Kirchliche Segnung gleichgeschlechtlicher Paare?

Über diese Frage wie auch über «Ehe für alle» wird in den verschiedenen Konfessionen eingehend debattiert. Manche Entwicklungen und Entscheidungen haben weitreichende und schmerzhafte Konsequenzen. Ein Panorama.

 

Evangelisch-methodistische Kirche: Eine Trennung scheint unausweichlich

Die Anfänge des eskalierenden Konflikts um gleichgeschlechtliche Sexualität in der weltweiten evangelisch-methodistischen Kirche (EMK) gehen länger zurück als in den meisten anderen Kirchen. 1972 gab sich die EMK weltweit «Soziale Grundsätze». Sie sind Teil der Kirchenordnung, sind aber nicht einklagbares Kirchenrecht. In der Schlussdebatte im Plenum wurde als Ergänzung beantragt, dass im Abschnitt über menschliche Sexualität eingefügt werden soll: «homosexuelle Praxis ist mit christlicher Lehre unvereinbar».

In der alle vier Jahre stattfindenden, weltweiten Generalkonferenz kam es seither regelmässig zu Debatten über dieses Thema. Die Thematik selbst wurde in Teile des einklagbaren Kirchenrechts getragen. 1984 wurde ein Verbot der Ordination von Menschen, die gleichgeschlechtliche Sexualität leben, in die Kirchenordnung aufgenommen. Als das Verbot erlassen wurde, gab es in den USA bereits in gleichgeschlechtlicher Partnerschaft lebende, methodistische Pfarrerinnen bzw. Pfarrer. Bald darauf wurde das Verbot aufgenommen, gleichgeschlechtliche Partnerschaften zu segnen. Über die letzten fünfzig Jahre ist die Thematik in der weltweiten Generalkonferenz immer heftiger debattiert worden und die Mehrheitsverhältnisse haben sich immer mehr einem Gleichgewicht beider Flügel angenähert. In der EMK in den USA ist die offizielle kirchliche Position schon länger nicht mehr mehrheitsfähig, aber das starke Kirchenwachstum in anderen Weltteilen gibt der traditionellen Überzeugung eine knappe Mehrheit. Die Generalkonferenz 2016 stand kurz vor einer Spaltung, als Delegierte den Bischofsrat beauftragten, einen Weg aus der Krise aufzuzeigen. Im Februar 2019 fand eine ausserordentliche Generalkonferenz statt, die über drei Varianten für den weiteren Weg der Kirche entscheiden sollte. Der Bischofsrat unterstützte grossmehrheitlich einen Plan, unter Wahrung der Gewissensentscheidung des Einzelnen eine gemeinsame Kirche zu bleiben. Mit knapper Mehrheit siegte aber ein «traditioneller Plan», der die Sanktionen bei Zuwiderhandlung verschärfte und dazu führt, dass jene Kirchenteile, die den Plan nicht widerspruchslos unterzeichnen, aus der Kirche ausgeschlossen werden. Aufgrund der dramatischen Eskalation des Konflikts haben Bischöfe von ausserhalb der USA einen Mediationsprozess angestossen, an dem alle wichtigen Interessengruppen beteiligt waren. Sie einigten sich auf einen detaillierten Plan einer gütlichen Trennung. Die Generalkonferenz im Mai 2020 sollte darüber abstimmen, ist aber aufgrund der Corona-Pandemie auf 2021 verschoben worden.

Strittig ist nicht nur die Beurteilung gelebter, gleichgeschlechtlicher Sexualität im Licht der biblischen Botschaft, sondern noch stärker die Ausweitung des Ehebegriffs auf gleichgeschlechtliche Partnerschaften. Wie in jedem eskalierenden Konflikt ziehen die Exponenten auf den äusseren Flügeln in je ihre Richtung und das Band der Gemeinschaft droht in der Mitte zu reissen. Eine Trennung scheint nun in der weltweiten EMK unausweichlich.

Patrick Streiff1

 

Evangelisch-reformierte Kirche: Einheit ohne Einheitlichkeit

Die Frage nach einer kirchlichen Segnung für gleichgeschlechtliche Paare wurde in den evangelisch-reformierten Kirchen der Schweiz ausführlich diskutiert und führte um die Jahrhundertwende verbreitet zur Einführung der Möglichkeit von Segnungsfeiern für gleichgeschlechtliche Paare. Mit der Diskussion um die sogenannte Ehe für alle ergab sich die Frage, ob ein allfälliger neuer säkularer Ehebegriff für die kirchliche Trauung als Voraussetzung akzeptiert werden solle. Da es im Protestantismus kein Lehramt gibt, gehört es zu seinem Wesen, dass um das Verständnis und die Auslegung biblischer Texte sowie um aktuelle Fragestellungen gerungen werden muss. Der Entscheid über rechtliche Grundlagen in dieser Frage liegt bei den Kantonalkirchen und nicht auf nationaler Ebene. In der ernsthaft und intensiv geführten Diskussion waren verschiedene Argumentationsstränge auszumachen (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):
Die Ehe ist aus evangelischer Sicht – im Gegensatz zu Taufe und Abendmahl – kein Sakrament und somit kann sie als ein «weltlich Ding» gelten. Daraus ergibt sich die Feststellung, dass die Frage nach der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare keinen Bekenntnischarakter haben kann. Auch wurde auf die ökumenischen Beziehungen verwiesen, welche durch ein Ja zur Fragestellung belastet werden könnten. Fragen zum Eheverständnis wurden sehr kontrovers diskutiert und das Kirchenverständnis sowie theologische Fragestellungen rund um Segenshandlungen erörtert. Es wurde an die Tradition angeknüpft oder auf die Erneuerungsnotwendigkeit der Kirche (ecclesia semper reformanda) hingewiesen. Verschiedene sexualethische Positionen und Untersuchungen sowie Erfahrungen mit Segnungen von gleichgeschlechtlichen Paaren wurden hinzugezogen. Nicht zuletzt wurde das biblische Zeugnis in unterschiedlicher Art ausgelegt und differierende Erkenntnisse gewonnen. Dies bildete sich in mehreren Unterschriftensammlungen zu Texten mit unterschiedlicher Stossrichtung ab.

Im November 2019 entschied die Abgeordnetenversammlung des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes – als oberstes Organ der evangelisch-reformierten Kirche – schliesslich, dass sie die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare auf zivilrechtlicher Ebene befürwortet und den Mitgliedkirchen empfiehlt, den allfälligen neuen zivilrechtlichen Ehebegriff für die kirchliche Trauung vorauszusetzen und gleichzeitig die Gewissensfreiheit für Pfarrerinnen und Pfarrer zu wahren. Die Umsetzung dieser Empfehlungen wird in den Kantonalkirchen unterschiedlich vorgenommen werden und zu weiteren Diskursen führen.

In der evangelisch-reformierten Kirche müssen verschiedene theologische und ethische Positionen Raum finden, wenn sie sich als Gemeinschaft der (Wahrheit-)Suchenden verstehen will. Dabei ist die Betonung der eigenen Verantwortung für die persönliche Lebensführung eine grundlegende Voraussetzung. Mit dieser Empfehlung durch die Abgeordnetenversammlung sind längst nicht alle Fragestellungen geklärt und es sind weiterhin ringende und ernsthafte Diskussionen notwendig. So bleibt Einheit auch ohne Einheitlichkeit möglich.

Barbara Damaschke-Bösch2

 

Christkatholische Kirche: Gleichwertig, aber anders

Seit ihrer Nationalsynode 2006 in Aarau kennt die christkatholische Kirche der Schweiz neben dem Sakrament der Ehe, das heterosexuellen Paaren vorbehalten ist, die Partnerschaftssegnung für gleichgeschlechtliche Paare. Es wurde kein formaler Beschluss gefasst, sondern eine Erprobungsphase unter der Verantwortung des Bischofs eingeleitet. Dieses Vorgehen wurde – mit meinen Worten sehr verkürzt zusammengefasst – so begründet: Die in der Familie – als Hauskirche im Kleinen – eingebettete Ehe mit der Möglichkeit zur Weitergabe des Lebens ist die von Gott in der Bibel und in der kirchlichen Tradition schöpfungstheologisch gegebene Form des Zusammenlebens. Etwa 80 Prozent der Menschen leben so. Wenn aber etwa 20 Prozent der Menschen in anderen Beziehungsformen leben, die sexuelle Orientierung genetisch bedingt ist und jedes Geschöpf Gottes ein Anrecht auf ein ganzheitliches Leben hat, ist Homosexualität eine gleichwertige Lebensform. Gleichwertig, aber anders. Was dies für die Sakramentspraxis der Kirche und ihre Familientheologie und -pastoral bedeutet, ist eine offene Frage, die einer sorgfältigen Prüfung und Wahrheitsfindung bedarf.

Auf den Nationalsynoden von 2016 in Basel und 2019 in Lancy ging es darum, wie sich die christkatholische Kirche der Schweiz zur staatlich ins Auge gefassten Ehe für alle stellt und was diese für ihre bisherige Unterscheidung zwischen dem Sakrament der Ehe und der Partnerschaftssegnung bedeutet. Die Nationalsynode 2019 in Lancy beschloss, dass sie die zivilrechtliche Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare bzw. die Ehe für alle befürwortet. Zugleich beauftragte sie Bischof und Synodalrat, das Thema nun fokussierter innerkirchlich und ökumenisch zu vertiefen. Vor allem auch, weil der Verband der christkatholischen Jugend die bisherigen zwei Riten durch einen Ritus ersetzen möchte und es auch innerhalb der altkatholischen Konfessionsfamilie der Utrechter Union zu einem Thema wurde. An der nun kommenden Sondersynode vom 22. August 2020 in Zürich wird mit vier Modellen gearbeitet, die ihre jeweilige Position biblisch, dogmatisch, liturgisch und pastoral begründen. In einer Abstimmung wird festgehalten, welches der vier Modelle man bevorzugt und welches auf keinen Fall in Frage kommt. Das Ergebnis soll einen Trend für die Weiterarbeit setzen, aber noch keine Beschlüsse vorwegnehmen. Das erste Modell geht von der Beibehaltung des Status quo aus. Das zweite Modell geht von einem Ritus für alle aus. Das dritte Modell möchte neben dem Sakrament der Ehe ein weiteres Sakrament für andere Lebensformen. Das vierte Modell sieht mehrere Riten vor, die sich nicht aufgrund des Geschlechts unterscheiden, sondern nur nach Lebenssituationen. Die Paare können dann selbst aussuchen, welcher Ritus für sie stimmt. Als Bischof und Hüter der Einheit und der Liturgie habe ich natürlich eine Meinung. Aber es ist mit dem Präsidium unserer Nationalsynode und dem Synodalrat der christkatholischen Kirche abgesprochen, dass ich diese nicht vor der Sondersynode 2020 öffentlich vertrete.

Harald Rein3

 

Römisch-katholische Kirche: Ein Denkanstoss

Eine Segnung von gleichgeschlechtlichen Paaren ist in der römisch-katholischen Kirche nicht erlaubt. Die Begründung ist moraltheologisch: Homosexuelle Handlungen sind «in sich nicht in Ordnung» und Menschen mit homosexueller Tendenz «zur Keuschheit gerufen»4. Mit dem Segen der Beziehung würde gleichsam eine kirchenamtliche Anerkennung der erwähnten Handlungen einhergehen und der Entsprechung von Lehre und Feier, lex orandi und lex credendi, zuwiderlaufen. Das Recht auf ein Sakrament und analog auf einen Segen findet seine Grenze da, wo jene, welche einen Rechtsanspruch erheben, diesem Anspruch gar nicht gerecht werden können. Die sexuelle Ausrichtung wird damit zum entscheidenden Rückweisungskriterium, wobei der besagte Mensch hinsichtlich des Segensanspruchs darauf reduziert wird. Im Hintergrund haben wir es hier mit einem sexualanthropologisch reduktionistischen Menschenbild zu tun.

Für einen kirchlichen Amtsträger ist es in dieser Gemengelage am einfachsten, eine solche Segnung kategorisch oder bedauernd abzulehnen. Es gibt nur Ja oder Nein, Schwarz oder Weiss. Wenn allerdings farbige Zwischentöne fehlen, führt das in Sackgassen, insbesondere da, wo es um Menschen geht, deren Lebenssituation so nicht eingeholt werden kann. Denn auch hier gilt: «Die Wirklichkeit steht über der Idee»5. Wirklichkeit und Idee stehen in einer Spannung, die weder ignoriert werden darf noch einfach aufgelöst werden kann. Das Leben homosexueller Menschen steht im Widerspruch zu lehramtlichen Vorstellungen. Wer aber mit den Angesprochenen ins Gespräch kommt, wer erfährt, wie vielfältig sie ihr partnerschaftliches Leben gestalten, findet Werte, die ebenfalls gewichtet werden sollten, z. B. Zuneigung, Fürsorge, Wohlwollen, gegenseitige Anerkennung, Hingabe. So wird ein vorab naturrechtliches Begründungsmuster hinterfragt, wenigstens aber ergänzt. Hier hilft auch der ständige Austausch mit den Humanwissenschaften.

Weiterführend sind verantwortungsethische Denkkategorien. Dürfen die Verbindlichkeit einer eingetragenen Partnerschaft, die empfundene Liebe und die gegenseitige Hingabe sowie Fürsorge auch in die Waagschale gelegt werden? Erfüllt eine für Gottes Wirken offene Lebensgemeinschaft im Glaubensvollzug dieser Menschen nicht einen Anruf, auf den Kirche mit einer Segnung antworten kann? Heisst «Segnen» nicht «Gutes zusprechen», denen, die vor Gefahren Schutz oder in ihrem Suchen Ermutigung brauchen? So gefragt betrifft die Segnung auch Paare, welche im Konkubinat, oder Geschiedene, die in einer neuen Partnerschaft leben. Die Segenshandlung sieht in dieser Perspektive die Personen und die Partnerschaft umfassender und antwortet auf den Wunsch von Menschen, welche Gottes Beistand für ihr gemeinsames Leben erbitten.

Für Wesen und Spendung des Ehesakramentes ist die Alterität von Mann und Frau das entscheidende Kriterium. Für verschiedene Arten von Segnungen, wie wir sie aus unserer Glaubenstradition kennen, ist das jedoch nicht ausschlaggebend. «Fast alles» kann gesegnet werden, damit es dem Menschen zum Guten gereicht. Ein Blick in das Benediktionale zeigt dies deutlich. Die Gnade im Segen ist Gottes Geschenk für den Menschen; die Kirche vermittelt, spricht zu. Ihr Auftrag ist es, sich nach dem Vorbild Jesu Christi Menschen zuzuwenden und Gottes Gnade und Heil spürbar werden zu lassen. Deshalb kann und darf sie nicht die Augen davor verschliessen, dass die Lebensmodelle der Menschen schon immer sehr heterogen waren und sind. Sie bewegt sich nicht im Bereich der Sicherheit, sondern der Ermöglichung. Sie fördert, auf die konkreten Umstände abgestimmt, «das mögliche Gute»6. Ein Segnungsakt, verstanden als Zuspruch an zwei Christenmenschen, die füreinander da sein wollen: Berührt da nicht Gottes Zärtlichkeit die Herzen der Menschen?

+Bischof Felix Gmür7

1 Dr. Patrick Streiff (Jg. 1955) ist seit 2006 Bischof der evang.-method. Kirche Mittel- und Südeuropa. (Bild: EMK, S. Friedrich)

2 Pfrn. Barbara Damaschke-Bösch ist seit 2019 Vizepräsidentin der Synode der Ev.-ref. Kirche Schweiz.

3 PD Dr. Harald Rein (Jg. 1957) ist seit 2009 Bischof der christkatholischen Kirche der Schweiz.

4 Katechismus der Katholischen Kirche, 2357.2359.

5 Evangelii Gaudium, 231.

6 Evangelii Gaudium, 45.

7 Dr. theol., Dr. phil. Felix Gmür ist seit 2011 Bischof von Basel und seit 2019 Präsident der Schweizer Bischofskonferenz.

 

 

 

 

BONUS

Folgende Bonusbeiträge stehen zur Verfügung:

Dokumente