Jungwacht Blauring: Teil der Kirche (II)

Jungwacht Blauring bietet als grösster katholischer Kinder- und Jugendverband der Schweiz seinen Mitgliedern (unbestrittene) implizite und (häufig diskutierte) explizite Glaubenserlebnisse.1 Seit den späten 1960er-Jahren wird die Frage der Kirchlichkeit in der Jubla immer wieder von neuem gestellt und reflektiert.

Im aktuellen Prozess der Leitbild-Überarbeitung zeigt sich, wo der gesellschaftliche Wandel Reformen in Sprache und Formen fordert, welche Chancen sich an den «kirchlichen Randgebieten» eröffnen und inwiefern die Jubla als mitgestaltender Teil von Kirche zu verstehen ist. An der spannenden Grenze zwischen impliziten und expliziten Glaubenszugängen stehen viele niederschwellige Gelegenheiten und Resonanzräume, in denen über existenzielle Fragen und den Glauben gesprochen werden kann. Wie oft vermischen sich in den Nebelschwaden des mitternächtlichen Lagerfeuers Fragen nach dem eigenen Ich, dem Sinn und nach Gott?

Die spezifische Rolle der rund 380 Präsides2 besteht darin, Jugendliche in ihrer Suche auf Augenhöhe zu begleiten, zu bestärken und zwischen spirituellem Suchen und oft mangelnder religiöser Artikulationsfähigkeit zu übersetzen. Dies darf nicht als Katechese missverstanden werden.3 Glaubensvermittlung im katechetischen Sinne ist weder Aufgabe der Präsides noch des Verbandes.

Es gilt, empfindsam-mystagogisch zu sein für die Impulse der Kinder und Jugendlichen selbst. Ihre Feststellungen und Fragen sind die «Spuren des Glaubens im Alltag», die es aufzunehmen, zu deuten, herauszuheben und zu feiern gilt.4 Hintergrund dazu ist die Überzeugung, dass zur ganzheitlichen Persönlichkeitsentfaltung die spirituelle Dimension gehört, ausdrücklich im Sinne selbstverantworteter und reflektierter Entscheidung für oder gegen etwas. Eine solche kann sich nur an konkreten Erfahrungen und diskursiven Reibungsflächen herausbilden.

Pluralisierung fordert Reformen in Sprache, Form und Struktur

Während implizite Glaubenserlebnisse in der Jubla weitgehend unbestritten sind, zeigen sich bei den expliziten Glaubensbezügen zwei deutliche Aspekte, die für Diskussionsstoff sorgen, Reformbedarf aufzeigen und es verunmöglichen, die Jubla als reine «religiöse Deutungsgemeinschaft» zu verstehen: Zum einen sind es Säkularisierungsprozesse, die auch in der Jubla wirken, zumal sie ein zivilgesellschaftlicher Akteur ist. Zum andern ist es die Pluralisierung der (potenziellen) Mitglieder sowie der gelebten Realitäten vor Ort (Scharen), was die Nähe zur Pfarrei und explizit religiöse Formen betrifft. Die Spannbreite reicht hier vom täglichen «Vaterunser» bis hin zur Entfernung des Kreuzzeichens aus dem Jubla-Lokal. Anstatt den gesellschaftlichen Wandel zu beklagen oder sich aus dem Strom der Zeit in einen stillen Seitenkanal zurückzuziehen, soll aus jugendpastoraler Sicht versucht werden, sich an den sichtbar werdenden «Rändern» zu orientieren.

Lokalisiert Papst Franziskus neben Leid und Ungerechtigkeit nicht auch die religiöse Unentschlossenheit als «existenzielles Randgebiet» und damit primären kirchlichen Wirkungsort? Der Papst fordert eine Kirche, die dort präsent ist, wo sich das Leben der Menschen abspielt – eine Kirche mit «offenen Türen» für Suchende, zurückkehrende Enttäuschte und zufällig Vorübergehende.5 Für die Jugendpastoral in unserem Kontext bedeutet «Annahme des Stallgeruchs» die Anpassungsfähigkeit von Sprache, Form und Struktur an die Lebenswelt(en) der Jugendlichen.6 Gleichen diese hinsichtlich religiöser Sozialisation teils tatsächlich einer «tabula rasa» bedeutet das immer auch eine unbelastete Eintrittsmöglichkeit in den Prozess der Subjektwerdung vor Gott.7 Die Anpassung selbst kann weit gehen, ohne damit den inhaltlichen Kern zu gefährden, der sich auch in Twitter-Länge auf die Gebote der Gottes- und Nächstenliebe (Mk 12,28–31) verdichten lässt.8

Konsequenzen der konfessionellen Offenheit

Die konfessionelle Offenheit der Jubla als «katholischer Jugendverband» führt zu praktischen Konsequenzen, die unter allen Beteiligten für Gesprächsstoff sorgen: Kann auf dem Lagerplatz ein christlicher Gottesdienst gemeinsam mit vielen Nichtchristen gefeiert werden? Soll er interreligiös gestaltet werden? Ist es klug, eine Scharleitungsperson zu wählen, die aus der Kirche ausgetreten ist? «Schuldet » die Schar die Teilnahme oder Mithilfe bei Pfarreianlässen? Die anspruchsvolle Gestaltungsaufgabe liegt in den Händen der Präsides. Die Haltung der Jubla wird dazu Orientierungshilfen bereithalten. Selbstverständlich bleibt die Glaubensfreiheit jedes einzelnen Mitglieds jederzeit gewährt. Das bedeutet, dass christliche Deutungsmöglichkeiten stets als Angebot kommuniziert werden und nicht als allgemeingültiger Anspruch.9 Was die Teilnahme an liturgischen Feiern betrifft, ist auf unverfälschte Freiwilligkeit zu setzen: Auf Absenz soll weder mit Enttäuschung noch mit Infragestellung des Engagements reagiert werden. Eine konsequente konfessionelle Offenheit verlangt, dass Religionszugehörigkeit und Glaubensüberzeugung weder für die Mitgliedschaft, noch für die Mitsprache auf allen Ebenen eine Rolle spielen darf.

Dennoch sollen explizit religiöse Handlungen keinesfalls aus dem Jubla-Alltag verbannt werden, sondern dort ihren Platz einnehmen, wo sie in Form und Sprache zum Kontext passen. Als «entschärfende » Methode auf dieser Gratwanderung zwischen Deutungsangebot und Deutungsanspruch kann die «Mehrsprachigkeit» dienen: Ein Lagersegen kann so formuliert werden, dass Teilnehmende mit christlichem Bezug darin den dreifaltig-göttlichen Zuspruch hören, solche mit einer apersonalen Gottesvorstellung den gemeinsamen Wunsch des Begleitetseins wahrnehmen und Anwesende ohne Transzendenzvorstellung ein gemeinschaftsförderndes Ritual sehen. Damit dies gelingen kann, braucht es im wertfreien Nebeneinanderstellen der verschiedenen Deutungsmöglichkeiten viel Fingerspitzengefühl und Experimentierfreudigkeit.

Aushängeschild und mitgestaltender Teil der Kirche

Inwiefern kann dieses «Wirken an den Rändern» als kirchliches Tun verstanden werden? Es bleibt festzuhalten, dass die Jubla alle kirchlichen Grundfunktionen erfüllt mit Schwerpunkt auf Diakonie und Gemeinschaftsbildung. In vielen Pfarreien trägt die Jubla auch zum liturgischen Geschehen bei und setzt wertvolle Erneuerungsimpulse. Andernorts fehlt die liturgische Dimension tatsächlich gänzlich. Es ist jedoch weder die Kernkompetenz noch Schwerpunktaufgabe der Jubla, der Liturgieferne vieler Jugendlicher aktiv entgegenzuwirken. Dafür gibt es andere Angebote der kirchlichen Jugendarbeit, welche angesichts der Zielgruppenpluralität ihre Berechtigung haben.

Was die kirchliche Verkündigungs-Funktion betrifft, wurden die kerygmatischen Verbindungslinien zwischen persönlichem Handeln und biblischer Botschaft bereits ausgeführt.10 Gerade in der anspruchsvollen Übersetzungsarbeit gilt es, kreativ und mutig(er) zu sein. Dazu kommt die öffentliche Ausstrahlung des vielfältigen Freizeitangebotes der Jubla: Wo immer dieses mit Kirche in Verbindung gebracht wird, bedeutet das für die Kirche Imagegewinn und Gehör für ihre Botschaft.11 Das gilt für alle, mit oder ohne Kirchenzugehörigkeit. Bei nichtpraktizierenden Mitgliedern dürfte die Kinder- und Jugendarbeit ein starkes Argument für die Zahlung von Kirchensteuern sein. Für kirchlich ambivalent sozialisierte Jubla-Mitglieder selbst kommen spontane Gelegenheiten dazu, bei denen sie positive Erfahrungen mit Kirche machen können: Begegnungen mit kirchlichem Personal, eine Kirchturmbesteigung, der Pfarrei-Apéro oder Einblicke in andere Pfarreiaktivitäten.

«Wir sind Kirche» bzw. «Jubla ist Kirche»: Diese Aussage gilt für die Jubla als Ganzes, zumal sie im kanonischen Sinne ein kirchlicher Verein ist und sich im aktuellen Leitbildprozess klar dafür ausgesprochen hat.12 Sie kann jedoch nicht auf das einzelne Mitglied angewendet werden. Man kann wohl Kirche wider Wissen sein, niemals aber wider Willen. Wo ein Jubla-Mitglied sich als mitgestaltender Teil von Kirche versteht, entspricht dies der Berufung der Laien im Sinne des II. Vatikanums.13 Der Entscheid der Jubla-Basis, die Kirche vermehrt mitgestalten zu wollen, ist als grosse Chance zu werten.14 Die experimentierfreudige Stimme der Jugend kann für die Kirche zum prophetischen «Jungbrunnen» werden und ist gemäss Papst Franziskus gar Voraussetzung, um die «Zeichen der Zeit» zu erkennen.15

Umgekehrt profitiert die Jubla stark von ihrer kirchlichen Einbindung. Das beschränkt sich keineswegs auf grosse materielle Unterstützung in Form von Finanzen, Infrastruktur und die personellen Ressourcen16, es schliesst Plattformen zur Kommunikation, zu Vernetzungen und zum Know-how- Transfer ein. Vielen Jubla-Mitgliedern ist dies sehr bewusst und wird geschätzt. Wertvollster Beitrag der Kirche für die Jubla bleibt darum ihre lebensbejahende Grundbotschaft.

Es gibt viele gute Gründe, weshalb Jubla und kirchliche Instanzen weiterhin fruchtbar zusammenwirken können. Wichtige Voraussetzung dafür sind gegenseitige Wertschätzung, Begegnung auf Augenhöhe, bewusstes Bemühen um Verständnis, realistische gegenseitige Erwartungen und vor allem wiederkehrend die persönliche Begegnung. 

1 Vgl. SKZ 6/2017: Als implizite Glaubenszugänge werden z. B. die Wertevermittlung, der diakonische Charakter des Freizeitangebotes der Jubla sowie niederschwellige Formen der spirituellen Animation bezeichnet. Explizite Glaubenszugänge sind etwa kirchlich-liturgische Formen, kirchliches Brauchtum oder die Herleitung von Werten aus dem Leben und der Botschaft Jesu.

2 Die drei Grundfunktionen von Präsides in der Jubla sind: beraten/begleiten, spirituelle Animation und Vernetzung/Lobbyarbeit. Weitere Informationen dazu unter jubla.ch/praeses sowie Bisang Urs, Präses in Jungwacht Blauring, in: SKZ 15/2014, 228f.

3 Vorbereitungsdokument Jugendsynode 2018, 3.1.

4 Magna Charta – Grundlage für eine gelingende kirchliche Jugendarbeit in der deutschsprachigen Schweiz, herausgegeben vom Verein der Deutschschweizer Jugendseelsorger/innen: www.kath.ch/jugend/jusesoverein/ Documents/magna-charta.pdf (Magna Charta), sowie Jugendsynode 2018, 3.1. 5 Evangelii Gaudium (EG) 46 sowie: Jorge Mario Kardinal Bergoglio in der Rede beim Vor-Konklave im März 2013: www.adveniat.de/presse/papst-franziskus/rede-imvorkonklave.html

6 EG 42 und 105 sowie: Jugendsynode 2018, 3.1.

7 vgl. Magna Charta.

8 EG 41.

9 Im Sinne vom französischen «proposer la foi» oder «Den Glauben ins Spiel bringen», wie es im Pastoralen Entwicklungsplan (PEP) des Bistums Basels heisst: www. lukath.ch/wp-content/uploads/ 2015/10/pep_kerndokument. pdf

10 Vgl. zum Zusammenwirken von Wort und Tat auch das apostolische Schreiben «Evangelii Nuntiandi» von Papst Paul VI (1975), insb. Kapitel 2.

11 Winter-Pfändler Urs, Kirchenreputation, Forschungsergebnisse zum Ansehen der Kirchen in der Schweiz und Impulse zum Reputationsmanagement (2015), 63–65, 75, 77.

12 Vgl. Loretan Adrian, Die theologischen und rechtlichen Rahmenbedingungen des kirchlichen Vereins, in: SKZ 35/1990, 478–482.

13 Lumen Gentium 30–38.

14 Sie wird dies im Sinne ihrer Grundsätze tun: «zusammen sein», kreativ sein», «Glauben leben», «mitbestimmen» und «Natur erleben».

15 EG 108 sowie Jugendsynode 2018, 1.3, 3.1 und 3.2.

16 Besonders Präsides und die regionalen, kantonalen oder nationalen Arbeitsstellen.

 

 

Valentin Beck / Anastas Odermatt

Valentin Beck MTh und MA in Religionslehre ist Bundespräses von Jungwacht Blauring und im Kleinpensum als Religionspädagoge in der Oberstufe tätig.
Anastas Odermatt MA in Study of Religions ist ehrenamtlicher Co-Präsident von Jungwacht Blauring und als Religionswissenschaftler an der Universität Luzern tätig.