Kirche am Scheideweg

SKZ

Im Februar 2016 ist Thomas Frings, Pfarrer einer Stadtgemeinde von Münster in Westfalen, mit einer Stellungnahme an die Öffentlichkeit getreten, in der er seinen Rücktritt als Pfarrer erklärt. In seiner «Kurskorrektur?!»1 zieht Frings ein Fazit über dreissig Dienstjahre und bricht damit – vor allem in Deutschland – eine grosse innerkirchliche Debatte vom Zaun.

Was Thomas Frings zu dem Schritt bewegt hat, sein Amt als Pfarrer niederzulegen, ist weder eine persönliche Glaubenskrise noch irgendein Konflikt mit der kirchlichen Lehre – und erst recht sind es nicht die Menschen, für die und mit denen Frings in all den Jahren unterwegs war. Die Ursache hierfür ist vielmehr auf struktureller Ebene zu suchen: Aus eigener Erfahrung kennt Frings keine andere als eine «schrumpfende» Kirche und – in der Mischung liegt die Spannung – den weitverbreiteten, mehr oder weniger heimlich gehegten Wunsch, dass alles wieder sei wie vor 30 Jahren. Frings erlebt die Volkskirche als eine Kirche, in der das Volk in stetem Schwinden begriffen ist und für die dennoch zukunftsfähige Alternativen fehlen. Mühe bereiten Frings nicht die grossen Unterschiede zwischen kirchenfernen und in der kirchlichen Tradition fest verwurzelten Menschen, welchen der Pfarrer auf ganz unterschiedliche Weise gerecht zu werden sucht.

Serviceorientierte Kirche

Mühe bereiten ihm einerseits die Tatsache, dass die Kirche zunehmend serviceorientiert auftreten soll und zugleich für immer mehr Menschen immer weniger ansprechend ist, sowie andererseits die Einschätzung, dass die Art und Weise, wie kirchlich auf die gesellschaftliche Umbruchsituation reagiert wird, kaum wegweisend ist. Frings betont zwar immer wieder, dass er mit hoher Zufriedenheit zurückblickt auf seine Zeit als Pfarrer und dass er nach wie vor gerne Priester ist. Doch er gesteht auch ein, dass ihm für die Kirche und die Gemeinden «die Perspektive abhandengekommen» sei «angesichts der Entwicklung und der Aussichten» (21). Ihm fehlen «Visionen und der Mut, neue Wege zu suchen» (21, Anm. 11). Weil für Frings klar ist, dass die Forderung nach einer Veränderung nicht an den anderen, sondern nur an sich selbst gestellt werden kann, hat er für sich persönlich die Konsequenz gezogen und sich mit der Erlaubnis seines Bischofs vorerst für eine Auszeit in ein Kloster zurückgezogen.

Erfahrungen eines Pfarrers

Ein Jahr nach diesem grossen und vielberedten Schritt gibt der abgetretene Pfarrer im Buch «Aus, Amen – Ende?» nun tiefere Einblicke in die Erfahrungen seiner Zeit als Pfarrer und in die Überlegungen, welche in ihm zur Überzeugung gereift sind, dass die Kirche und somit zunächst sein eigenes Leben eine Kurskorrektur nötig haben. Vieles von dem, was Frings in seinem Buch schildert, dürfte sich mit den Erfahrungen in Pfarreien und Pastoralräumen hierzulande decken: grosse Kirchen mit vielen leeren Bänken (auch) am Sonntag, Erstkommunion als vermeintliche «Letztkommunion» (82) oder schlicht die Einsicht, dass viele Menschen, die dort abgeholt werden sollen, wo sie sind, «gar nicht dahin wollen, wo wir sie hinführen möchten» (17). Man muss Frings nicht in allen Deutungen zustimmen, doch eins gilt es anzuerkennen: Hier spricht einer aus, was viele beschäftigt und was wohl für mehr Menschen offensichtlich ist.

Selig die gemeinsam Suchenden

Die Kirche steht an einem Scheideweg. Sie kann sich an ihrer Vergangenheit orientieren und in einen Zustand flüchten, der nicht mehr viel mit der Realität zu tun hat. Oder aber sie kann mutig einen Schritt nach vorne wagen und in neuen Formen die bleibende Aktualität ihrer Botschaft unter Beweis stellen. Am Ende seines Buches formuliert Frings eine Reihe von Seligpreisungen. Die erste lautet: «Selig sind die Suchenden, denn sie werden es nicht alleine tun» (176). Dieser Zuspruch kann als Einladung gelesen werden, sich gemeinsam auf die Suche nach einer Kirche der Zukunft zu machen, wie sie Frings mit seiner Kurskorrektur anregt und für die er in seinem Buch eine Perspektive eröffnet: Kirche als «Entscheidungsgemeinde» (145) mit der Möglichkeit einer gestuften Zugehörigkeit. Der Autor bietet in «Aus, Amen – Ende?» also nicht bloss eine nüchterne (und ernüchternde) Gegenwartsdiagnose, sondern skizziert – auch konkrete – Ideen für eine gegenwartsorientierte und zukunftsfähige Pastoral, so dass bei der Lektüre durchaus die Reaktion hervorgerufen wird: «Das wäre einen Versuch wert!» (166f).

 

1 Online abrufbar unter: http://www.feinschwarz.net/kurskorrektur/ (zuletzt aufgerufen am 31.5.2017). Zitate aus Thomas Frings, Aus, Amen – Ende? So kann ich nicht mehr Pfarrer sein, Freiburg i. Br. 2017.

Isabelle Senn

Dr. theol. Isabelle Senn ist als Pastoralassistentin bis Ende September 2017 in Emmen tätig.