«Je rigider die Moral, umso nackter die Heiligen»

Wie werden Heilige dargestellt? Der österreichische Theologe Markus Hofer ging dieser Frage kulturgeschichtlich nach und entdeckte manch Spannendes. Die SKZ sprach mit ihm über sein neues Buch «Das Heilige und das Nackte».

Markus Hofer (Jg. 1957) ist Theologe und Autor. Er war neun Jahre Leiter des Katholischen Bildungswerkes in Vorarlberg und 18 Jahre lang Leiter des Männerbüros der Diözese Feldkirch. Seit Frühjahr 2014 ist er bei der Fachstelle Glaubensästhetik der Diözese tätig. (Bild: zvg)

 

SKZ: Herr Hofer, was war die Motivation für Sie, diese spezielle Kulturgeschichte zu schreiben?
Markus Hofer: Ich war 18 Jahre in der Männerarbeit tätig. Von da her interessierte mich immer schon alles, was mit Männern und Frauen zu tun hat. Als Kunsthistoriker und Theologe fiel mir schon lange auf, wieviel Nacktheit es in unseren Kirchen gibt. Die Paradebeispiele sind natürlich Maria Magdalena und Sebastian. So kam das eine zum anderen und ich bin dem Thema vom Heiligen und Nackten kulturgeschichtlich gezielt nachgegangen. Ich hätte nicht geglaubt, wieviel das Thema dann hergab.

Zu Beginn Ihres Buches geht es um die speziell menschliche Fähigkeit, dass wir uns schämen können. Wer einen Hund als Haustier hat, kennt den Unterschied. Ist dieses «Sich-Schämen» ob der Nacktheit kulturell-religiös anerzogen oder ist es uns quasi angeboren?
Die menschliche Sexualität ist visuell strukturiert und da es immer etwas zu sehen gibt, steht dem Menschen die Sexualität grundsätzlich permanent zur Verfügung. Er muss nicht, wie der Hund, warten, bis er etwas in die Nase kriegt. Die Scham bildet deshalb ein wichtiges Regulativ. Schon bei Naturvölkern gibt es Schamregeln, wer wann wohin schauen darf oder eben nicht. Der Mensch ist das Tier, das sich schämt – und das gehört von Anfang an dazu.

Können wir innerhalb der Religionen Unterschiede in der Wahrnehmung des nackten menschlichen Körpers definieren? Oder auch: Wo lauern die wahren Puristen?
Es gibt in allen Religionen sakrale Bereiche, die gezielt entsexualisiert werden: Geschlechter-Trennung, Bekleidungsregeln, keine Nacktheit. Da wir visuell sehr schnell verführbar sind, wird so dafür gesorgt, dass die Andacht nicht gestört wird. Puristen gibt oder gab es vermutlich in allen Religionen, nur erreichen sie meist das Gegenteil. In meinem Buch werden zwei Dinge sehr deutlich: Je rigider die Sexualmoral einer Gesellschaft, umso nackter werden die Heiligen auf den Bildern. Ebenso: Je strenger die Moral, umso abgrundtiefer wird die Doppelmoral.

Sie betiteln Ihr Buch mit «Das Heilige und das Nackte». Offenbart Nacktheit das Heilige des Geschöpfes Mensch oder ist sie quasi Akzidenz, die die Gottesebenbildlichkeit verunstaltet?
Wenn Gott den Menschen schuf nach seinem Bild und Gleichnis und sah, dass es gut war, dann kann das nicht heissen: ausser der Nacktheit. Das Problem mit dem Nackten kam erst in der Spätantike in das Christentum. Es speist sich nicht aus biblischen Traditionen, sondern aus letztlich heidnischen Einflüssen wie dem Neuplatonismus oder der Gnosis. Das verkorkste Verhältnis zur sexuellen Lust zieht sich dann durch die ganze Kirchengeschichte und verbindet auch die Themen Sexualmoral, Pflichtzölibat, Frauenfeindlichkeit und Missbrauch. Es wäre Zeit, dass wir hier etwas ganz grundsätzlich sanieren.

Was denken Sie, wer hatte wohl mehr Mühe mit der Nacktheit, der Pfarrer von Ars oder Calvin?
Zumindest in Calvins Visionen vom Gottesstaat dürfte es nicht viel Platz für Nacktes gegeben haben. Die katholische Kirche war dagegen im guten Sinn etwas «schlampiger», nicht so stramm. Neben der strengen Moral gab es immer wieder auch Platz für das Sinnliche.

Zum Ende die Frage überhaupt zum Thema: Adam und Evas Erkennen, dass sie nackt sind, und ihre Rechtfertigung vor dem Schöpfergott. Wie deuten Sie den Text?
Eigentlich beginnt es mit dem Verbot Gottes, von einem Baum nicht essen zu dürfen. Die Folgen sind essenziell menschlich: Das Verbot weckt die Neugier, und das Verbot bewirkt die Übertretung. In weiterer Folge schämten sie sich und nahmen das Feigenblatt. Das Feigenblatt gehört zur Nacktheit wie der Mensch zur Erde. Sonst wäre es «das Paradies». Der Sündenfall ist so gesehen der Beginn des irdischen Menschseins.

Interview: Heinz Angehrn

 

Buchempfehlung: «Das Heilige und das Nackte. Eine Kulturgeschichte». Von Markus Hofer. Innsbruck 2022. ISBN 978-3-7022-4052-3, CHF 42.90. www.tyroliaverlag.at

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