Ein unklares Verhältnis zur extremen Rechten

Der Rechtspopulismus ist für viele Politiker als sehr erfolgreiche Strategie der Wählermobilisierung äusserst attraktiv. Sein Ausgangspunkt ist eng mit den Erneuerungsprozessen innerhalb der extremen Rechten verbunden.

Mit den zweiten Wahlen zum Europäischen Parlament betrat 1984 eine neue Partei die politische Bühne in Frankreich und Europa. Dem 1972 gegründeten Front National, der bislang bei Wahlen Stimmanteile um ein Prozent erzielte, war es aus dem Stand gelungen, gut elf Prozent der Wählerstimmen auf sich zu vereinen – ein Ergebnis, das er bei den nationalen Parlamentswahlen 1986 und 1988 annähernd wiederholen konnte. In den 1990er-Jahren stiegen die Ergebniszahlen sogar auf fast 15 Prozent an. Ähnliches vollzog sich in diesen Jahren in zahlreichen europäischen Ländern: in Belgien und Dänemark etwa, in Norwegen, Österreich und Italien. Zusammengenommen konnte in diesen Ländern eine Gruppe bislang weitgehend unbekannter und erfolgloser Parteien ihren Stimmanteil bei nationalen Parlamentswahlen vom Beginn der 1980er-Jahre bis zum Ende der 1990er-Jahre von durchschnittlich 5,8 Prozent auf 13,6 Prozent mehr als verdoppeln.1

Neues Phänomen, neuer Begriff

Für diese Parteien bürgerte sich bereits in den 1980er-Jahren der Begriff «(Rechts-)Populismus» ein: ein neues Wort, das zuvor vor allem in der politischen Sprache der Vereinigten Staaten von Amerika, kaum aber in Europa zu Hause gewesen war. Es zeugt von der Neuartigkeit des Phänomens, mit dem sich politische Beobachter nun konfrontiert sahen. Doch zugleich stiftete es Streit: Streit über die Frage, wie dieses neue Phänomen «Rechtspopulismus» einzuordnen sei. Handelte es sich bei diesen Parteien um eine Innovation in den europäischen Demokratien, in denen sich nun neuartige politische Akteure etablierten? Oder war der Rechtspopulismus ein eigentlich altbekanntes Phänomen und sein gegenwärtiger Erfolg Teil des «Wiederauflebens des Faschismus und Rassismus in Europa», wie es ein Untersuchungsausschuss des Europäischen Parlaments 1985 diagnostizierte? Dieser Streit wird auch noch heute geführt. In der öffentlichen Debatte ebenso wie in der Wissenschaft.2 Dabei lässt sich an der Geschichte des Rechtspopulismus gut verstehen, dass sein entscheidendes Merkmal eben jenes unklare Verhältnis zur ex- tremen Rechten ist, um dessen Festlegung nun seit mehr als dreissig Jahren gestritten wird – auch wenn der Ausgangspunkt des Rechtspopulismus eng mit den Erneuerungsprozessen innerhalb der extremen Rechten verbunden war, die am Ende der 1960er-Jahre ihren Ausgang nahmen.

Neue politische Strategien

Zu dieser Zeit realisierten Aktivisten der extremen Rechten in ganz Europa endgültig, dass sich mit den politischen Strategien, die in der Zwischenkriegszeit den Aufstieg faschistischer Parteien in ganz Europa begründet hatten, kein politischer Einfluss mehr gewinnen liess. Anstelle des Versuchs, mit einem ausgefeilten politischen Programm bei Wahlen Mehrheiten oder auch nur relevante Teile der Wähler hinter sich zu bringen, brauchte es andere politische Strategien, wenn sie auch in Zukunft weiterhin politischen Einfluss entfalten wollten. Die zu dieser Zeit einsetzende Suche nach solchen Ansatzpunkten führte in unterschiedliche Richtungen. Auf der einen Seite entstanden in den 1970er-Jahren in ganz Europa neue Denkzirkel, die sich um die Schaffung einer «Neuen Rechten» bemühten. Sie griffen dabei bewusst Ideen und Strategien der linken Studentenbewegung der späten 1960er-Jahre auf, aus denen sie den Schluss zogen, dass Wahlerfolge erst dann wieder zu erreichen seien, wenn es der «Neuen Rechten» gelänge, die «kulturelle Hegemonie» in den europäischen Gesellschaften in ihrem Sinne zu verändern. Hierzu sollte die Reformulierung ideologischer Vorstellungen ebenso beitragen wie das Platzieren eigener politischer Begriffe in öffentlichen Debatten, von denen man sich langfristigen politischen Einflussgewinn versprach. Auf der anderen Seite begannen Aktivisten, mit Gewalt ganz unmittelbar an der Verwirklichung extrem rechter Vorstellungen zu arbeiten. Mit grossen Bombenattentaten ebenso wie mit den zahllosen Übergriffen und Anschlägen auf Einzelpersonen, die seit den 1970er-Jahren in verschiedenen europäischen Ländern stark anstiegen und auch zahlreiche Todesopfer forderten.

Die Entstehung der rechtspopulistischen Parteien seit den 1970er-Jahren lässt sich als dritte Variante der politischen Erneuerung am rechten Rand begreifen. Nicht nur entstanden verschiedene der neuen Parteien, etwa in Belgien und Frankreich, aus demselben politischen Milieu, aus dem die «Neue Rechte» und der Rechtsterrorismus erwuchsen. Vor allem verband die rechtspopulistischen Parteien mit diesen der enge Fokus auf die beiden Themen Migration und internationale Verflechtung, um die sowohl die rechtsintellektuellen Debatten der «Neuen Rechten» kreisten wie auch der Rechtsterrorismus: Migranten wurden zum Hauptziel seiner Gewalt. Auch die rechtspopulistischen Parteien konzentrierten sich auf diese politischen Themen und leiteten aus ihnen den lautstark vorgetragenen Anspruch ab, dass nur sie für das «Volk» sprechen könnten. Denn sie würden sich – anders als «Eliten» und politische Konkurrenz – gegen die Bedrohungen stemmen, die in Migration und internationaler Verflechtung lägen: die «Überfremdung» durch wachsende Einwanderung sowie den Verlust «nationaler Identität» und Souveränität durch die zunehmende Einmischung europäischer und internationaler Institutionen in die nationale Politikgestaltung.

Ohne rechtsextreme Wurzeln

Wiesen die rechtspopulistischen Parteien damit auf der einen Seite enge Beziehungen zur extremen Rechten auf, gründete ihr Erfolg jedoch auf der anderen Seite in starkem Masse auf dem Umstand, dass sie sich diesem politischen Spektrum nicht mehr eindeutig zuschreiben liessen. Sie waren, wie der Historiker Andreas Wirsching argumentiert hat, ebenso Teil eines allgemeinen «Formenwandel[s] des Politischen»3, der sich in den 1980er-Jahren vollzog, und profitierten von ganz unterschiedlichen Entwicklungen: einer Politik- und Parteienverdrossenheit, die sich nach dem Ende des wirtschaftlichen Nachkriegsbooms überall in Europa beobachten liess; und einer zunehmenden Medialisierung der Politik insbesondere durch den Aufstieg des Privatfernsehens, die die Personalisierung, Skandalisierung und Polarisierung der politischen Auseinandersetzung goutierte und vorantrieb. In dieser Konstellation entfaltete die rechtspopulistische Argumentationsfigur vom durch Migration und internationaler Verflechtung bedrohten «Volk» Attraktivität auch für kleinere politische Akteure und Newcomer, die nicht dem rechtsextremen Spektrum entstammten. Dies zeigte sich nicht zuletzt in der Schweiz4, in der seit den 1960er- Jahren eine ganze Reihe ausländerfeindlicher Splitterparteien bestanden, die im Zuge einzelner Volksabstimmungen (Schwarzenbach-Initiative) durchaus grossen politischen Einfluss entfaltet hatten. Aber nicht sie profitierten vom Aufschwung des Rechtspopulismus seit den 1980er- Jahren, sondern die Schweizerische Volkspartei. Die ursprünglich als Bauernpartei entstandene SVP hatte bis Ende der 1970er-Jahre nur eine Nebenrolle in der Schweizer Politik gespielt, begann dann aber eine programmatische und organisatorische Erneuerung, die sie in den 1990er-Jahren schliesslich zu einem der wichtigsten politischen Akteure des Landes machte. Dies war der Strategie des Zürcher Parteiablegers zu verdanken, der auf eine stärkere Polarisierung des politischen Streites mittels provokanter Kampagnen setzte, in denen die Partei in Abgrenzung von der politischen Konkurrenz als einzig wahre Stimme «der Schweizer» präsentiert wurde. Migrations- und Aussenpolitik bildeten auch hier die zentralen Themenfelder, mit denen die Durchsetzung dieses in der Gesamtpartei hoch umstritten Kurses gelang: Die rechtspopulistische Ausrichtung der Partei zeigte sich spätestens seit den 1990er-Jahren an der Urne schlicht als zu erfolgreich, als dass sich die konkurrierende Strategie einer Öffnung der Partei zur Mitte gegen sie behaupten konnte.

Von hoher Attraktivität

Wie sich politische Überzeugungen und taktische Interessen in diesem Fall und in ähnlichen zueinander verhielten, ist auch in der Rückschau nur schwer auszumachen. Doch die Attraktivität, die der Rechtspopulismus als ausgesprochen erfolgreiche Strategie der Wählermobilisierung auch für politische Akteure entfaltete, die nicht der extremen Rechten entstammten, ist unzweifelhaft. Sie zeigte sich am Aufstieg von Politikneulingen wie Silvio Berlusconi (Italien) oder Pim Fortuyn (Niederlande) in den 1990er-Jahren, denen der Rechtspopulismus einen schnellen Weg in den Politikbetrieb öffnete, ebenso wie am Flirt zahlreicher etablierter Parteiführer und Regierungschefs mit der rechtspopulistischen Argumentationsfigur von der «Überfremdung» durch Einwanderung und dem Verlust «nationaler Identität» durch internationale Verflechtung. Auch wenn sich die Entwicklung des Rechtspopulismus bis in die programmatische und ideologische Erneuerung der extremen Rechten am Ende der 1960er-Jahre zurückverfolgen lässt: Das unklare Verhältnis zu diesem politischen Spektrum ist ihm durch seine weitere Entwicklung fest eingeschrieben.

Janosch Steuwer

 

1 Wirsching, Andreas, Der Preis der Freiheit. Geschichte Europas in unserer Zeit, München 2012, 333.

2 Als Überblick hierzu Minkenberg, Michael, Was ist Rechtspopulismus?, in: Politische Vierteljahresschrift 59 (2018), 337–352.

3 Ausführlich hierzu Wirsching, Der Preis der Freiheit, aaO., 308–339.

4 Hierzu ausführlich Skenderovic, Damir; D'Amato, Gianni, Mit dem Fremden politisieren. Rechtspopulismus und Migrationspolitik in der Schweiz
  seit den 1960er Jahren, Zürich 2008.

 


Janosch Steuwer

Dr. Janosch Steuwer (Jg. 1983) studierte Geschichte und Politikwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum und Bielefeld. Seit 2016 ist er Oberassistent an der Forschungsstelle für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Universität Zürich.