Klarheit schaffen – Perspektiven eröffnen

Mit dem «Leitbild Katechese im Kulturwandel» wurde 2009 eine Standortbestimmung vorgenommen. Das Leitbild ist auch heute noch ein wertvolles Arbeitsinstrument für die Katechese.

Das Leitbild dient auch der Zusammenarbeit mit den Schulbehörden beim schulischen konfessionellen Religionsunterricht. (Bild: Metropolitan School)

 

Welche Grundhaltung, welche Überzeugungen und Ziele die konkrete katechetische Arbeit eigentlich leiten, bleibt im pastoralen Alltag meist unsichtbar. Dass sie «funktioniert», steht im Vordergrund. Wenn aber diese grundlegenden Vorstellungen unausgesprochen und ungeklärt bleiben, ergibt sich ein erhebliches Potenzial für Missverständnisse und Konflikte unter allen Beteiligten. Das beginnt schon damit, dass Unterschiedliches unter Katechese verstanden wird. Sind die Wörter Religionsunterricht und Katechese austauschbar? Ist Katechese nur für Kinder und Jugendliche? Worauf zielt Katechese eigentlich ganz grundsätzlich ab? Sobald Belange zu klären sind, welche die pfarreiliche Ebene übersteigen, wie z. B. Fragen der Ausbildung oder das Verhältnis zur Schule, ein gemeinsames Verständnis und eine gemeinsame Sprache unverzichtbar.

Ergebnis eines partizipativen Prozesses

Hier setzt das Leitbild «Katechese im Kulturwandel» an. Ein Leitbild dient dazu, das Selbstverständnis und die Grundprinzipien einer Organisation festzuhalten. Es muss aber mehr sein als nur ein gut formulierter Text. Damit ein Leitbild wirken kann, müssen seine Überzeugungen von vielen geteilt werden. Es ist Ergebnis eines partizipativen Prozesses, in dem sich möglichst viele in einen Denk- und Selbstvergewisserungsprozess einlassen. Auch das Leitbild Katechese ist Ergebnis eines solch intensiven Prozesses. Die Aufgabe der Projektgruppe war es, die geäusserte Vielfalt von Gedanken zu bündeln und zu fokussieren. Es war darauf zu schauen, dass die Balance zwischen Vielfalt einerseits und klarer Orientierung andererseits, zwischen realistischem Blick und zukunftsweisenden Anstössen gewahrt bleibt, und das in einer Sprache, die schlank, kompakt und verständlich ist.

Das Leitbild Katechese besteht aus zwei Teilen, die jeweils auf einer Seite Platz haben: Der erste Teil ist der erklärende, den zweiten Teil bilden die Leitsätze. Zunächst wird umrissen, was man unter Katechese versteht: Handlungsfeld, Leitgedanken, Ausgangslage und Ziele. Der Ausdruck «Kulturwandel» zeigt an, dass das Leitbild sich gezielt mit unseren heutigen Herausforderungen auseinandersetzt: neue Kommunikations- und Informationsformen, Globalisierung und Vielfalt, Abnahme kirchlicher Bindung. Diese betreffen, bei aller Unterschiedlichkeit, alle Kontexte, in denen es Katechese gibt.

Allgemein und doch konkret

Das Herzstück des Leitbildes sind die Leitsätze. Sie bilden das ab, was da ist. Wichtiger noch, sie beschreiben, in welche Richtung es angesichts der Herausforderungen in der absehbaren Zukunft gehen soll. Der Blick nach vorn scheint in jedem Leitsatz durch – gegen Resignation, gegen nostalgische Verhaftung an der vermeintlich so viel besseren Vergangenheit. Die dort festgehaltenen Grundprinzipien sind so allgemein, dass sie unterschiedlich ausgefüllt werden können, aber so konkret, dass sie Orientierung bieten.
Ein Beispiel: Im Bereich des schulischen konfessionellen Religionsunterrichts ist derzeit viel in Bewegung. Viele Pfarreien müssen sich in diesem Bereich neu aufstellen. Wie kann das Leitbild hierbei hilfreich sein? Leitsatz 8 sagt, kirchlich verantworteter Religionsunterricht an der Schule könne «einen wichtigen Beitrag zum Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule leisten» und diene «der Vermittlung eines ganzheitlichen Glaubenswissens». Wenn die Zusam- menarbeit mit der Schule am Ort möglich ist, so muss man sich fragen, ob man bereit ist, diesen erwähnten Beitrag im gemeinsamen Interesse von Kirche und Schule zu erbringen. Ein echtes Interesse an dem, was die konkrete Schule am Ort erbringt, ist die Grundlage für eine kirchliche Positionierung. Was wollen, was können wir beitragen? Ist es konfessioneller oder ökumenischer Religionsunterricht, ist es etwas anderes? Manche werden einwenden: «Die Schulen haben kein Interesse an uns. Sie stellen uns nicht den erforderlichen Rahmen zur Verfügung.» In diesem Falle muss sich eine Pfarrei bzw. ein Pastoralraum der Frage stellen, in welchem Gefäss der nachfolgenden Generation das notwendige Glaubenswissen vermittelt werden kann, wenn es in der Schule nicht möglich ist. Für die schulischen Adressaten hingegen gibt das Leitbild Auskunft darüber, was man erwarten könnte, wenn man sich auf eine Zusammenarbeit mit der Kirche einlässt.

Leitbild als Aushängeschild

Ein Leitbild ist kein Instrument für die alltägliche Planung; diese braucht andere – didaktische – Instrumente. Auf der Rückseite des gedruckten Leitbildes werden die unterschiedlichen kirchlichen Ebenen, Kommissionen und Ausbildungsinstitutionen genannt, die für die Umsetzung des Leitbildes besorgt sein sollen. Doch das Leitbild Katechese hat nicht nur eine Funktion in den kirchlichen Raum hinein, sondern auch nach aus- sen. Kirche präsentiert sich hier mit offenem Visier. Das Leitbild ist ein Aushängeschild und ein Auskunftsinstrument, nicht nur für die eigenen Mitarbeitenden sowie für potenzielle Mitarbeitende aus einem anderen kirchlichen Kontext, sondern auch für Aussenstehende und für staatliche Institutionen wie etwa Bildungsverwaltung und Schulen.

Für Neues offen sein und bleiben

Katechetisch Tätige sehen sich oft mit dem Vorurteil konfrontiert, Katechese sei autoritäre Indoktrinierung. Das Leitbild zeigt ein anderes Bild. Zu den zentralen, aber unausgesprochenen Annahmen heutiger Katechese gehört es, dass es eine Verknüpfung zwischen Leben und Glauben geben muss (Leitsatz 2), dass die Lernenden Subjekte ihres Lernens sind (Leitsatz 3) und dass die Lebenswelt der Lernenden auch ein Lernort des Glaubens ist (Leitsatz 6). Diese Leitsätze formulieren zugleich Realität und Anspruch, beziehen sich auf Gegenwart und Zukunft. Um Verknüpfung zwischen Leben und Glauben muss immer wieder neu gerungen werden; Lernformen müssen immer daraufhin überdacht werden, ob sie eigenständiges, tiefes und nachhaltiges Lernen ermöglichen usw. Klar ist jedoch: Katechese widerspricht nicht der individuellen Freiheit, sondern ist im Gegenteil notwendig dafür, eine freiheitliche Glaubensentscheidung zu treffen. Leitsatz 7 öffnet den Horizont für neue Modelle der Sakramentenkatechese, die nicht für alle gleich sind, sondern unterschiedliche Wege bereithalten. Das ist ein inspirierender Gedanke, der dazu anregt, über die spezifische Vielfalt in der eigenen Pfarrei nachzudenken und Ideen zu entwickeln, Menschen mit ihren unterschiedlichen Ressourcen anzusprechen. Vielfalt ist Bereicherung, auch im Zeichen der Migration (Leitsatz 9), auch im Zeichen von Inklusion und Integration (Leitsatz 10). In diesen Leitsätzen wird das herausfordernde Thema der Heterogenität angesprochen. Diese ist ein Faktum, und sie kann sich als Chance erweisen.

Wirksam wird das Leitbild dann, wenn es von allen Beteiligten sowohl für die Reflexion der konkreten katechetischen Praxis als auch als Ideengeberin für zukünftige Entwicklungen genutzt wird.

Das Leitbild Katechese ist ein grosser Wurf, gerade angesichts der unterschiedlichen pastoralen Situationen in der Schweiz. Sicher ist es Abbild unserer Zeit, aber es ist wesentlich mehr als eine Momentaufnahme. Es ist auf eine wenigstens mittelfristige Haltbarkeit hin konzipiert. Nach nunmehr zehn Jahren kann man sagen: Das Leitbild ist gut; es ist so gut, dass es viel Neues integrieren kann. Das Leitbild Katechese ist kein Kontrollinstrument, keine Vorschrift, die alles über einen Kamm schert, sondern es bildet ein gemeinsames Verständnis auf einer höheren Ebene ab. Indem es das Gemeinsame in der Vielfalt der Praxis auf den Punkt bringt, indem es die Grundideen der katechetischen Praxis in Sprache fasst, legitimiert und ermöglicht es Katechese. Vielleicht unbemerkt, aber doch wirksam.

Monika Jakobs

 

Die SKZ veröffentlicht in loser Folge Beiträge zu den zwölf Leitsätzen zum «Leitbild Katechese im Kulturwandel». Weitere Informationen zum Leitbild finden sich unter www.reli.ch


Monika Jakobs

Prof. Dr. Monika Jakobs (Jg. 1959) ist Professorin für Religionspädagogik und Leiterin des Religionspädagogischen Instituts an der Universität Luzern.