geht hier, wie so oft in der Liturgie, um das Ganze des Heils, das Gott in Jesus Christus seinen Geschöpfen angeboten hat. Von daher verwundert es nicht, dass dieser Introitus, der im Übrigen angelehnt an Galater 6,14 formuliert ist, auch am Beginn des Festes der Feste steht und ebenfalls die Dreitagefeier von Ostern eröffnet. Wie mit einem Paukenschlag beginnt die Feier von Ostern: Bereits am Vorabend von Karfreitag geht es um das Ganze von Erlösung und Befreiung. Der Sinn der Feier von Ostern ist unser Heil, unser Leben und unsere Auferstehung. So auch am Fest Kreuzerhöhung: Es ist ein Fest unserer Erlösung mitten im September.

Das Messformular des Tages setzt diese Linie in Tagesgebet, Gabengebet, Präfation und Schlussgebet fort. Die Antiphon zur Kreuzverehrung am Karfreitag «Im Kreuz ist Heil» kommt immer wieder in den Sinn, wenn man die Texte des Tages betrachtet. Das Tagesgebet spricht davon, dass «dein geliebter Sohn den Tod am Kreuz auf sich genommen [hat], um alle Menschen zu erlösen ». Wieder geht es um uns, um die Mitfeiernden, die im Feiern in das geschehene und jetzt wieder gegenwärtige Heil hineingenommen werden. Erneut in Anknüpfung an Paulus spricht der Text des Tagesgebets von der «Torheit des Kreuzes»: «Denn das Wort vom Kreuz ist denen, die verloren gehen, Torheit; uns aber, die gerettet werden, ist es Gottes Kraft», beginnt der Apostel seine Überlegungen zur Botschaft des Kreuzes (1 Kor 1,18-25). Es kann wohl keinen Kompromiss geben: entweder Gott oder Welt. Entweder Weisheit oder Torheit. Entweder gerettet oder verloren. Entweder wir oder sie. Deshalb bittet das Tagesgebet darum, in der Torheit des Kreuzes die Macht und Weisheit Gottes erkennen zu können, um dadurch «in Ewigkeit teil[zu]haben an der Frucht der Erlösung». Mit Rückgriff auf den Introitus-Vers ist mit diesem Erkennen nicht in erster Linie ein intellektuelles Verstehen gemeint, sondern ein Erkennen, das sich im Vollzug des Rühmens Gottes einstellt.

Heil aus dem Kreuz

Die Präfation, der Teil des Eucharistischen Hochgebets, der das Dankmotiv des Tages entfaltet, tut dann genau das, wozu die feiernde Gemeinde an diesem Tag aufgerufen ist: Sie preist das Heil, das Gott im Zeichen des Kreuzes gewirkt hat: «Denn du hast das Heil der Welt auf das Holz des Kreuzes gegründet. Vom Baum des Paradieses kam der Tod, vom Baum des Kreuzes erstand das Leben. Der Feind, der am Holz gesiegt hat, wurde auch am Holze besiegt durch unseren Herrn Jesus Christus.» Diese knappen Worte nehmen auf, was die alten Kreuzhymnen in der Tagzeitenliturgie ausschmückten. Venantius Fortunatus, Dichter am Merowingerhof im 6. Jahrhundert und Bischof von Poitiers, besang das Kreuz in fast trunkener Weise. Das Stundenbuch übersetzt die ersten Zeilen des so traditionsreichen Vesperhymnus «Vexilla regis prodeunt» mit: «Der König siegt, sein Banner glänzt, geheimnisvoll erstrahlt das Kreuz, an dessen Balken ausgereckt im Fleisch des Fleisches Schöpfer hängt.» Ursprünglich zur Einholung der Kreuzreliquien in Poitiers verfasst und dort wohl zur Prozession gesungen, spricht der lateinische Text von «fulget crucis mysterium», von dem sichtbaren Heilszeichen. Die griechischen Kirchenväter sprachen von «mysterion», wenn sie erfassen wollten, was die lateinischen Kirchenväter mit «sacramentum» beschrieben. Das Kreuz ist nicht Geheimnis, das erst ergründet werden muss, sondern Weg im Glauben von Gott zu reden, so wie das Kreuz durch Tod und Auferstehung Jesu Christi auch zum Weg geworden ist, vom Menschen und seiner Wirklichkeit zu sprechen. Durch diese Feier, so fasst das Schlussgebet zusammen, sind die Liturgiefeiernden erneut mit dem im Zeichen des Kreuzes geschehenen Heil in Berührung gekommen und sind auf ihrem Weg zur Herrlichkeit der Auferstehung vorangeschritten.

Ein altes Fest

Das Fest Kreuzerhöhung ist ein altes Fest. Zum ersten Mal berichtet die Pilgerin Egeria aus dem Jahr 381/84 von einem jährlichen Gedenktag der Auferstehungs- und Martyriumskirche, der zusammenfällt mit dem Gedächtnistag der Auffindung des Kreuzes. Mehr wird dazu erst mal nicht gesagt. Der Legende nach hat die Kaisermutter Helena auf ihrer Pilgerreise in Jerusalem das Kreuz des Herrn aufgefunden, das dann 335 im Rahmen der Einweihungsfeierlichkeiten der Martyriumsbasilika, die Kaiser Konstantin auf Golgota neben dem Grab Jesu errichten liess, den so zahlreich anwesenden Pilgern gezeigt wurde. So hielt man es dann auch in den folgenden Jahren. Im 7. Jahrhundert feierte man im ganzen Osten am 14. September das Fest Kreuzerhöhung, wobei das Kreuz auf einem erhöhten Ort zur Verehrung ausgestellt wurde. Der Westen übernimmt diese Praxis, allerdings mit einer Verdoppelung: Am 3. Mai wird die Auffindung des Kreuzes gefeiert und am 14. September das Fest Kreuzerhöhung. Besonders in St. Peter in Rom wurde das Fest am 14. September immer wichtiger, denn dort bewahrte man eine kostbare Kreuzreliquie auf, die an diesem Tag besonders feierlich verehrt wurde. Mit der Zeit verbreitet sich das Fest in der ganzen westlichen Kirche, doch löste sich die Gestalt des Festes immer mehr von dem Zeigen und Verehren einer Kreuzreliquie. Die Verehrung des Kreuzes ist im Westen zum festen Bestandteil und Merkmal des Karfreitags geworden. In den östlichen Liturgien ist bis heute der 14. September fest verbunden mit dem Ritus des Zeigens eines Kreuzes.

Birgit Jeggle-Merz (Bild: unilu.ch)

Birgit Jeggle-Merz

Dr. theol. Birgit Jeggle-Merz ist Ordentliche Professorin für Liturgiewissenschaft an der Theologischen Hochschule Chur und a. o. Professorin in derselben Disziplin an der Universität Luzern.