Kein Interesse an christlichen Werten

Der Massstab der «Gottebenbildlichkeit» verpflichtet: Wer sich als Christ versteht, muss «konservativ» von «rechts» unterscheiden. Es gilt, die grundlegenden Motive rechtsextremer Parteien und Medien aufzudecken.

Rechtsextremen Einstellungsmustern liegt die Vorstellung einer Ungleichwertigkeit unterschiedlicher Menschen zugrunde: Eine «Ideologie der Ungleichwertigkeit» ist Kern und Kristallisationspunkt rechter Einstellungen.1 Damit widerspricht jedwede rechte Ideologie diametral einer unaufgebbaren Grundüberzeugung des christlichen Glaubens, nämlich der der Gottebenbildlichkeit ausnahmslos aller Menschen. Die Konzilserklärung «Nostra aetate» formuliert: «Wir können aber Gott, den Vater aller, nicht anrufen, wenn wir irgendwelchen Menschen, die ja nach dem Ebenbild Gottes geschaffen sind, die brüderliche Haltung verweigern. […] So wird also jeder Theorie oder Praxis das Fundament entzogen, die zwischen Mensch und Mensch, zwischen Volk und Volk bezüglich der Menschenwürde und der daraus fliessenden Rechte einen Unterschied macht. Deshalb verwirft die Kirche jede Diskriminierung eines Menschen oder jeden Gewaltakt gegen ihn um seiner Rasse oder Farbe, seines Standes oder seiner Religion willen, weil dies dem Geist Christi widerspricht.» (NA 5)

Das Zweite Vatikanische Konzil wendet sich ausdrücklich gegen das, was rechte Ideologien ausmacht: das Denken in Ungleichwertigkeiten, Dis- kriminierung durch Einzeltaten und Strukturen sowie schliesslich Gewaltakte. Dies ist kein Zufall, denn die «Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen» ging hervor aus dem Erschrecken über die Shoah und der Auseinandersetzung der katholischen Kirche mit ihrer Schuld am religiösen Antijudaismus, aus dem der rassistische Antisemitismus hervorging.

Obwohl man aus gutem Grund sagen kann, dass rechte Ideologien christlichen Grundüberzeugungen widersprechen, gibt es dennoch – und wie es scheint, derzeit in stärkerem Masse als vor Jahren – praktizierende Christen, die aus Überzeugung rechte Parteien wählen. Wie lässt sich das erklären?

Das taktische Interesse

Vonseiten der politischen extremen Rechten besteht seit geraumer Zeit aus strategischen Gründen Interesse daran, konservative Christen für sich zu gewinnen. Erklärtes Ziel einiger Zirkel europaweit vernetzter Rechtsintellektueller ist es, ihr Gedankengut inklusive demokratie- und verfassungsfeindlicher Inhalte so zu verpacken und rhetorisch aufzubereiten, dass sie damit die bürgerliche Mitte erreichen. Gewinnen rechte Gruppierungen oder Parteien einzelne Christen, womöglich gar kirchliche Leitungspersonen oder Amtsträger, für sich und können mit diesen öffentlichkeitswirksam werben, so erscheinen sie unter Christen wie Nichtchristen direkt sehr viel bürgerlicher, gemässigter, akzeptabler. Aus diesem Grund gehen rechte Gruppierungen und Parteien von FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs) und AfD (Alternative für Deutschland) bis ins rechtsextreme Spektrum hinein gezielt auf Christen zu, etwa indem sie sich ein vorgebliches Engagement gegen Christenverfolgungen auf die Fahnen schreiben. Insbesondere über den Themenbereich Familie gelangen in den vergangenen Jahren milieuübergreifende Vernetzungen im gesamten rechten Spektrum und bis hinein in christlich-konservative Kreise.2

Dieselben Werte?

Obwohl ein solch strategisches Interesse rechter Parteien an Christen recht durchschaubar ist, lassen sich manche konservative Gläubige blenden. Denn rechte Parteien scheinen in ihrer harschen Ablehnung des Islams und ihrem vorgeblichen Einsatz für das «christliche Abendland» ebenso wie im behaupteten Familien- und Lebensschutz und der Ablehnung homosexueller Partnerschaften die womöglich letzten Verfechter althergebrachter Werte zu sein.

Wer genauer in Parteiprogramme und rechte Medien schaut, kann allerdings deutlich erkennen, dass die an der Oberfläche scheinbar gleichen Einstellungen auf sehr unterschiedlichen Motiven aufruhen. Am «christlichen Abendland» interessieren weder christliche Werte noch die Frage nach religiöser Wahrheit. Seit den 1990er- Jahren erfüllt im rechten Spektrum in zunehmendem Masse eine scharfe Islamfeindlichkeit als kulturalisierter antimuslimischer Rassismus die Funktion, die bis dahin biologistischer Rassismus und Fremdenfeindlichkeit innehatten.3 Auch die Beweggründe für das Interesse an «traditionellen» Familien sowie die Ablehnung von Homo- sexualität und Abtreibung wurzeln im rechten Spektrum dezidiert nicht im Interesse an Moral oder am Lebensrecht aller Menschen, sondern in völkischen Ideologien, sind also keinesfalls vom Glauben an die Gottebenbildlichkeit ausnahmslos aller Menschen motiviert, sondern von völkisch-rassistischem Denken.

Neben Christen, die aus konservativer, das heisst wertebewahrender Motivation heraus erwägen, rechte Parteien zu wählen, weil sie nicht genau genug deren völkisch-rassistische Motive erkennen, gibt es allerdings auch Christen, die sich wissentlich und willentlich im Bereich einer bisweilen bürgerlich auftretenden extremen Rechten engagieren.

Rechte Christen

Vorreiterin der Strategie, extrem rechtes Gedankengut rhetorisch geschickt in die gesellschaftliche Mitte zu tragen, war und ist in Deutschland die neurechte Wochenzeitung «Junge Freiheit», die seit den 1990er-Jahren um konservative christliche Leser wirbt, indem sie katholische und traditionalistische sowie evangelikale Autoren führt. Neben Scharnierorganen der Neuen Rechten, die sich ein bürgerliches Image geben, können auch hetzerische pegidanahe Medien mit Artikeln und Interviews von Christen aufwarten. Ebenso gibt es sich christlich verstehende Me- dien, die mit politisch rechten Medien kooperieren, auf sie verlinken, Berichte übernehmen usw. Einen Extremfall der Verquickung bestimmter (Zerr-)Formen von Religiosität mit rechtsextremen Einstellungen zeigen Websites wie «kreuz.net»: Die sich selbst «katholische Nachrichten» nennende anonyme Seite verbreitete neben reaktionär-katholischen und traditionalistischen auch jede Menge rechtsextremer Inhalte, betrieb Holocaustleugnung und volksverhetzenden Antisemitismus in nach deutschem Recht strafbarem Masse.
Im katholischen Gemeindeleben in Deutschland treten Christen mit solchen Einstellungen meiner Einschätzung nach wenig in Erscheinung, dürften auch eine kleine Minderheit sein, doch in einschlägigen Internetforen wird eine – letztlich weltweite – Vernetzung möglich.

Autoritäre Einstellungen als Triebfeder

Beim Analysieren rechtschristlicher Internetseiten und ihrer Leserkommentarspalten fällt Typisches auf: neben extrem rigiden Moralvorstellungen und einer Überbetonung von Themen der Sexualität vor allem eine sehr negative Sicht auf die Welt, die Skandalisierung alltäglicher Vorgänge, häufige verbale Abwertungen Andersdenkender.4 All diese Elemente prägen die rigiden religiösen Haltungen dieser Christen, und sie entsprechen dem, was Theodor W. Adorno schon in den 1940er-Jahren als «autoritäre Persönlichkeit»5 bezeichnete und als eine wesentliche Ursache für rechtsradikale politische Präferenzen ansah. Tatsächlich bestätigen sozial- psychologische Studien seither durchgängig, dass das heute «Autoritarismus» genannte Persönlichkeitsmerkmal mit einer erhöhten Neigung zu Vorurteilen, gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit (W. Heitmeyer) und rechtsextremen Einstellungen einhergeht. Als zentralen wunden Punkt autoritärer Persönlichkeiten sieht Adorno eine «Ich-Schwäche» an: Autoritär strukturierte Menschen trauen sich selbst, ihrem Innenleben, ihren Gefühlen und ihrer Urteilsfähigkeit nicht und unterwerfen sich daher starren äusseren Normengerüsten oder Führungspersonen.6

Offenbar wurzeln religiöse Neigungen zu autoritären und fundamentalistischen Frömmigkeitsstilen und säkulare Neigungen zu autoritären rechten Politikstilen wesentlich in derselben persönlichen Prägung, die situationsbezogen – und hier kommt die Politik ins Spiel – verstärkt oder abgeschwächt werden kann.

Was kann Kirche tun?

  1. Über das rein strategische Interesse rechter Gruppierungen an Christen und Christentum aufklären – und vor allem: ihm selbst nicht auf den Leim gehen, sich als kirchliche Leitungsperson keinen rechten Gruppierungen oder Medien zur Verfügung stellen.
  2. Das Bewusstsein schärfen für den zentralen kritischen Bewertungsmassstab christlich vertretbarer Politiken: dass sie die Gottebenbildlichkeit ausnahmslos aller Menschen im Blick haben und keine Ideologien der Ungleichwertigkeit vertreten.
  3. Nationalistisches, völkisches Denken und kulturalisierten Rassismus erkennen, entlarven und konsequent und kompromisslos von wertkonservativen Haltungen unterscheiden.
  4. Rigide autoritäre Frömmigkeitsstile kirchlicherseits nicht mit einer besonders grossen Glaubenskraft verwechseln.
  5. Die sozialen und politischen Bedingungsfaktoren autoritärer politischer Präferenzen in den Blick nehmen und daher soziale Integration vor Ort fördern, weltweite Gerechtigkeit politisch einfordern und praktizieren – als «Global Player» kann die katholische Kirche hier viel tun und tut es bereits.


Sonja Strube

 

1 Vgl. Pfahl-Traughber, Armin, Rechtsextremismus in der Bundesrepublik, 4. Aufl. München 2006, 14–16.

2 Vgl. Strube, Sonja Angelika, Familienbild als Einflugschneise. Was Gläubige anfällig macht, in: Neue Caritas. Politik, Praxis, Forschung,
  Heft 20/Nov. 2016, 9–13.

3 Zur Modernisierung der extremen Rechten vgl. Häusler, Alexander; Roeser, Rainer, Rechtspopulismus in Europa und die rechtspopulistische
  Lücke in Deutschland, Erfurt 2014, 10, auf: https://mobit.org.

4 Vgl. Strube, Sonja Angelika, Widerstand gegen Papst Franziskus und seine Reformen. Empirische Beobachtungen am Beispiel der Internetseite
  kath.net, in: Kruip, Gerhard, Église qui change – Cinq ans après l'élection du Pape François. ET-Studies 1/2018, 27–50.

5 Adorno, Theodor W., Studien zum autoritären Charakter, Frankfurt a. M. 1995.

6 Adorno, Theodor W., Studien zum autoritären Charakter, aaO., 45–61.

 


Sonja A. Strube

Dr. Sonja A. Strube (Jg. 1968) ist Privatdozentin für Pastoraltheologie/Religionspädagogik am Institut für Katholische Theologie und Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt «Soziale Arbeit in der Migrationsgesellschaft» an der Universität Osnabrück.
Seit 2011 forscht und veröffentlicht sie zu rechtsextremen Tendenzen in christlichen Milieus.

 

BONUS

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