Kirche, Migration und Pluralität

Aus katholischer Sicht ist Migration ein «Zeichen der Zeit». Was bedeutet das für die Gestaltung von Kirche und Gesellschaft? Ein neuer Weiterbildungsstudiengang möchte Perspektiven eröffnen.

Das Fremde blitzt ausgerechnet in einer Vokabel auf, die viele Christinnen und Christen ganz selbstverständlich mit Heimat verbinden: Von ihrem Ursprung her wird «Pfarrei» (griech. paroikía) als Ort unter Fremden und für Fremde gedacht. Es sind Erfahrungen und Reflexionen der Fremdheit, auf denen unser Glaube fusst.

Vergesst die Liebe zu den Fremden nicht

Die Geschichte des Volkes Israel lässt sich als Migrationsgeschichte mit Licht- und Schattenseiten lesen. Das biblische Gebot, den Fremden zu schützen und zu achten, ist keine abstrakte Idee, sondern steht in einem lebensweltlichen Zusammenhang mit durchlittenem Unrecht. Dieses bereits im Alten Testament starke Motiv findet im Neuen Testament eine Zuspitzung: Nun ist es Gott selbst, der in der Person Jesu Christi die Erfahrung der Fremdheit teilt. Auf den Punkt gebracht wird die Identifizierung Christi mit den Fremden in der Gerichtsrede (vgl. Mt 25,35). Das Eintreten für die Anliegen von Migrantinnen und Migranten ist von daher nicht bloss frommes Beiwerk, sondern ein entscheidendes Merkmal des christlichen Glaubens.
Klar ist: Die biblischen Texte wissen, dass es im Zusammenleben von Menschen verschiedener Prägungen auch zu Spannungen kommt. Doch eben weil dies so ist, bedarf es einer tragfähigen ethischen Orientierung. Über allen Aushandlungen steht das Wort: «Vergesst die Liebe zu den Fremden (griech. philoxenía) nicht» (vgl. Hebr 13,2). Nicht nur etymologisch stellt die christliche Philoxenie das Gegenprogramm zu jeder Form von Xenophobie dar.

Wert von Pluralität plausibilisieren

Dass ein bedeutender Teil der Menschheit – teils freiwillig, teils unter Zwang – ein migrantisches Leben führt, ist für die Kirche nicht einfach ein Phänomen unter vielen. Vielmehr sieht sie darin ein «Zeichen der Zeit»1. Daraus ergibt sich für Christinnen und Christen der Auftrag, das Gemeinwesen unter den Bedingungen von Migration und Pluralität gerecht zu gestalten.

Wenn es stimmt, dass die universale Kirche ein «Volk aus Völkern» ist, dann gilt es, Kirche als Raum der Vielfalt erfahrbar werden zu lassen. Auf ganz selbstverständliche Weise sollte sich im kirchlichen Alltag widerspiegeln, dass unsere Kirche eine Migrantenkirche ist. Die Frage nach einem neuen Miteinander von Katholikinnen und Katholiken unterschiedlicher Kulturen, Sprachen und Riten scheint in den gegenwärtigen Reformdebatten bislang nur eine untergeordnete Rolle zu spielen. Dabei hängt sie eng mit der allgemeineren (und intensiver diskutierten) Frage nach der Pluralitätsfähigkeit von Kirche zusammen.

Christinnen und Christen stehen – ebenso wie Anders- oder Nichtgläubige – stets aufs Neue vor der Herausforderung, auf der Grundlage eigener, identitätsstiftender Überzeugungen den Wert eines pluralen Gemeinwesens zu plausibilisieren. Dazu braucht es Grundhaltungen und Strukturen, die es Menschen verschiedener Herkunft ermöglichen, jenseits von Dynamiken der Ausgrenzung oder Uniformität Beheimatung zu finden. Dies ist in Zeiten der Polarisierung notwendiger denn je.

Pastoral im Kontext von Migration

Wer Kirche und Gesellschaft mitgestaltet und sich dabei den genannten Herausforderungen stellen will, bedarf entsprechender Kompetenzen. Aufgrund einer Initiative des Pastoraltheologen Salvatore Loiero (Freiburg i. Ue.) wurde im Verlauf des letzten Jahres der online-basierte Weiterbildungsstudiengang «Pastoral in den Kontexten menschlicher Mobilität und Migration» entwickelt. Mithilfe praxisnaher Inhalte und Methoden soll dieses CAS («Certificate of Advanced Studies») dazu befähigen, mit den Ressourcen und Risiken des «Anders-Seins» umzugehen. Der Studiengang, für den Dozierende aus der Theologie sowie den Sozial- und Rechtswissenschaften gewonnen werden konnten, wird vermutlich in erster Linie Personen aus dem Raum der Kirche ansprechen – insbesondere dann, wenn sie haupt- oder ehrenamtlich auf dem weiten Feld der Seelsorge tätig sind. Darüber hinaus kann er aber auch für all jene von Interesse sein, die sich vertieft und interdisziplinär mit der Frage befassen wollen, wie Kirche und Gesellschaft unter den Vorzeichen von Migration und Pluralität weitergedacht werden können.

Alexander Kalbarczyk

 

1 Vgl. Instruktion Erga migrantes caritas Christi (2004).

Infos zum Studiengang: www.unifr.ch/pastoral/de/ weiterbildung/cas

Dr. phil. Alexander Kalbarczyk (Jg. 1984) studierte Politikwissenschaft, Orientalistik und Philo- sophie in Berlin, Kairo und Rom und arbeitete als wissenschaftlicher Mitarbeiter eines interdisziplinären deutsch-britischen Forschungsprojekts zu arabischer Sprachphilosophie (Bochum/Cambridge). Seit 2015 ist er Geschäftsführer der Migrationskommission der Deutschen Bischofskonferenz.

Infos zum Studiengang:
www.unifr.ch/pastoral/de/ weiterbildung/cas


Literaturhinweise

  • Loiero, Salvatore (Hg.), Menschliche Mobilität, Migration – und die Kirche? Internationale Einblicke, Basel 2018.
  • Polak, Regina, Migration, Flucht und Religion. Praktisch-Theologische Beiträge, Ostfildern 2017.
  • Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.), Dem Populismus widerstehen. Arbeitshilfe zum kirchlichen Umgang mit rechtspopulistischen Tendenzen, Bonn 2019.

 


Alexander Kalbarczyk

Dr. phil. Alexander Kalbarczyk (Jg. 1984) studierte Politikwissenschaft, Orientalistik und Philosophie in Berlin, Kairo und Rom und arbeitete als wissenschaftlicher Mitarbeiter eines interdisziplinären deutsch-britischen Forschungsprojekts zu arabischer Sprachphilosophie (Bochum/Cambridge). Seit 2015 ist er Geschäftsführer der Migrationskommission der Deutschen Bischofskonferenz.

 

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