Kompetenzfördernd unterrichten

Kompetenzorientierter Unterricht ist eines der wichtigen Stichworte des neuen Lehrplan 21. Dabei wird der Lehr- und Lernprozess von seinem Ende her gedacht.

Kompetenzorientiert unterrichten bedeutet, die Aufgabenstruktur im Unterricht auf das Lösen von konkreten und anforderungsreichen Problemen auszurichten.5

 

Vergleichsstudien wie die PISA-Studie schreckten Anfang der Nullerjahre auf. Zwar schienen die Schweizer Schulabgängerinnen und -abgänger richtig viel zu wissen. Nur gelang es ihnen nicht, dieses Wissen in Anwendungssituationen gewinnbringend einzusetzen. Fortan müsse besser beachtet werden, was die Lernenden an sichtbarer Leistung in Anwendungssituationen zeigen können, wurde gefordert. Damit war die Grundausrichtung dafür gegeben, was wir als kompetenzorientierten Unterricht kennen.

Wissen und motivationale Aspekte

Wie niemand sonst prägte Franz E. Weinert den Kompetenzbegriff im deutschsprachigen Raum. Er definierte Kompetenz als «die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können».1

Kompetenzorientierung ist damit explizit auf das Bewältigen von herausfordernden Situationen ausgerichtet. Gewisse Herausforderungen definieren wir selbst. In anderen Fällen geraten wir in Situationen, die uns herausfordern (z. B. wenn wir uns auf einer Wanderung verlaufen haben). Oder wir werden durch andere Menschen mit Herausforderungen konfrontiert (z. B. wenn uns eine Person bittet, ihr bei einem schwierigen Gespräch beizustehen). In solchen Situationen nutzen wir, sofern wir selbst ausreichend motiviert sind bzw. die soziale Verantwortung wahrnehmen wollen, unser Wissen, unsere Fertigkeiten und überfachlichen Fähigkeiten. So kommt es schliesslich zu einem Handlungsergebnis, was auch als «Performanz» oder im Kontext eines Lehrplans etwas unschön als «Output» beschrieben werden kann (s. Abbildung).

Wie muss ein Unterricht gestaltet werden, der darauf abzielt, eine Brücke zwischen konkreten anforderungsreichen Situationen und möglichen sachgerechten und verantwortungsvollen Lösungen zu schlagen?2

Anforderungsreiche Situationen wichtig

Der Unterricht sollte problemorientiert gestaltet werden. Lehrpersonen nutzen dafür Konfrontationsaufgaben, die dazu anregen, den Kern einer herausfordernden Situation zu erkennen, sich Fragen zu stellen und herauszufinden, was man wissen müsste, um die Situation zu lösen. Solche Aufgaben sind in einen lebensweltlichen Kontext eingebettet und damit nahe an der Komplexität des Alltags. Die Lernenden müssen erkennen können, welches Wissen notwendig ist, um sachgerechte Urteile und Entscheidungen fällen und entsprechende Massnahmen umsetzen zu können. Konfrontationsaufgaben müssen an das Vorwissen anschliessen. Sie sollten so schwierig sein, dass sie mit dem aktuellen Wissensstand nicht bewältigt werden können. Gleichzeitig dürfen sich die Lernenden aber nicht überfordert fühlen.

Bereits bei der Planung müssen sich Lehrpersonen überlegen, wie die möglichen Lösungen aussehen sollen: Wie zeigt sich eine verantwortungsvolle Bewältigung? Und anhand welcher Indikatoren lässt sich feststellen, dass etwas sachgerecht erreicht wurde? Es lohnt sich hier, in verschiedenen Niveaus (Novize, Fortgeschritten, Könner, Experte) und damit in Entwicklungsmöglichkeiten zu denken.

Wissen und Fähigkeiten erweitern

Wenn die Konfrontationsaufgaben so gewählt sind, dass sie für die einzelnen Lernenden wirklich anforderungsreich sind, dann besteht Bedarf, das eigene Wissen zu erweitern, Fähigkeiten zu verfeinern und allenfalls neue Fertigkeiten einzuüben. Erarbeitungsaufgaben leiten die Schülerinnen und Schüler dazu an. Erarbeitungsprozesse setzen dabei konsequent beim jeweiligen Vorwissen und den Vorerfahrungen an. Lehrpersonen müssen die vorhandenen Handlungs- und Deutungsmuster der Lernenden nachvollziehen können und die Aufgaben entsprechend auf unterschiedliche Anforderungsniveaus ausrichten. Ein Lehrplan wie der Lehrplan 21 macht diese Anforderungsniveaus in Form von Kompetenzstufen sichtbar. Jede Stufe beschreibt das Ausgangsniveau für die nächste. Ein Aufbau muss sorgfältig und sachlogisch gestaltet werden.

Vertiefungs- und Übungsaufgaben fördern dann die intensive Auseinandersetzung mit dem Angeeigneten, um Sicherheit zu entwickeln.

Persönlicher Wert des Lernens

Ein kompetenzfördernder Unterricht ist darauf ausgerichtet, dass die Lernenden herausfordernde Situationen anpacken, ihr Können einsetzen und Anforderungen meistern wollen. Menschen sind dazu bereit, wenn sie sich als selbstwirksam wahrnehmen:3 Sie müssen erleben, dass sie a) in der Lage sind, die Erwartungen zu erfüllen, b) die Situation erfolgreich beeinflussen können und c) sozial eingebunden sind. Das bedingt eine Unterrichtsgestaltung mit transparenten Leistungserwartungen in Form von erreichbaren Teilzielen.

Instruktive Teile sind in der Regel sehr wirksam, insbesondere für weniger leistungsstarke Schülerinnen und Schüler. Um die soziale Eingebundenheit zu fördern, müssen daran aber Phasen anschliessen, in denen Lernende gemeinsam Dinge klären und Lösungen suchen. Zudem brauchen sie Möglichkeiten, um das Erreichte selbst zu evaluieren und das eigene Lernen zu reflektieren. Wer nur von aussen beurteilt wird, wird sich bald nur noch nach diesen Anforderungen richten. Wer hingegen dem Lernen einen persönlichen Wert geben kann, entwickelt eigene Motive für das Lernen und Leisten und ist somit für lebenslanges Lernen vorbereitet.

Anwendung in variablen Situationen

Bei anforderungsreichen Situationen handelt es sich nicht um einfache Tätigkeiten, die immer gleich ausgeführt werden. Eine Autofahrerin, die ihren Arbeitsweg jeweils zur gleichen Uhrzeit zurücklegt und immer die gleiche Strecke fährt, wird in ihrem ganzen Berufsleben nie zwei Arbeitswege genau gleich antreffen. Jeden Tag muss sie ihr Wissen an die Situation anpassen und ihre Kompetenz neu unter Beweis stellen. Um das zu fördern, müssen Lehrpersonen im Unterricht Möglichkeiten schaffen, die jeweiligen Kompetenzen in «variablen Situationen»4 anzuwenden. Mittels Synthese- und Transferaufgaben lernen die Schülerinnen und Schüler unterschiedliche Erscheinungsformen von im Kern ähnlichen Problemstellungen kennen und das Gelernte wird flexibilisiert. Das bedingt Zeit und Möglichkeiten. In einem Unterricht, der auf effizientes Durchnehmen von grossen Stoffmengen ausgelegt ist, ist es schwierig, ausreichend variable Erfahrungsmöglichkeiten anzubieten. Ein projektartiger Unterricht mit einem klaren Fokus auf auszubildende Kompetenzen hingegen bietet eine geeignete Ausgangslage für den Aufbau von Wissen, das wirklich wirksam wird.

Selbstwirksamkeit als primäres Ziel

Von Kritikerinnen und Kritikern der Kompetenzorientierung wird moniert, dass Lernen damit auf ökonomisch verwertbares Handeln verkürzt werde und so eine Zudienerfunktion für die Wirtschaft übernehme. Diese Kritik gilt es ernst zu nehmen. Lernergebnisse sollten darum nicht nach ökonomischen Kriterien beurteilt, sondern am Wert für die jeweilige Person selbst, also für die Schülerin oder den Schüler, bemessen werden. Anwendungs- und Beurteilungsaufgaben sind damit konsequent auf das Selbstwirksamkeitserleben auszurichten: Kompetenzorientierung ist dann gelungen, wenn Lernende selbst feststellen, dass sie in der Welt, in der sie leben, wirksam handeln können.

Klaus Joller-Graf

 

 

1 Weinert, Franz E, Leistungsmessungen in Schulen, Weinheim 2002, 27–28.

2 Vgl. Joller-Graf, Klaus, Rezeptbuch kompetenzfördernd unterrichten. Wenn Wissen wirksam wird, Bern 2019; Joller-Graf, K. / Zutavern, M./ Tettenborn, A. / Ulrich, U. / Zeiger, A., Leitartikel zum kompetenzorientierten
Unterricht. Begriffe-Hintergründe-Möglichkeiten. Luzern: ESP KoU, Pädagogische Hochschule Luzern 2014.

3 Vgl. Deci, E. L. und Ryan, R. M, The «What» and «Why» of Goal Pursuits. Human Needs and the Self-Determination of Behavio, in: Psychological Inquiry 11/4 (2000), 227–268.

4 Weinert, F. E., Leistungsmessungen in Schulen, 28.

5 Luthiger, H. / Wilhelm, M. / Wespi, C. / Wildhirt, S. (Hg.), Kompetenzförderung mit Aufgabensets. Theorie – Konzept – Praxis. Bern 2018.

Buchempfehlung: «Rezeptbuch kompetenzfördernd unterrichten. Wenn Wissen wirksam wird». Von Klaus Joller-Graf. Bern 2019. ISBN: 978-3-258-08118-2, CHF 35.90. www.haupt.ch

Mit diesem Beitrag startet die SKZ eine neue Serie zu den Kompetenzbereichen des «Leitbild Katechese im Kulturwandel». Weitere Informationen zum Leitbild finden sich unter www.reli.ch


Klaus Joller-Graf

Prof. Dr. phil. Klaus Joller-Graf (Jg. 1970) ist ausgebildeter Primarlehrer und studierte an der Universität Zürich Erziehungswissenschaften,
Sonderpädagogik und Allg. Didaktik sowie an der Universität Hamburg Higher Education. Er leitet den Bereich der Berufsstudien im Studiengang Schulische Heilpädagogik an der Pädagogischen Hochschule Luzern