Ein Dialog mit Grenzen

Anstatt sich in Alarmismus zu gefallen und auszugrenzen, sollten die Kirchen das Gespräch mit rechtspopulistischen Parteien suchen. Der Dialog hat allerdings seine Grenzen.

Als FDP-Abgeordnete im Freiburger Stadtparlament und im Freiburger Agglomerationsrat schlägt die Theologin Béatrice Acklin Zimmermann die Brücke zwischen Religion, Kirche und Politik und setzt sich gegenwärtig intensiv mit populistischen Strömungen auseinander. Im Rahmen des ZFF Talks am internationalen Zurich Film Festival 2017 leitete sie die Diskussion über den Film «Das Fest» der deutsch-polnischen Regisseurin Alexandra Wesolowski. Der Film bietet Einsichten in die polnische Gesellschaft und den europäischen Rechtspopulismus. Die SKZ fragte bei Béatrice Acklin Zimmermann nach.

SKZ: Was heisst eigentlich Populismus?
«Populismus» ist mittlerweile zu einem Kampfbegriff «hüben wie drüben» geworden und wird inflationär als Vorwurf gegen jede missliebige Meinung verwendet. «Populistisch sind immer die anderen!», titelte kürzlich die «Frankfurter Allgemeine Zeitung», und das ist auch meine Erfahrung als Abgeordnete in einem Parlament. In der Regel ist es der politische Gegner, den man des Populismus bezichtigt. Dass es aber kaum einen Politiker gibt, der nicht auch populistisch agiert, weiss jeder, der schon mal einen Wahlkampf führte. Eine politische Meinung «mundgerecht» zu präsentieren, ist an sich ja nichts Verwerfliches, und um die Gunst der Massen zu ringen, ist das völlig legitime Bestreben aller Politiker und Parteien. Entscheidend scheint mir vielmehr die Frage, wie weit Populismus gehen darf. Die Grenze ist dort definitiv überschritten, wo der Rechtsstaat ausgehöhlt und die Pressefreiheit eingeschränkt werden, wie dies derzeit etwa in Polen und Ungarn geschieht, oder wo fremdenfeindliche Ressentiments geschürt und Hetzkampagnen gegen Fremde losgetreten werden, wie dies einzelne Mitglieder der AfD (Alternative für Deutschland) tun.

Was ist rechtspopulistischen Bewegungen und Parteien gemeinsam?
Glaubt man Fachleuten, dann zeichnet sich der Rechtspopulismus vor allem durch zwei Wesensmerkmale aus: Zum einen ist er antipluralistisch und deshalb z. B. ethnischen und religiösen Minderheiten gegenüber ablehnend eingestellt; zum anderen nimmt er für sich und seine politischen Thesen die alleinige moralische Vertretung in Anspruch. Das heisst, Rechtspopulisten sagen: «Wir – und nur wir – repräsentieren das Volk» und meinen das nicht als empirische, sondern als moralische Aussage. Rechtspopulisten betonen ihre rigorose Parteinahme für das Volk. Sie sehen dieses durch das politische «Establishment» in seiner Souveränität und durch kulturell «Fremde» in seiner Identität bedroht. Die Systemkritik der Populisten, und zwar – das möchte ich betonen – von rechts wie von links, lebt davon, im Fundamentalen zu bleiben, ohne irgendeine konkrete Antwort auf Probleme der Migration oder der Renten zu geben. Sie entzieht sich so der eigentlichen politischen Auseinandersetzung, schafft aber ein Klima, das demokratische Prozesse verunglimpft und lächerlich zu machen versucht.

Rechtspopulismus ist also eine Herausforderung für Politik und Kirchen.
Leider tun es die Kirchen den etablierten Parteien gleich und gefallen sich vor allem in Alarmismus, anstatt sich selbstkritisch die Frage zu stellen: Was ist es, was die Populisten derzeit so populär macht? Wer sind diese Leute, die sich von populistischen Parteien begeistern lassen und von denen sich auffällig viele als religiös bezeichnen? Und was bedeutet es, dass fromme Kirchgänger nach rechts abwandern und Parteien nachlaufen, die sich als Anwalt der christlich-abendländischen Kultur geben? Wenn es zutrifft – wie eine breit angelegte Studie der Bertelsmann-Stiftung zeigt –, dass sich der Erfolg populistischer Parteien in Europa hauptsächlich aus der Angst um den Verlust traditioneller Wertvorstellungen speist und über ein Drittel der Wähler überzeugte konservative Christen aus der Mitte der beiden grossen Kirchen sind, dann kommen die Kirchen nicht darum herum, sich selbstkritisch mit diesen unbequemen Fragen auseinanderzusetzen.

Der Aufstieg der Rechtspopulisten hat mit Werten und Wertekonflikten zu tun.
Wie die Allensbacher Auszählung und Wahlumfragen zeigen, haben konservative Kirchgänger vor allem in der Familienpolitik Schnittmengen mit der AfD. Hinzu kommt ein ausgeprägtes Ordnungs- und Autoritätsdenken, das die AfD angeblich für zahlreiche Katholiken attraktiv machen soll. In Polen wiederum glauben viele Gläubige, in der rechtspopulistischen Partei PiS (Prawo i Sprawiedliwosc) einen Verbündeten gefunden zu haben, der ihre katholisch-konservativen Wertvorstellungen bezüglich Familie, Sexualmoral und kultureller Identität verteidigt gegen Gendervorstellungen, eine liberale Abtreibungspolitik und die Bevormundung aus Brüssel.

Sollen die Kirchen den Dialog mit rechtspopulistischen Parteien suchen?
Dass das Zentralkomitee der deutschen Katholiken Parteivertreter der AfD vom Katholikentag ausgeladen hat mit der Begründung, man wolle der neuen Rechten auf keinen Fall ein Forum bieten, auch wenn sich etliche Parteimitglieder als Katholiken verstünden, erachte ich als grundfalsch. Anstatt diese Leute auszugrenzen und zuzulassen, dass sie sich dann als Märtyrer inszenieren, sollten die Kirchen unbedingt das Gespräch mit ihnen suchen. Zweifellos gibt es unter den Rechtspopulisten solche, die klebrige und hässliche Töne anschlagen. Aber es gibt eben auch jene – und das dürfte die überwiegende Mehrheit sein –, die weder Rassisten noch Abgehängte, sondern besorgte und verängstigte Bürger sind: solche, die mit der rasant sich verändernden Welt nicht mehr zurechtkommen, die ihre Wertvorstellungen in Gefahr sehen und die sich von der Politik übergangen oder nicht ernst genommen fühlen. Um nur ein Beispiel zu nennen: In einem kleinen Dorf in Schleswig-Holstein, wo ich regelmässig meine Ferien verbringe, äusserten Dorfbewohner ihren Unmut darüber, dass die Politik in Berlin sich vor allem um Minderheiten kümmern und über genderneutrale Toiletten streiten würde, anstatt dafür zu sorgen, dass in ländlichen Gegenden genügend Ärzte und eine angemessene Internet-Infrastruktur vorhanden sei. Ein beachtlicher Teil dieser «Wutbürger» wählt AfD, um damit ihren Protest gegen die Bundesregierung zu bekunden, von der sie sich im Stich gelassen fühlen.

Wo sehen Sie die Grenzen eines solchen Dialogs?
Als Christin muss ich bereit sein, mit Menschen zu reden, die nicht meiner Meinung sind, also auch mit jenen, die sich in rechtspopulistischen Parteien engagieren oder sie wählen. Eine klare Distanzierung gegenüber rechtspopulistischen Parteien darf auf keinen Fall mit Dialogverweigerung verwechselt werden. Wo der Populismus das Ressentiment und das Vorurteil bedient, müssen seine Gegner auf das Argument setzen. Anstatt Abstiegsängste oder Überfremdungsängste in der Bevölkerung einfach abzuwehren und dadurch die Polarisierung der Gesellschaft noch zu verstärken, sollten diese Ängste genau ergründet werden. Eine klare Grenze ist dann gesetzt, wenn Angst sich in Gewalt, auch in verbaler Gewalt ausdrückt. Da muss «klare Kante» gezeigt werden. Die Menschenwürde, theologisch würde man von der Gottebenbildlichkeit des Menschen sprechen, ist unantastbar. Hier gibt es nichts zu erklären und nichts zu verhandeln. Menschenverachtende Äusserungen verdienen nur eine Antwort, nämlich ein klares Nein. Aber mit diesem Nein ist das Gespräch noch nicht zu Ende, sondern fängt erst an. Als Christin muss ich zwischen inakzeptablen Positionen oder Handlungen und der Person selber unterscheiden. Deshalb – und davon bin ich felsenfest überzeugt – muss das Gespräch auch mit denen gesucht werden, deren politische Überzeugungen uns total verquer erscheinen. Anstatt uns permanent über die Stimmengewinne von populistischen Parteien zu empören, sollten wir uns vielmehr fragen, wann wir das letzte Mal versucht haben, jemanden im persönlichen Gespräch von einer solchen Wahlentscheidung abzubringen. Und vielleicht sollten wir uns auch fragen, wann wir das letzte Mal bereit waren, unsere eigene Meinung zu ändern.

«Die politischen Parteien bestimmen selber durch Programm und Praxis ihre Nähe oder Distanz zur Kirche», lautet ein Wort von Joseph Kardinal Höffner (1906–1987). Welche Kriterien sind aus Ihrer Sicht hilfreich für die Kirchen, wenn es um die Einschätzung der Vereinbarkeit bzw. Nichtvereinbarkeit von Parteiprogramm und christlichen Werten geht?
Davon halte ich gar nichts. Das Papier der Parteiprogramme ist nicht nur langweilig und langfädig, sondern auch geduldig. Ausserdem sind mir Parteien, die für sich beanspruchen, eine christliche Politik zu betreiben und christliche Werte zu vertreten, grundsätzlich suspekt. Zu oft schon wurde und wird das Christentum von politischen Parteien, und zwar zur Rechten wie zur Linken, instrumentalisiert. Hingegen gibt es Christen in allen Parteien. Und im Unterschied zu Parteien, Gewerkschaften oder Verbänden ist die Kirche eben nicht eine Interessengruppe, sondern sie zeichnet sich vielmehr dadurch aus, dass ihr Menschen unterschiedlichster politischer Ausrichtung und mit ganz unterschiedlichen politischen Meinungen angehören. Entsprechend sollte sich die Kirche davor hüten, sich vor den Karren einer Partei oder einer Interessengruppe spannen zu lassen.

Interview: Maria Hässig


Béatrice Acklin Zimmermann

Dr. habil. Béatrice Acklin Zimmermann ist Theologin und Politikerin. Sie publiziert und referiert regelmässig zu theologisch-philosophischen und gesellschaftspolitischen Themen. Nach ihrem Studium der evangelischen und katholischen Theologie und der politischen Wissenschaften wurde sie an der Universität Freiburg i. Ü. promoviert und habilitiert.