Katakomben auch für Roms Juden

(Bild: z.Vg.)

Roma Sotterrana», das unterirdische Rom – ein faszinierendes Kapitel! Denn immer wieder stösst man, so jetzt beim Bau weiterer U-Bahn- Linien, auf Fundstücke aus der Antike. Vielfache Grabungen haben wichtige Details über Geschichte und Kultur der alten Römer enthüllt. Unzählige Besucher der Tiberstadt pilgern gern zu den Katakomben, den Unterwelt-Friedhöfen der frühen Christen, zumal im Gebiet der Via Appia Antica. Aber nur wenige wissen, dass es in der Ewigen Stadt ausser den fast 60 christlichen auch sechs jüdische «catacombe» gibt.

Der historische Hintergrund? Schon im 2. Jahrhundert v. Chr. gab es etliche Juden in Rom; die jüdische Gemeinde wuchs in der Kaiserzeit sogar auf rund 40 000 Mitglieder – und sie hatte natürlich auch einen Totenkult. Allerdings sind die «catacombe ebraiche» vermutlich etwas später als die vergleichbaren Grablegen der Christen entstanden – nämlich im 3. oder 4. Jahrhundert n. Chr. Die Katakomben, betonen Experten, gehören zu jener antiken Tradition, nach der der Tote mit Pietät behandelt, aber ausserhalb der Siedlung bestattet werden musste. Wegen der Verknappung und Verteuerung des Bodens schuf man, begünstigt durch den weichen Tuff stein der römischen Campagna, unterirdische Friedhöfe. Sie wurden jedoch nach dem 5. Jahrhundert nicht mehr benützt, gerieten in Vergessenheit und wurden zumeist erst im 19. Jahrhundert wiederentdeckt und erforscht.

Das Hauptinteresse dabei galt freilich, wie am Sitz der Päpste ganz verständlich, den christlichen Katakomben, besonders jenen im Gebiet der Via Appia Antica. Zu den Bewohnern dort, die sich beim Kirchenstaat eine Lizenz für archäologische Grabungen holten, gehörte Giuseppe Randanini. Er machte sich ans Werk und meldete am 2. Mai 1859 der Behörde, er habe Grabkammern vorgefunden, «die anscheinend jüdische Katakomben sind».

Eine Sensation! Denn sowohl Randanini wie auch der zuständige Minister Mons. Amici hatten keineswegs erwartet, hier – nahe den christlichen Katakomben von San Sebastiano und San Callisto – ausgerechnet eine antike jüdische Begräbnisstätte zu entdecken. Gleichwohl gingen die Grabungen weiter. 1896 musste die Familie Randanini ihren Weinberg samt Ex-Friedhof verkaufen. Nach dem Konkordat von 1929 kümmerte sich die Päpstliche Kommission für Christliche Archäologie um die Instandhaltung der jüdischen Grablege. Doch diese Behörde, der alle christlichen Katakomben Roms unterstehen, war froh, dass sie bei der Konkordatsrevision von 1984 die Obhut für diese «catacomba ebraica» an den italienischen Staat abtreten konnte.

Mit dem Ex-Friedhof am Weinberg hat es somit seine besondere Bewandtnis. Er ist zwar eigentlich Privatbesitz, weil er sich auf dem grossen Grundstück einer römischen Adelsfamilie befi ndet. Aber beaufsichtigt wird er von der staatlichen Archäologiebehörde. Und die seltenen Besichtigungen (für kleine Gruppen) werden von den Juden Roms organisiert. So auch eine Visite, an der kürzlich der Verfasser dieser Zeilen teilnahm. Am vereinbarten Treff punkt in der Via Appia Pignatelli geht es von der Wiese in einen Hof hinab, wo ein führendes Mitglied der israelitischen Gemeinde allen Männern der Besuchergruppe die «Kippa», die typisch jüdische Kappe, aufsetzt, uns den Fremdenführer Guido Rosati vorstellt – und schliesslich Taschenlampen verteilt. Lampen? Ja, die sind nötig, erläutert Rosati, denn diese Katakombe ist – im Unterschied zu den vielbesuchten Unterweltfriedhöfen der Urchristen – nicht elektrisch beleuchtet. Nur im Schein der Taschenlampen kommen wir Besucher in den stockfi nsteren Gängen voran. Unterdes gibt Guido weitere Informationen.

Die Katakombe, so erläutert er, «umfasst ein Gebiet von etwa 18 000 Quadratmetern, und zwar auf zwei Etagen mit insgesamt 700 langen Gängen und nur wenigen tausend Gräbern». Anders als in den christlichen Katakomben «gibt’s hier keine Kapellen». Typisch jüdische Merkmale: Gräber («kokhim»), die man nicht parallel, sondern rechtwinklig zum Verlauf der Galerien im Tuff stein schuf. Die vielen Epitaphe sind meist auf Griechisch oder Latein verfasst. Drei Grabkammern, wohl von wohlhabenden Juden für ihre ganze Familie bestimmt, sind eindrucksvoll bemalt. Da ist zunächst jener Raum mit dem Abbild der Menorah, dem siebenarmigen Leuchter – just wegen dieses Details konnte man die ganze Katakombe als «jüdisch» identifi zieren. Ein weiterer Raum heisst «Cubicolo delle Palme», denn seine vier Ecken zeigen (aufgemalte) Palmen, die ja laut den Psalmen Symbole des «Gerechten» sind. Besonders schön dekoriert ist die dritte Grabkammer, die wegen der Abbildung gefl ügelter Pferde «Cubicoli dei Pegasi» heisst. Mehrere Details der Dekoration lassen die Vermutung zu, dass dieser Teil der Katakombe ursprünglich heidnisch war, dann aber von den Juden vereinnahmt wurde.

Nach eineinhalb Stunden ist die denkwürdige Visite zu Ende. Fremdenführer Guido betont: Von den sechs «catacombe ebraiche» in Rom sei nur diese hier zugänglich. «Und sie ist die besterhaltene jüdische Katakombe im Mittelmeerraum.» Beim Abschied wollen die Besucher ihre «Kippa» an den Organisator der Besichtigung zurückgeben. Doch der winkt lächelnd ab: «Die können Sie behalten. Zur Erinnerung.»

 

Bernhard Müller-Hülsebusch

Bernhard Müller-Hülsebusch

Dr. Bernhard Müller-Hülsebusch, seit vielen Jahren Korrespondent von deutschen und schweizerischen Medien in Rom und Buchautor, beschäftigt sich vor allem mit Themen rund um den Vatikan