SKZ: Was war Ihre Motivation, sich mit der kirchlichen Sprache intensiv zu beschäftigen?
Philipp Gessler (PG)2: Jan Feddersen und ich haben auf vielen evangelischen Kirchentagen und Katholikentagen, die wir gemeinsam für die «taz, die tageszeitung» journalistisch begleitet haben, immer wieder über die dort zu hörende Sprache gesprochen, oft gelacht und den Kopf geschüttelt. Wir fanden, das müsste man doch mal aufschreiben, da wir glauben, dass diese Sprache nicht nur für die Kirche von Bedeutung ist, sondern auch ausserhalb des kirchlichen Raums einflussreich ist.
Jan Feddersen (JF)3: Philipp Gessler und ich waren uns indes einig, dass die sprachlichen Besonderheiten im kirchlichen Raum bei uns eine starke Faszination auslösen. Es ging nicht um die Verheiterung eines skurrilen Sounds. Wir nahmen diese wortgefüllten Klänge immer ernst. Wir glauben, hinter ihnen eine Ernsthaftigkeit zu erkennen, die im gewöhnlichen, immer fluiden Strassendeutsch gar nicht zur Geltung kommt. Kirche will offenbar über die Verkündigung etwas gutmachen – und dies verdiente unbedingt eine ebenso ernsthafte Auseinandersetzung.
Welches war Ihre interessanteste Entdeckung?
JF: Historisch war die schleichende Eroberung der Kirchensprache durch die neue Zeit, eben in der Bundesrepublik seit Ende der Sechzigerjahre, auch ein Abschied von der Härte, ja der Kälte der klassischen Sprache. Es musste subjektiv, menschlich, ich-erklärend sein. Und das war ein notwendiger Schritt, um die Patriarchalität des Christlichen auszulüften zu beginnen.
PG: Interessant fand ich, wie sehr die Kirchensprache von den Zeitläufen und wichtigen Gruppen in der Kirche geprägt wird, etwa durch den Zuwachs an sozialpädagogisch ausgebildetem Personal im Zuge der verstärkten Zuwendung zu karitativen Aufgaben in den Sechziger- und Siebzigerjahren. Oder die Mode des Politslangs in den Siebziger- und Achtzigerjahren und der Trend zur Management-Sprache in den Neunziger- und Nullerjahren. Aber klar, die Kirchensprache ist auch Kind ihrer Zeit.
Woran zeigt sich eine blutleere Sprache?
PG: Es sind so Formulierungen wie «Das kann ich gut hören» oder «Ich lege mal meins daneben» – es ist oft eine indirekte Sprache, die sich nicht selten um klare Aussagen drückt.
JF: Das stimmt sehr – der Mangel an Klarheit, auch an Entschiedenheit. Andererseits wollten wir auch die Feinheiten und, ja, auch die Schönheit mancher Wendungen hervorheben: Das wissen die nichtkirchlichen Milieus ja gar nicht, was ihnen da entgeht. Obendrein wird in dieser Blutleere auch etwas kenntlich, was keineswegs zu unterschätzen ist: eine Suche nach Neuem, die noch längst nicht fertig ist, vielleicht nie beendet sein kann.
Welches sind denn die zentralen Merkmale der kirchlichen Sprache heute?
JF: Für mich, der sich viel stärker als Kollege und Freund Gessler sich einhören musste, steht vor allem eine Tonalität im Vordergrund: eine gewisse Säuseligkeit, eine gewisse Defensivität des Sprechens – nicht selten umkränzt von angedeuteten Gesten unrobuster Körperlichkeit, etwa das leichte Antippen des Armes des gesprächlichen Gegenübers. Auch hier ist das Neue der kirchlichen Sprache mit ihren Eierschalen spürbar: Man will nicht körperfern sein, weiss indes nicht, wie das sich ausdrücken kann. Deshalb, zumal bei Nichtkatholiken, der Fokus auf das Sprachliche.
PG: Es ist eine starke Binnensprache geworden, die ausserhalb der Kirche zum Teil nur noch schwer verstanden wird. Sie betont dauernd ihre Authentizität, Sanftheit und Achtsamkeit – aber oft verbergen sich dahinter Uneindeutigkeit, Feigheit und auch vernebelte Machtgefälle.
Welches sind Ihre Hauptkritikpunkte an der gegenwärtigen kirchlichen Sprache?
JF: Dass sie sich keinem echten Radar der alltäglichen Sprachlichkeit aussetzt: Kirchliches Sprechen tendiert mehr und mehr zum Hermetischen. Wer sie verstehen kann, ist schon auf Kirchenseite, wer sie nicht begreift, bleibt aussen – unjesuanischer ist dies kaum beschreibbar.
PG: Sie müsste wieder näher an der Alltagssprache der Menschen sein, sie in gewisser Weise ernster nehmen. Das hat Martin Luther schon sehr gut gesagt: Dem Volk aufs Maul schauen. Das hat nichts mit Plattheit zu tun – oder damit, den Menschen nach dem Mund zu reden.
Worin sehen Sie dennoch die Kraft der heutigen kirchlichen Sprache?
PG: Es könnte sein, dass die sehr sanfte kirchliche Sprache in Zeiten von Social Media und der dort oft gepflegten brutalen Sprache auch wieder attraktiver werden könnte – das müsste man beobachten.
JF: Das muss sich erst weisen. Im karitativen Bereich käme es jetzt, bei aller sprachlichen Versänftigung, da-
rauf an, das betreute Klientel zur Selbstermächtigung zu stupsen: Opfertum nicht in jeder Hinsicht Zucker zu geben. Hilfe zur Selbsthilfe hiess das einmal – davon wieder mehr, gern und nötigenfalls auch in kirchlicher Sprache.
Im Buch behandeln Sie die unterschiedlichen Sprechweisen in der katholischen und evangelischen Kirche. Wo liegen die Unterschiede?
JF: «From A Distance», um es mit einem bekannten Lied zu sagen, klingen beide Varianten wie Dialekte einer einzigen Sprache. Im katholischen Kontext lappt an allen Rändern des modernen Sprech noch ein Sinnliches hervor; im protestantischen Milieu wird das Rüde vom Eigentlichen kaum noch gespürt – was idiomatisch und beherzt klingt, stösst auf Verstörung. Schade ist das.
PG: Die Unterschiede sind nicht besonders gross nach unserer Beobachtung. Die Diskrepanz zwischen der oft juristisch-harten Sprache des Vatikans und dem Anspruch einer seelsorgerlich bewussten Sprache im Alltag der katholischen Kirche in Deutschland ist aber gerade bei den grossen Streitpunkten wie beispielsweise Frauenordination, Zölibat oder eucharistische Gastfreundschaft besonders auffällig. Diese beiden Sprachformen fallen bei den protestantischen Kirchen nicht so auseinander.
Sie sprechen die Sprache des Vatikans an. Wenn der Vatikan lehramtliche Dokumente veröffentlicht, regt sich bei den Menschen in unseren Breitengraden oft heftiger Widerstand. Wo sehen Sie auf sprachlicher Ebene die Ursache für dieses Phänomen?
PG: Das liegt daran, dass der Vatikan oft eben theologisch-kirchenjuristisch formuliert, um dem kirchlichen Lehrgebäude gerecht werden zu können, während die Menschen hierzulande vor allem eine zugewandte Sprache erwarten – und das ist ja angesichts der Botschaft Jesu nicht verkehrt.
JF: Volle Zustimmung. Und ich ergänze – wieder aus der Distanz –, dass der Papst sagen kann, was er will, er geniesst Autorität durch seine Person. Das darf für wahr gehalten werden. Die politischen Positionen, die der polnische Papst äusserte, waren, gemessen an der mitteleuropäischen Wahrnehmung vom Politischen, eher strikt rechtskonservative Positionen, die von den Katholiken jener Ära gewiss nicht von sehr vielen geteilt wurden. Aber: Wo Papst draufsteht, ist auch immer erstmal Vertrauensvorschuss, und klingt alles noch sehr lateinisch und basisfern.
Wie müsste kirchliches Sprechen tönen, damit die Inhalte bei den Menschen gut ankommen?
JF: Reden, was die Zunge hergibt, gern auch mal undiplomatisch, nicht alle mitnehmend. In Gefahr und Not liegt am Ende des Mittelwegs der Tod. Einen, den sich niemand wünschen sollte.
PG: Es müsste eine ehrlichere, schlankere Sprache sein, die auch eigene Unsicherheiten der kirchlichen Seite nicht verleugnet. Der theologisch-kirchengeschichtliche Hintergrund dürfte schon aufscheinen, aber müsste in eine Alltagssprache übersetzt werden. Das ist, zugegeben, nicht einfach, aber nötig.
Wo sehen Sie Ansatzpunkte für einen Wandel im Sprachstil?
PG: Der Leipziger Theologe und Dichter Christian Lehnert hat etwas gesagt, was mich stark beeindruckt hat. Er glaubt, dass die kirchliche Sprache von der Poesie einiges lernen könne, denn auch sie sucht nach Worten, versucht, eigentlich Unsagbares in Worte zu fassen, und akzeptiert das Suchen nach Worten als etwas Notwendiges. Eine solche Kirchensprache würde ich gern viel häufiger hören.
JF: Im poetischen Sprechen, in der Kraft der eigenen Bilder, so eine oder einer über diese verfügen kann. Wissen, was die Welt und die Kraft des Lebens sind. Motto: Lern deine Theologie – und vergiss ihre Formeln, begibst Du dich auf die Wege der gemeindlichen Arbeit.
Interview: Maria Hässig