«Es ist Gott, der die Kirche führt»

Der imaginäre Röstigraben geht mitten durch die Diözese Lausanne, Genf und Freiburg. Die SKZ fragte bei Bischof Charles Morerod nach, wie er die kulturellen Unterschiede wahrnimmt.

Bischof Charles Morerod (Jg. 1961) trat 1982 in den Predigerorden (OP) ein und wurde 1988 zum Priester geweiht. 1994 erlangte er das Doktorat in Theologie, 2004 das Doktorat der Philosophie. Von 1994 bis 1999 war er Lehrbeauftragter an der Theologischen Fakultät in Freiburg i.Ue., ab 1996 Professor am Angelicum in Rom. Seit 2011 ist er Bischof der Diözese Lausanne, Genf und Freiburg. (Bild: Laure-Christine Grandjean)

 

SKZ: Sie sind seit 2011 Bischof der Diözese Lausanne, Genf und Freiburg. Welches sind Ihre schönsten Erlebnisse?
Bischof Charles Morerod: Jedes Mal, wenn mir diese Frage gestellt wird, antworte ich: Gott und den Menschen begegnen. Ich könnte punktuelle Ereignisse hinzufügen. Beispielsweise hatten die Seelsorger des Kantons Genf im November 2018 eine Seelsorgesitzung, die mit einer Reflexion über sexuellen Missbrauch begann und die sich in einen Austausch über die Beziehungen innerhalb der Kirche ausweitete. Ich war beeindruckt von der grossen Offenheit und Tiefe dieses freien Austauschs.

Der Höhepunkt des vergangenen Jahres war sicher der Papstbesuch in Genf anlässlich der Feier des 70-jährigen Bestehens des Ökumenischen Rates der Kirchen. Erlebte Ihre Diözese durch diesen Besuch einen Aufschwung?
Ich höre oft, dass darüber als Grund zur Freude gesprochen wird. Die grosse Teilnahme begeisterte mich und auch den Papst. Die Auswirkungen sind schwer einzuschätzen. Etwas, was die Priester beeindruckte, war die Anzahl und Qualität der Beichten vor der Ankunft des Papstes: Der Papstbesuch war eine Gelegenheit, zu einem intensiveren christlichen Leben zurückzukehren.

Zwischen den französischsprachigen Gebieten Ihres Bistums und Deutschfreiburg gibt es grosse Unterschiede. Wie können Sie als Bischof Einheit stiften?
Die Unterschiede existieren, dürfen aber nicht überbewertet werden. Der Unterschied zeigt sich hauptsächlich bei der Einführung von Seelsorgeeinheiten in der Diözese. Es ist schwieriger, im deutschsprachigen Teil Änderungen einzuführen. Dies ist jedoch vor allem auf geografische Faktoren zurückzuführen: In Deutschfreiburg hat es viele grössere Dörfer, aber keine wichtigen Stadtzentren. Es ist richtig, dass das Vorschlagen von Änderungen schwieriger erscheint, wenn es als Auferlegung durch eine andere Kultur wahrgenommen wird. Alle Religionen zusammengenommen, machen die Ausländer etwa 34 Prozent der Bevölkerung der Diözese aus, der deutschsprachige Teil des Kantons Freiburg umfasst hingegen nur etwa 4,7 Prozent. Und in diesen 4,7 Prozent sind auch noch Ausländer eingerechnet. Der Ausländeranteil ist bei der Teilnahme an Liturgien wahrscheinlich noch grösser. Unsere nächste diözesane Weiterbildung wird sich deshalb der Frage nach der Rolle der Migranten in unserer Seelsorge widmen.

Was können wir Deutschschweizer von den Frankophonen lernen?
Wir können alle voneinander lernen, dies ist ein grosser Reichtum der Schweiz. In meiner Diözese gibt es die besondere Situation, dass die Deutschsprachigen eine Minderheit darstellen, die manchmal mit Angst reagiert, wenn ein Vorschlag von der Mehrheit kommt. Dies erklärt die oft grössere Angst vor Veränderungen.

Welche Herausforderungen muss die Diözese in nächster Zeit in Angriff nehmen?
Es gibt eine grundlegende Herausforderung: einer Gesellschaft, die glaubt, nichts mehr davon erwarten zu können, zu zeigen, dass sich das Christentum lohnt. In dieser Situation müssen wir Parallelgesellschaften vermeiden. Zum Beispiel ein Rückzug der Minderheitskirche innerhalb der Gesellschaft oder der Rückzug von sprachlichen oder anderen Gruppen innerhalb der Kirche.

Sie sind ein anerkannter Experte für Thomas von Aquin. Welche Anregungen könnte die Kirche von heute aus seinen Schriften gewinnen?
Zunächst die Überzeugung, dass Glaube und Vernunft sich nicht widersprechen, weil sie dieselbe göttliche Quelle haben. Dann die Gewohnheit, in der Diskussion die verschiedenen Aspekte von scheinbar gegensätzlichen Argumenten anzuerkennen: Scholastik ist eine Methode, die den Dialog beinhaltet.

Zum Schluss ein positiver Ausblick: Was sind Ihre Hoffnungen für die katholische Kirche?
Ich glaube nicht, dass die vorherigen Aspekte negativ waren. Wenn ich allein einen Plan für die Zukunft erstellen müsste, hätte ich keine Hoffnung. Aber es ist Gott, der die Kirche führt, und wir stellen uns ihm mit Vertrauen zur Verfügung.

Interview und Übersetzung:
Rosmarie Schärer

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