In der Benediktsregel spielen Wirtschaft und Politik allenfalls eine marginale Rolle: Das Kloster wird vor allem als Ort des Gebets und der Selbstvervollkommnung der Mönche entworfen; störende externe Faktoren sollen möglichst nicht in den klösterlichen Alltag hineinwirken. Arbeit dient nach dem Regeltext in erster Linie dazu, leere Zeit zu füllen und Mönche davor zu bewahren, auf störende Gedanken zu kommen. Darüber hinaus dient die Arbeit der wirtschaftlichen Unabhängigkeit der asketischen Gemeinschaft. Dieses normative Ideal entsprach nicht den mittelalterlichen Realitäten, wie sich schon an den Baulichkeiten der Klöster ablesen lässt: Sie dienten nicht nur dem Gebet, der Lektüre, der Meditation und dem gemeinsamen Leben, sondern umfassten auch landwirtschaftliche und handwerkliche Betriebe, Räume für die Ausbildung externer Schülerinnen und Schüler, repräsentative Gebäude und Befestigungsanlagen. Schon der St. Galler Klosterplan aus dem frühen 9. Jahrhundert weist innerhalb der Klostermauern die Klausur als monastischen Sonderraum aus, der dem eigentlichen asketischen Gemeinschaftsleben reserviert bleibt.
Aus Gebeten werden Gebiete
Die wirtschaftlichen Grundlagen der Askese änderten sich dadurch, dass Asketinnen und Asketen seit dem Frühmittelalter zunehmend mit stellvertretendem Gebet für Lebende und Verstorbene beauftragt wurden. Mittelalterliche Gesellschaften waren wegen des Bedarfs an diesem stellvertretenden Gebet dazu bereit, einen hohen Anteil der erwirtschafteten Überschüsse in die Ausstattung von Kirchen, Stiften, Klöstern und anderen geistlichen Institutionen zu investieren. Gegen die Stiftung materieller Ressourcen – Grundbesitz, Herrschaftsrechte, wertvolle Materialien oder Gegenstände, Kultobjekte und Geld – übernahmen geistliche Gemeinschaften immer wachsende Gebetsverpflichtungen, insbesondere im Dienst der «Memoria» für Verstorbene: Gebete von Priestern, Mönchen und Nonnen sollten das Schicksal abmildern, das Verstorbene im Jenseits wegen nicht gebüsster Sünden zu erdulden hatten, und ihnen helfen, das Paradies zu erlangen.
Wie andere geistliche Institutionen akkumulierten auch Benediktinerklöster dadurch über Generationen hinweg umfangreiche Besitztümer, vor allem Immobilien und Rechte im ländlichen Raum. Dieser Besitz erstreckte sich über Hunderte von Kilometern: Die Abtei Werden, heute auf dem Gebiet der Stadt Essen im Ruhrgebiet gelegen, besass Ländereien bis an die deutsche und niederländische Nordseeküste und in den mitteldeutschen Raum bei Helmstedt (Niedersachsen); in Limonta am Ufer des Comersees stritten sich die Mönche der Reichenau mit denen aus S. Ambrogio in Mailand um die Kontrolle des Ortes.
Zentrale ökonomische Bedeutung
Benediktinische Männer- und Frauenklöster zählten seit dem Früh- und Hochmittelalter zu den grössten Grundbesitzern in Europa. Trotz der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und religiösen Dynamiken seit dem 12. Jahrhundert, die unter anderem den Aufstieg der Städte, neuer Wirtschaftszweige wie Fernhandel und Finanzwesen, aber auch neuer Orden mit innovativen Angeboten auf dem religiösen «Markt» hervorbrachten, behielten auch die älteren Klöster eine zentrale ökonomische Bedeutung. Wenn sie auf dem Gebiet boomender Städte lagen oder Zugang zu städtischen Märkten gewannen, konnten sie von der wachsenden Nachfrage nach Nahrungsmitteln profitieren oder selbst zu Akteuren neuer Geschäftsmodelle werden, etwa der Immobilienwirtschaft, wie dies für die Abtei Brauweiler bei Köln oder die Badia Fiorentina im Herzen der toskanischen Metropole belegt ist. Auch wenn immer wieder von ökonomischen Problemen einzelner Abteien berichtet wird – neben der Misswirtschaft konnten auch das Überhandnehmen von Almosenverpflichtungen, ein Konflikt um das spirituelle Profil, der materielle Unterstützung kostete, oder auch teure Prozesse bei der päpstlichen Gerichtsbarkeit die wirtschaftlichen Reserven eines Klosters überstrapazieren –, blieben benediktinische Männer- und Frauenklöster bis zum Ende des Mittelalters wohlhabende Institutionen, die über einen erheblichen Teil der wirtschaftlichen Ressourcen mittelalterlicher Gesellschaften verfügten. Kirchen, Klosteranlagen, Kunstwerke, Manuskripte und alle anderen erhaltenen Ausstattungsstücke mittelalterlicher Klöster sind ohne diese ökonomischen Grundlagen nicht zu denken.
Regionalpolitische Akteure
Mit klösterlichem Landbesitz verbanden sich herrschaftliche Rechte, etwa die Gerichtsbarkeit oder auch die Befehlsgewalt über militärische Kontingente. Dadurch waren benediktinische Klöster zwangsläufig auch regionalpolitische Akteure von erheblichem Gewicht, die mit anderen geistlichen oder weltlichen Akteuren um diese Machtpositionen konkurrierten. In Phasen gesellschaftlicher Transformationen, etwa während des 11. Jahrhunderts, beteiligten sich Klöster deswegen auch an verbreiteten gewalttätigen Auseinandersetzungen um die Kontrolle ihrer wirtschaftlichen und politischen Ressourcen. Eine andere Strategie konnte darin bestehen, weltliche Akteure als Gewalttäter zu denunzieren und sich von Königen unterstützen zu lassen, die dadurch ihre Frömmigkeit zur Schau stellten.
Zugleich wurden viele Klöster von Königs- und Adelsfamilien nicht nur mit Stiftungen und Privilegien versehen, sondern auch für politische Zwecke in Anspruch genommen. Als Hauskloster konnte eine Gemeinschaft zum Zentrum einer adeligen Familie werden, weil dort die Gräber der Ahnen lagen und an sie erinnert wurde. Über die Besetzung des Abbatiats oder der weltlichen Klostervogtei besass die Stifterfamilie zugleich massgeblichen Einfluss auf das Kloster, das sogar zur Arrondierung des Familienbesitzes eingesetzt wurde. Die enge Verbindung zwischen einem Kloster und einer Adelsfamilie zog die Mönche oder Nonnen aber auch in politische Konflikte hinein, etwa im Fall der Lüneburger Abtei St. Michaelis: Seit dem 10. Jahrhundert als Hauskloster der sächsischen Herzöge belegt und direkt neben einer zentralen Burg der Herzöge gelegen, wurde sie im Zuge des Lüneburger Erbfolgekriegs 1371 zerstört und an anderer Stelle innerhalb der Stadtmauern wieder aufgebaut.
Gegenseitiger Nutzen
Könige und Kaiser nutzten benediktinische Klöster auch zu praktischen und ideellen politischen Zwecken: Sie dienten als Unterkünfte für den umherziehenden Hof und mussten zur Versorgung der Monarchen und ihrer Gefolge beitragen. Im Früh- und Hochmittelalter stellten Klöster militärische Kontingente für königliche Aufgebote, selbst Äbte zogen mit in den Krieg. Die Liste eines kaiserlichen Heeres, das 980 von Otto II. angefordert wurde, nennt zum Beispiel über 400 gepanzerte Reiter, die von deutschen Abteien zu stellen waren. Klöster wie Saint-Denis bei Paris oder Westminster Abbey bei London waren zugleich Grablegen und ideelle Zentren des französischen und englischen Königreichs.
Praktische und ideelle Aspekte politischer Aktivitäten von Klöstern lassen sich nicht unbedingt trennen: Wenn ein Mönch wie Ansgar als Missionar und geistlicher Betreuer eines Königs in den Norden geschickt wurde, diente seine Mission sowohl der Ausbreitung des Christentums als auch der Absicherung karolingischen Einflusses nördlich der Elbe. Das Kloster Corvey (Nordrhein-Westfalen) diente als Reservoir für Personalnachwuchs und unterstützte wie andere Abteien auch die politische und religiöse Expansion materiell.
Ökonomische und mehr noch politische Aktivitäten des benediktinischen Mönchtums im Mittelalter folgten insgesamt nicht in erster Linie der Eigenlogik christlicher Askese, sondern wurden vielmehr von der engen Einbindung der Klöster in die Politik, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft ihrer Zeit geprägt. Letztlich ist diese Zeitgenossenschaft wohl eine unhintergehbare Voraussetzung für asketisches Leben in Geschichte und Gegenwart.
Christoph Dartmann