«Inspirierende Leere anstelle schwerer Lehre»

Wer kennt sie nicht, die goldleuchtenden Werke Josua Boeschs (1922 –2012). Der Künstler würde am 15. November seinen 100. Geburtstag feiern. Über sein Leben und Werk sprach die SKZ mit Samuel Jakob.1

Die Friedens-Ikone: Die Auferstehung des Judas von Josua Boesch, 1986. (Bild: Förderverein Josua Boesch)

 

SKZ: Herr Jakob, wer war Josua Boesch?
Samuel Jakob: Josua Boesch lernte im Erstberuf Gold- und Silberschmied. Nach der Berufung zum Theologiestudium war er 28 Jahre reformierter Pfarrer, vor allem im Kanton Zürich. Nach seinem 50. Geburtstag reduzierte er das Pfarramt, um es mit dem Künstler zu verbinden: Erste Metallarbeiten entstehen. Mit 57 verlässt er 1979 Familie und Pfarramt, um sich im katholischen Eremo di Camaldoli in der Toskana in ein Leben in Stille zurückzuziehen. Dort entstehen Ikonen aus Metall, spirituelle Texte und Übertragungen der Psalmen und des Johannesevangeliums ins Züritüütsch. Sein Werk findet in den 80er-Jahren Resonanz – im katholischen Bereich damals mehr als im reformierten. Vor zehn Jahren starb er, im Alter wieder nach Zürich zurückgekehrt, wo er mit kleinen «Ver-Dichtungen» in seinen letzten Lebensjahren noch «Wort-Ikonen» schuf.

Welches Kunstwerk Boeschs mögen Sie besonders gern und weshalb?
1985 hatte er ein Triptychon zur Versöhnung von Kain und Abel geschaffen, welches heute im Rathaus der italienischen Gemeinde Marzabotto hängt, die 1944 einem brutalen Massaker der deutschen Armee zum Opfer fiel. Als nächstes entstand 1986 seine Friedens-Ikone «Die Auferstehung des Judas». Diese hat schliesslich den Weg zu mir gefunden, ist jedoch in der Passionszeit oft in Pfarreien oder Kirchgemeinden unterwegs. Boesch hat sich zeitlebens auch mit seinen Schattenseiten auseinandergesetzt und erlebt, dass auch die tiefsten menschlichen Abgründe nicht bodenlos sind, sondern von Gottes unverbrüchlicher Liebe unterfasst sind. Dies deutet die grosse Parabel in dieser Ikone an, welche die Rettung des Judas aus der Hölle durch den auferstandenen Jesus umfasst. Ein mutiges, ja revolutionäres und visionäres Werk, welches im Mystiker Josua Boesch hier aufgestiegen ist!

Wie Sie schon sagten, war Josua Boesch auch schriftstellerisch tätig. Welche Grundgedanken zeichnen sein Werk aus?
Josua Boesch litt an der «schweren Lehre» eines Christentums, das im Karfreitag stecken geblieben ist. Das mit Franz von Assisi verbundene Kreuz von San Damiano inspirierte ihn nachhaltig. Als er es aus Metall nachfertigte, fiel Jesus beim Aussägen durch das Kreuz hindurch: Das «Leere Kreuz» entsteht, wie es z. B. im Antoniushaus Mattli der Franziskaner in Morschach hängt. Ein Motiv, welches Josua Boesch anregte, Vieles aus der Tradition zu überdenken: Jesus hängt nicht mehr am Kreuz, er ist auferstanden – auf und davon! – mit zum Himmel emporgehobenen Armen. Inspirierende Leere tritt an die Stelle schwerer Lehre: Der Mensch kann aufatmen, frei und aufrecht gehen! Spontan formuliert Boesch: Der Christenmensch geht, durch mannigfache Tode hindurch, mit dem Auferstandenen schliesslich auferstehungsleicht durchs Leben – eine seiner genialen Wortschöpfungen.

Was hat er uns heute zu sagen?
Wir realisieren, dass sein Werk in Bild und Text aus einer grossen Tiefe der Stille geschöpft ist, und deshalb auch nach 40 Jahren noch taufrisch  wirkt. Und deshalb auch heute inspiriert. In unserer wirren Zeit ist der «Radikale Weg nach innen» angesagt: Karl Rahner sprach vor 50 Jahren von Mystik, die im 3. Jahrtausend wichtig werde. Hier sehe ich ein grosses Zukunftspotenzial dessen, was bei Boesch unter Schmerzen und in der Stille langsam herangereift ist. Wir hoffen, mit den Neuauflagen seiner Werke, dem Sammelband «Präsenz im Heute Gottes» mit Stimmen aus allen drei christlichen Konfessionen2 sowie dem ökumenisch ausgerichteten Symposium an seinem 100. Geburtstag sein Vermächtnis auch einer neuen Generation zugänglich machen zu können.* Das Symposium trägt in Boeschs fragender Art den Titel «Dämmert der Morgen einer neuen Welt?» – angesichts unserer unruhigen und gewalttätigen Zeit ein Hinweis, sich jenseits des Getöses auf den Kern des biblisch-christlichen Glaubens zu besinnen: den Gott Abels, Kains, Abrahams und auch Jesu Christi, der die Menschheit auch in stürmischen Zeiten nicht fallen lässt. Eine stille, jedoch hochaktuelle und gewichtige spirituelle Navigationshilfe aus der Tiefe!

Interview: Maria Hässig

 

1 Mehr Informationen zu Josua Boesch finden Sie unter: www.josuaboesch.ch

2 Der TVZ-Verlag veröffentlichte im Jahr 2022 lange vergriffene Werke in Bild und Text von Josua Boesch sowie die ikonografische Biografie von Simon Peng-Keller. Mehr Informationen dazu unter: www.tvz-verlag.ch

* Das ökumenische Symposium «Dämmert der Morgen einer neuen Welt? Symposium zur Mystik von Josua Boesch (1922–2012)» im Kloster Kappel richtet sich insbesondere an Priester, Pfarrpersonen und die kirchliche Mitarbeiterschaft der orthodoxen, der katholischen und der reformierten Gemeinden. Mehr Informationen unter www.klosterkappel.ch


Interviewpartner Samuel Jakob

Dr. phil. Samuel Jakob ist Psychologe, langjähriger Schulungsleiter und Supervisor in der Evangelisch-reformierten Kantonalkirche Zürich. Er ist Seminarleiter zum Enneagramm und Coach in eigener Praxis. Darüber hinaus ist er Vizepräsident des Fördervereins Josua Boesch.

 

BONUS

Folgende Bonusbeiträge stehen zur Verfügung:

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