Angedockt an Gott

Bücher zu einer gewünschten Reform der Kirche haben zurzeit Konjunktur. Doch welche Hoffnungen für die Kirche hat eine Seelsorgerin, die zugleich als Psychotherapeutin arbeitet?

Nach vielen Werken zu Fragen menschlicher Erlösungsbedürftigkeit, die aus ihrer jahrzehntelangen Tätigkeit als Therapeutin und Seelsorgerin herausgewachsen sind, legt die promovierte Theologin Monika Renz, von einem Vorwort von Paul Michael Zulehner begleitet, ein knapp gehaltenes Büchlein (150 Seiten) zur Frage vor, welche Kirche die Menschen brauchen, sprich welche Kirche unter den Bedingungen der Neuzeit überleben kann.1

Vom menschgewordenen Logos her

Renz baut ihre Ekklesiologie auf ihrer schon lange formulierten These2 auf, dass wir Menschen der Moderne oft «disconnected», abgetrennt von der wirklichen Quelle des Lebens, die Halt und Sinn gibt, leben, und dass dieses Abgetrennt-Sein sowohl krank wie einsam macht: «Technisch ausgedrückt, ist uns irgendwann das Angeschlossen-Sein ans Netz des Göttlichen entschwunden. Das Netz oder das Himmelreich wäre stets da, doch der Mensch hat irgendwann, irgendwie, den Stecker herausgezogen.»3 Urangst, Fluchtbedürfnisse und Kompensation via Ratio und Macht sind die Begleiterscheinungen.

Diesem Lebensgefühl und dieser Bedrohungslage sollte sich eine Kirche der Moderne bewusst sein und Gegensteuer geben, Gegensteuer, die auf der Person des Rabbi Jesus, dem gemäss katholischer Liturgie «Lamm Gottes, das hinwegnimmt die Sünde der Welt», aufbaut. «Sünde» ist hier bewusst als «disconnection» gemeint. Wie schon früher gefordert, will Renz so auch den vermuteten Gegensatz zwischen dem synoptischen und johanneischen Bild Jesu überwinden. Sie träumt von einer Kirche, die vom menschgewordenen Logos her folgenden Ansprüchen genügt:

  • Mystik statt eine beliebig gewordene Spiritualität (versus eine Erfahrungsscheu der Kirchen, versus eines reinen Verwaltens des Göttlichen durch sie);
  • von der entleerten Würde zur Erfahrung tiefster Identität (kirchlicher Einsatz für die Unantastbarkeit des Menschen, für seine Würde und damit Gottesebenbildlichkeit);
  • vom tabuisierten zum geteilten Leiden (Seelsorge, die sich nicht scheut, den einsamen Weg durch innere Wüsten und deren Anfechtungen zu gehen);
  • von der Entfremdung heim zu sich selbst und zu Gott (mehr Sein als Haben, mehr Ernsthaftigkeit als Aktionismus).

So lautet die Botschaft von Renz: Inhalte statt Leerformeln, Empathie statt Moralismus, Solidarität statt Belehrung. Im «Feldlazarett der Menschheit»4 geht es darum, dass uralte Wunden verheilen. «Mit Jesus gesprochen ginge es darum, dass Kirche sich bewege: weg von der einseitigen Orientierung an Dogmen und Lehrmeinungen […] hin zum unmittelbaren Gott, konkret hin zu dem, was Menschen intuitiv schauen, in Stille und Meditation erhorchen und als Nähe zu Gott erahnen.»5

Natürlich ist das der prophetische und darum immer schon systemkritische Anteil der jesuanischen Botschaft vom Gottesreich, der hier aus einer therapeutischen Sicht neu zur Sprache kommt. Es überrascht den Lesenden, der der Autorin bisher mehr auf einer individualethischen Sicht begegnet ist.

Abschied vom Sündenbockdenken

Im zweiten Teil ihres Buches arbeitet Renz an den beiden Bereichen Kirchenjahr und religiöse Rituale (insbesondere Eucharistie) ab, was sie im Thesenteil formuliert hat. Dabei fordert sie nachdrücklich, dass sich Theologie und Kirche vom «magisch-ritualisierten Opferungsdenken» verabschieden, das lange als Deutung des Todes Jesu und damit auch der Einsetzungsworte verwendet wurde. Ein Sündenbockdenken war lange, zu lange, im Gebrauch, um dem Menschen sein schlechtes Gewissen zu erleichtern, zugleich verhinderte es das grosse «Zurückfinden» zum Ewigen.
Dankbar stellen wir fest, dass es deutliche Verknüpfungselemente zwischen der von der Autorin während Jahren aufgebauten These und einer aufgeklärten liberalen Theologie gibt!

Heinz Angehrn

 

1 Renz, Monika, Ich träume von einer Kirche der Hoffnung, Freiburg 2020.

2 Vgl. insbesondere «Erlösung aus Prägung. Paderborn 2017.

3 Ich träume von einer Kirche der Hoffnung, 29.

4 Zulehner zitiert im Vorwort Papst Franziskus (AL 291).

5 Ich träume von einer Kirche der Hoffnung, 70.

Buch: «Ich träume von einer Kirche der Hoffnung». Von Monika Renz. Freiburg 2020. ISBN 978-3-451-39598-7, CHF 19.90. www.herder.de


Heinz Angehrn

Heinz Angehrn (Jg. 1955) war Pfarrer des Bistums St. Gallen und lebt seit 2018 im aktiven kirchlichen Dienst als Pensionierter im Bleniotal TI. Er ist Präsident der Redaktionskommission der Schweizerischen Kirchenzeitung und nennt als Hobbys Musik, Geschichte und Literatur.