Interreligiöser Austausch in Malaysia

Die International Association of Liberal Religious Women (IALRW) führte in Kuala Lumpur am 8./9. Februar 2017 ein interreligiöses Seminar durch. Die Vorbereitung übernahm die von Kamar Oniah Kamaruzaman gegründete lokale islamische NGO «IMAN».

Als Professorin für Komparative Religion an der IIUM1 ist Kamar Oniah Kamaruzaman auch stellvertretende Direktorin am Zentrum für muslimische Weltangelegenheiten der IIUM sowie die erste muslimische Präsidentin der IALRW2. Muslimas aus Malaysia und Nachbarländern und Frauen aus andern Glaubensgemeinschaften von Deutschland, UK, Japan und der Schweiz nahmen daran teil.

Prekarität bei Haushalthilfen

Das Thema «Haushalthilfen» ist in Malaysia hoch brisant. Die Frauen («maids») kommen aus Indonesien, meist als Immigrantinnen ohne legalen Status. Vertreterinnen aus dem Islam, dem Buddhismus, Hinduismus, der Sikh-Gemeinschaft und dem Christentum umrissen die aktuelle Lage und ihren spirituellen Umgang damit auf sozialer, moralischer und gemeinschaftlicher Ebene. Sie hinterliessen den Eindruck, dass die unterschiedlichen Zugänge der Religionsgemeinschaften zwar untereinander respektiert werden, jedoch kaum ein Austausch darüber stattfindet. Die Teilnehmerinnen des Seminars formulierten gemeinsam Empfehlungen an die Adresse der Regierung wie zum Beispiel für Training, Unterstützung und Schutz der Arbeiterinnen und Massnahmen zur Förderung eines respektvollen menschenwürdigen Umgangs.

Augenzeuginnen berichten über Konflikte und Krieg

Vier Studentinnen der IIUM berichteten über Konflikte und Krieg in ihrem Herkunftsland, in Burma, Jemen, Kaschmir und Syrien. Ausser in Kaschmir stellten sie ihre Situation als politische Konflikte dar, in denen der Islam willkürlich für politische Machtstrategien missbraucht wurde.

Die 31-jährige Rohingya verliess Burma 2009 aus Sicherheitsgründen und ist seither staatenlos. Ihre Mutter schärfte ihr ein, sie hätten keine Wahl, es sei ihr Schicksal. Aber für sie ist es nicht Schicksal, sondern Verbrechen gegen die Menschlichkeit; ethnische Säuberung durch Folter, Vergewaltigungen, Prostitution; das sei Krieg. Der Islam sei für die Regierung ein Vorwand, um Menschen hinauszudrängen. Auf ihrer ID-Karte sei kein ethnischer Vermerk (Rohingya), sondern Bengali, d. h. aus Bangladesh. Deshalb müssen sie das Land verlassen. Wegen ihrer dunklen Hautfarbe würden sie als schmutzig angesehen, das sei rassistisch. Arakan, die Gegend, wo sie leben, gehörte früher nicht zu Burma. Sie durchschaut das politische Kalkül der Militärs, die zur eigenen Machterhaltung Konflikte zwischen den Religionen schüren. Hassreden gingen von einem buddhistischen Mönch aus, und automatisch wurden die Rohingyas beschuldigt. Etwa 56 000 Rohingyas leben in Malaysia, einige ohne Dokumente, d. h. ohne Arbeit.

Die junge Frau aus Jemen ist 26 und kam vor 6 Jahren nach Malaysia. Zuerst studierte sie Rechtswissenschaft, dann Politische Wissenschaft und Islamwissenschaft. Sie wollte nach Malaysia, doch ihre konservative Gesellschaft erlaubte ihr nicht, allein zu reisen. Als ihr Vater starb, bemühte sich ihr Onkel um ihre Ausbildung. Ihr Wunsch forderte ihn heraus. In Jemen zu bleiben schien jedoch nicht gut für sie, so sandte er seine Tochter und seinen Sohn mit ihr zusammen nach Malaysia. Die IIUM hatte den besten Ruf in Asien für Rechtswissenschaft. Bald merkte sie, dass das Angebot nicht ihren Vorstellungen von internationalem Recht entsprach. So wechselte sie zur Politischen Wissenschaft, ihr Anliegen sind Menschenrechte. Obwohl 97 Prozent Muslime in Jemen leben, gab es keine grossen Probleme im Nebeneinander der verschiedenen religiösen Gemeinschaften. Doch vor einigen Jahren wurde bewusst Hass verbreitet, was mit dem Krieg noch eskalierte. Es wird schwierig werden, nach Beendigung des Krieges die Nation wieder aufzubauen: In der Zwischenzeit sind Anti-Schiiten-Ressentiments unter Muslimen aufgekommen. Sie möchte in Zukunft etwas für ihr Land tun, vor allem in Form von politischen Lösungen.

Der Kaschmir-Konflikt ist politischer Art. Kaschmir ist eine der höchstmilitarisierten Zonen der Welt, was viele Menschenrechtsverletzungen verursacht. Viele Zivilisten wurden getötet und Unzählige durch «pellets» lebenslänglich verunstaltet und behindert. Sie werden wie Tiere behandelt, erklärt die junge Frau. Seit Juli 2016 gilt abends allgemeine Ausgangssperre. Mit 18 beantragte sie mit vielen Schwierigkeiten ein Visum. In Malaysia hat Indien keine Kontrolle über sie. Ihre Eltern als Akademiker sind froh, dass sie an der IIUM studieren kann. Universitäten in Kaschmir haben nicht dasselbe Niveau. Sie studierte englische Literatur, belegte Islamstudien und schloss beides ab. Im geteilten Kaschmir gibt es keinen lokalen Medienkanal mehr, wenige Informationen dringen nach draussen. Unter indischer und pakistanischer Kontrolle haben sie keine Kontaktmöglichkeit zum andern Landesteil. Obwohl 99 Prozent Muslime sind, bestehen keine religiösen Konflikte. Die junge Generation der 15- bis 25-Jährigen möchte einfach Freiheit, Redefreiheit, um sich als Kaschmiri bezeichnen zu können, um unabhängig zu werden und ihren Staat wieder zu vereinigen.3

Herausforderung interreligiöser Dialog

Die IALRW lud den methodistischen Pfarrer Dr. Hermen Shastri, Generalsekretär des CCM4, und Victoria Cheng zum Gespräch ein. Shastris Frage über die Bezeichnung «liberal» im Namen der IALRW führte zum Ursprung der Organisation Anfang des 20. Jahrhunderts und ihre ökumenische und interreligiöse Ausrichtung. «Liberal» stellt laut Shastri eine Herausforderung dar in Malaysia als einem säkularen Staat mit dem Islam als Staatsreligion.

Victoria Cheng (25) repräsentiert jedoch eine Jugend, die in aller Freiheit kritische Fragen stellen will. Victoria ist christlich geprägt und übernahm nach dem Studienabschluss in Internationalen Beziehungen und Französisch in Nottingham (GB) eine Arbeit für Menschenrechtsfragen und interreligiösen Dialog, ein kontroverses Thema, das an der IIUM nicht angeboten wird. Sie assistiert dem Programm-Manager der kleinen NGO «ProjekDialog» und ist überzeugt von der Möglichkeit, Kontakt aufzunehmen mit Menschen anderer Überzeugungen, um einen Raum für Dialog zu eröffnen und kritisch zu vertiefen.

Die Präsenz des sunnitischen Islam verstärkt sich in allen Bereichen des täglichen Lebens und wirkt immer mehr in die politische Sphäre hinein. Das verändert laut Shastri das Gleichgewicht unter den Religionen. Die religiösen Minderheiten erleiden eine Ungleichbehandlung in den Beziehungen zum malaysischen Staat, zur islamischen Mehrheitsreligion, stellt Shastri fest. Es gibt zwar einen offiziellen interreligiösen Dialog mit den Minderheitsreligionen. Doch das reiche nicht aus: Der Islam lasse in seiner konservativen Ausprägung auch seine eigenen progressiven Vertreter nicht als Partner im interreligiösen Dialog zu. Für Shastri gilt es, die Grundlagen der säkularen Staatsgründung laut Verfassung von 1957 zu anerkennen: der Islam als Religion, die Malaien als Ethnie. Um aufzuzeigen, wie dieses Ideal verloren ging, zeigte er seine Identitätskarte, welche einen freien Raum enthält. Für Muslime steht darin «Islam», bei ihm ist die Stelle leer. Das sind ungleiche Massstäbe, erklärt er. Auch mit zunehmendem Einfluss sollte der Islam eine liberale Sichtweise fördern. Ein aktuelles Beispiel über den Einfluss im Alltag ist «Halal» als Gütezeichen, als Reinheitszeichen. Kritische Medien kommentierten: Beim Verkauf von Pinseln war bis dahin keine Deklaration von Halal nötig. Das ändert sich nun und wird Vorschrift. Pinsel mit Halal zu deklarieren, bedeutet, dass sie keine Schweinehaare enthalten (dürfen).

Es kam zu Spannungen und Kontroversen unter den Religionen als Folge eines politischen Vorschlags von Landesteilen, die Scharia bzw. die Hadd-Strafen einzuführen wie in Saudi-Arabien, Sudan oder im Iran. Der muslimische Jurist Chandra Muzaffar5 erklärt die unterschwellige Problematik nicht-muslimischer Religionen gegenüber der Einführung von Scharia-Gesetzesbestimmungen. In der 2014 publizierten Studie «Hudud Law would undermine the Federal Constitution» hat der Rat der Religionen6 klargestellt, dass die Hadd den Koranvorschriften über Strafe widerspricht und nicht kompatibel ist mit der Verfassung und dem Strafrecht Malaysias. In den Staaten, die die «Rechtsansprüche Gottes» anwenden, werden Frauen und Nicht-Muslime marginalisiert. Die Hadd würde Musliminnen wie auch Nichtmuslime diskriminieren, denn sie dürfen kein Zeugnis ablegen. In vielen Delikten fällt die Beweislast auf die Seite der Opfer, vor allem bei Vergewaltigung. Muzaffar führte aus, sie hätten eine relative Harmonie gehabt. Tatsächlich sei aber die Freiheit der Muslime eingeschränkt, denn sie haben kein Recht, die Praxis des Islam in Frage zu stellen. Der zunehmende Einfluss des Islam habe zu Bürokratie und Regeln des täglichen Lebens geführt, die selbst Muslime als aufgesetzt erleben.

Ist «Allah» islamisch?

Muzaffar spricht die Kontroverse zum Gebrauch des Wortes «Allah» durch Nicht-Muslime an und zitiert die katholische Revue «Herald». Sie besteht auf dem Gebrauch durch Christen in Ostmalaysia. Sie lesen die Bibel auf Malai, wo das Wort «Allah» für Gott vorkommt. Der Koran spricht nicht von einer Exklusivität im Gebrauch dieses Wortes und verbietet es Andersgläubigen nicht, erklärt Muzaffar. Christen vom Nahen Osten brauchten es vor dem Islam. Auch in den heiligen Schriften der Sikh und in Hymnen der Hindus kommt es vor. In Indonesien sind seit dem 17. Jahrhundert Bibeln im Gebrauch, die das Wort «Allah» verwenden. Die Vertreter anderer Religionen können zum Problem zwar Position beziehen. Aber am besten wäre es, wenn von muslimischer Seite eine Veränderung käme, findet Muzaffar.

 

1 IIUM = Internationale Islamische Universität Malaysia.

2 Die IALRW, eine der ältesten interreligiösen Frauenorganisationen in der Welt, entstand als ein Zweig der (heutigen) «International Association for Religious Freedom» (IARF, 1900). Die Anregung für Frauen zur Gründung einer eigenen Organisation ging von liberalen evangelischen sowie von unitarisch-universalistischen «Theologen, Denkern und Arbeitern» aus am fünften Weltkongress für Freies Christentum und religiösen Fortschritt 1910 in Berlin.

3 Am IALRW-Council wurde die Erweiterung der Organisation durch Werbung neuer Mitglieder, vor allem jüngerer Frauen, aufgeworfen. In der Schweiz entsteht ein interreligiöser und interkultureller Verein, der u. a. die Idee eines «Art Camp» als interkulturelles Projekt um die Künstlerin Gabriella Affolter mit der IALRW-Vizepräsidentin und Theologin Esther R. Suter aufgreifen wird. Siehe die Website www.ialrw.org.

4 Christian Council of Malaysia – Kirchenrat von Malaysia.

5 Chandra Muzaffar ist Professor für Politische Wissenschaft an der IIUM und Präsident der NGO International Movement for a Just World ( JUST).

6 Malaysian Consultative Council of Buddhism, Christianity, Hinduism, Sikhism and Taoism (MC-CBCHST).

Esther R. Suter

Esther R. Suter

Die evangelisch-reformierte Theologin und Pfarrerin Esther R. Suter ist Fachjournalistin SFJ/ASJ und engagiert sich bei UN Geneva als NGO-Representative for International Alliance of Women, bei UN New York als NGO-Representative for International Association for Religious Freedom und ist Vize-Präsidentin der International Association of Liberal Religious Women.